Energiearmut trifft nicht nur die Wirtschaft armer Länder und führt zu einem Verlust an Gestaltungschancen für die dort lebenden Menschen, sondern erschüttert auch die Stabilität fragiler Staaten und junger Demokratien. Die einseitige Entwicklung des exportorientierten Energiesektors geht auf Kosten anderer Sektoren der Volkswirtschaft. Dadurch wachsen bestehende soziale Unterschiede und steigen politische Spannungen. Dabei macht es meist keinen Unterschied, ob private multinationale Konzerne oder staatliche Energieunternehmen die Branche beherrschen. In Russland, dem Iran oder Venezuela ging die Verstaatlichung der Energieindustrie auch mit einem Abbau der Demokratie und einer aggressiven Außenpolitik einher.
Die beste Chance für arme Länder, der Falle Energiearmut zu entkommen, bestünde darin, ihren eigenen nachhaltigen Weg in der Energieversorgung zu gehen. Die ineffiziente Wirtschaft der am wenigsten entwickelten Länder verbraucht heute doppelt so viel Energie pro Einheit wirtschaftlicher Leistung wie die der westlichen Industrieländer. Das Energieeinsparpotenzial wäre enorm, wenn in die entsprechende technische Ausstattung investiert würde. Eine weitere Alternative zum Import teurer fossiler Energieträger wäre es, einheimische Ressourcen besser zu nutzen. In vielen landwirtschaftlich geprägten Entwicklungsländern kann Biomasse zum Heizen sowie zur Elektrizitätserzeugung und Äthanol aus Getreide als Benzinersatz genutzt werden. Wind- und Solarenergie sind vor allem für abgelegene Standorte, die durch das nationale Elektrizitätsnetz nicht erreicht werden können, eine gute Alternative. Moderne Entwicklungszusammenarbeit stellt deshalb den Zugang aller zu erschwinglicher Energie aus erneuerbaren Quellen in ihren Mittelpunkt.
Klimasicherheit
Die neue Energiekrise ist auch eine Klimakrise. Wer von Energiesicherheit redet, wird deshalb zukünftig auch von Klimasicherheit sprechen müssen.
Anfang 2007 soll der neue Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem Wissenschaftlerrat, der für die Vereinten Nationen den weltweiten Klimawandel beobachtet, erscheinen. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler sind alarmierend. Schon jetzt weiß man, dass die Konzentration der den Treibhauseffekt beeinflussenden Gase Kohlendioxid (CO2), Methan und Stickoxid heute höher ist als zu irgendeinem Zeitpunkt in den vergangenen 650.000 Jahren. Zwischen 1999 und 2004 stieg der CO2-Gehalt der Atmosphäre um jährlich 0,5 Prozent. Insgesamt hat sich die Erdoberfläche seit Anfang des 20. Jahrhunderts um 0,65 Grad Celsius erwärmt.
Jared Diamond, Professor für Geographie an der Universität von Kalifornien und Gewinner des Pulitzer Preises für sein Buch »Guns, Germs, and Steel« über die natürlichen Grundlagen unterschiedlicher menschlicher Zivilisationen, beschäftigt sich in seinem neuen Werk »Collapse« damit, wie unterschiedliche Kulturen auf ökologische Krisen erfolgreich reagieren oder untergehen.
Vor einigen Sommern besuchte Diamond die beiden Milchviehhöfe von Huls und Gardar und stellte verblüffende Ähnlichkeiten fest. Beide gehörten zu den größten und technisch bestausgerüsteten Gütern der Gegend und ihre Besitzer zu den Stützen ihrer Gemeinschaft. Auch die Probleme beider Betriebe ähnelten sich. Beide lagen zu weit im Norden, um das Vieh das ganze Jahr auf die Weide zu lassen, und arbeiteten deshalb lange am Rand der Wirtschaftlichkeit. Der wesentliche Unterschied zwischen Huls und Gardar besteht jedoch in ihrer heutigen Situation. Die Huls Farm im Bundesstaat Montana ist ein prosperierender Familienbetrieb in einem der Landkreise mit dem höchsten Bevölkerungswachstum der USA. Der Wikinger-Hof von Gardar dagegen liegt seit 600 Jahren zerstört und verlassen an der Westküste Grönlands.
An diesen und anderen Fällen vollzieht Diamond nach, wie die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zur Degradation oder zum vollkommenen Verschwinden historischer Zivilisationen geführt hat. Zum Vergleich beschreibt er Gesellschaften, die dieselben oder ähnliche Herausforderungen erfolgreicher gemeistert haben, und sucht nach Parallelen in modernen Gesellschaften. Seine Grundfrage ist, warum Gesellschaften durch ökonomische und kulturelle Entscheidungen ihre eigenen Lebensgrundlagen unterminieren, auch wenn die Zeichen an der Wand deutlich lesbar sind. Am Ende des Buchs schlägt er vor, aus dem historischen Versagen anderer zu lernen.
Opfer historischer Umweltzerstörung waren auch die Zivilisationen der Osterinseln oder der Maya. Die Wikingerkultur überlebte zwar auf den Färöer, Shetland und Island, passte sich den extremeren Bedingungen auf Grönland jedoch nicht ausreichend an. Andere Kulturen reagierten auf anfängliche Umweltzerstörung mit gesellschaftlichen Innovationen, Beispiele sind die Einführung einer nachhaltigen Forstwirtschaft in Japan und Deutschland im 19. Jahrhundert.
Das Ende der Arktis
Grönland und der Untergang seines Wikingervolks stehen im Mittelpunkt von Jared Diamonds Buch. Doch auch dem Grönland von heute drohen Umweltveränderungen. Am 8. November 2004, wenige Tage nach der Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush, wurde das von einem Team von 300 international renommierten Wissenschaftlern verfasste »Arctic Climate Impact Assessment« veröffentlicht. Die Initiative dafür lag beim Arctic Council (Arktischer Rat), der zwischenstaatlichen Organisation der Anrainerstaaten der Arktis. Das Ratsmitglied USA hatte eine Veröffentlichung des Berichts vor den Präsidentschaftswahlen verhindert.
Wichtigste Feststellung ist, dass sich die Arktis momentan doppelt so schnell erwärmt wie der Rest der Erde. Die Eisdecke über dem Nordmeer und das Eisschild auf Grönland beginnen abzuschmelzen. Sollte das gesamte Inlandeis Grönlands schmelzen, würde der Meeresspiegel weltweit um sieben Meter ansteigen. Noch dramatischer würde der Anstieg ausfallen, wenn auch das Eis der Antarktis schmilzt. Der Zerfall des westantarktischen Eisschildes, der in den vergangenen Jahren durch Umweltsatelliten beobachtet wurde, könnte demnach eine größere strategische Bedrohung für die weltweite Sicherheit darstellen als das iranische Nuklearprogramm.
Der Arktische Rat ist eine internationale Organisation eigenen Charakters. Neben den acht Anrainerstaaten sind auch sechs Dachorganisationen indigener Völker dort Mitglied. Diese haben, um das Beispiel Russland zu nehmen, einen anderen Blick auf die Region und ihre Naturressourcen als die Zentralregierung in Moskau. Für fast alle Mitgliedstaaten der Organisation ist die Arktis politische und ökonomische Peripherie. Die Organisationen der Indigenen sind deswegen der Motor der Organisation.
Das Internationale Arktische Wissenschaftskomitee (International Arctic Science Committee; IASC) ist aus dem Zusammenschluss von 18 nationalen Wissenschaftsakademien entstanden. Vor allem in Russland und den USA nehmen die Wissenschaftsakademien eine bedeutende Rolle als unabhängige Berater ihrer Regierungen wahr. Die US-Akademie warnt ihre Regierung seit Jahren vor den Folgen des globalen Klimawandels. Die russische Akademie der Wissenschaften war schon zu Sowjetzeiten einer der Zufluchtsorte ökologisch denkender Forscher und Intellektueller.
Innerhalb des Arktischen Rats ist es vor allem die Regierung Kanadas, die den Klimawandel in der Region zu einem Thema ihrer öffentlichen Diplomatie gemacht hat. Die Regierung in Ottawa arbeitet dabei eng mit dem Sekretariat des Rats in Kopenhagen, Indigenenvertretern und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Im Rahmen einer Medienkampagne hat der Arktische Rat außerdem die »New York Times« auf seine Seite gebracht, die seit anderthalb Jahren kontinuierlich über die Problematik berichtet. Andere internationale Medien, die sich gern von der »New York Times« inspirieren lassen, greifen das Thema seitdem auf.
Für die indigenen Kulturen der Arktis beschleunigen die Klimaveränderungen den Wandel, dem sie ohnehin ausgesetzt sind. Die Ökonomie, aber auch die Kultur der Inuit beispielsweise ist eng mit der Nutzung weniger Tierarten verbunden. Der Rückgang der Meeressäuger, aber auch des Fischereiertrags führt zur Umstellung der Ernährung auf importierte verarbeitete Lebensmittel. Damit einher geht das Ansteigen von Zivilisationskrankheiten. Gebrauchsgegenstände und Kunsthandwerk aus tierischen Produkten bildeten die zweite Basis der Inuit-Ökonomie. Auch diese Grundlage einer selbst versorgenden Ökonomie ist bedroht, ohne dass Alternativen sichtbar wären.
Aber auch die Grundlagen der modernen Ökonomie sind in der sich wandelnden Arktis gefährdet. In der Russischen Föderation ist die Industrialisierung der Arktis – und damit die Ablösung indigener Ökonomien – schon seit Sowjetzeiten deutlich weiter fortgeschritten als in Kanada, Alaska oder den skandinavischen