Sascha Müller-Kraenner
ENERGIESICHERHEIT
Die neue Vermessung der Welt
Verlag Antje Kunstmann
INHALT
EINLEITUNG Was ist Energiesicherheit?
KAPITEL 1 Vor einer neuen Energiekrise
KAPITEL 2 Das große Spiel um die Vermessung der Welt
KAPITEL 3 Energiesupermacht Russland
KAPITEL 5 Eine gemeinsame europäische Energiepolitik
KAPITEL 6 Die Verteidigung der letzten Paradiese
KAPITEL 7 Auswege aus der Abhängigkeit – Sonne oder Atom?
KAPITEL 8 Die Stärke des Rechts und die Diplomatie der Zukunft
EINLEITUNG
WAS IST ENERGIESICHERHEIT?
Was ist Energiesicherheit? Die Bundesregierung und die Europäische Kommission verstehen darunter die Bereitstellung von preisgünstiger, verlässlicher und umweltfreundlicher Energie. Auf diese allgemeine Definition könnte man sich ohne Weiteres einigen. Doch der Teufel steckt wie üblich im Detail. Was eigentlich bedeutet eine verlässliche Energieversorgung? Welchen Preis, sowohl finanziell als auch politisch, sind wir bereit, dafür zu zahlen? Und wie wird sichergestellt, dass beim Zugriff auf Energieressourcen die Belange des Umweltschutzes, aber auch Transparenz, Menschenrechte und Demokratie nicht unter den Tisch fallen? Hierum geht es in der aktuellen politischen Debatte: welcher Weg zu mehr Energiesicherheit der richtige ist.
An der Energiefrage lässt sich aber auch zeigen, wie sich die Außenpolitik im 21. Jahrhundert verändert hat. Bei der Suche nach Öl, Geld und Macht scheint für die edlen Prinzipien des Völkerrechts und für das feinziselierte Instrumentarium der internationalen Diplomatie kein Platz mehr zu sein. Der Kampf um die letzten Ressourcen wird mit harten Bandagen ausgetragen; die Sicherung der nationalen Energieversorgung ist für jedes Land knallharte Realpolitik. Bündnisse werden nicht mit denjenigen geschlossen, die man mag, sondern mit denen, die man braucht. Das vorliegende Buch beschreibt, wie sich die Machtverhältnisse der Welt schon heute entlang der Frage verschieben, wer die verbleibenden Energieressourcen und den Zugang zum Weltmarkt kontrolliert. Es zeigt auf, wie die Politik reagieren muss, um die sich abzeichnenden Ressourcenkonflikte kooperativ und friedlich zu lösen.
Russland, China, die Europäische Union und natürlich die USA sind die vier Hauptakteure, die sich im Großen Spiel des 21. Jahrhunderts gegenüberstehen. Anders als beim »Great Game« des 19. Jahrhunderts, als Russland und England in den Wettlauf um die Kontrolle Zentralasiens traten, handelt es sich heute nicht ausschließlich um ein Ringen um politische und wirtschaftliche Einflusszonen. Es geht auch darum, welche Spielregeln auf den Energiemärkten im Besonderen und in der Welt von morgen im Allgemeinen gelten sollen. Dabei stehen sich zwei Philosophien gegenüber: eine neue Großmachtpolitik, wie sie die USA durch die militärische und politische Neuordnung des Nahen Ostens, wie sie Russland und China durch die expansive Politik ihrer staatlichen Energiekonzerne in Afrika und Zentralasien betreiben; oder eine Politik, die – um Ressourcenkonflikte zu entschärfen – auf Klimaschutz, Energieeinsparung, erneuerbare Energien und internationale Kooperation setzt.
Russland hat eine Schlüsselstellung für die zukünftige Energieversorgung Europas und Asiens. Deswegen ist es wichtig, zu verstehen, wohin Russland steuert und wer die Männer sind, die zurzeit im Kreml das Sagen haben. Russlands innenpolitische Entwicklung hat auch Auswirkungen auf sein Verhalten gegenüber seinen Nachbarn und dem Rest der Welt. Wie zu Sowjetzeiten gehen eine immer autokratischere Innen- und eine imperiale Außenpolitik Hand in Hand. Dabei setzt die neue russische Großmachtpolitik auf die Macht von Gazprom, nicht auf die Waffen der Roten Armee. Die Europäische Union muss sich entscheiden, wie sie mit dem unheimlichen Koloss in ihrer Nachbarschaft umgehen will. Wird Russland zum strategischen Partner, wie es in den wohllautenden Erklärungen europäischer Gipfeltreffen immer heißt, oder wächst im Osten ein Konkurrent und Gegner heran, gegen den Europa sich politisch und wirtschaftlich rüsten muss?
Auch für China und Indien, die beiden aufstrebenden Mächte des 21. Jahrhunderts, gehören Energie- und Außenpolitik eng zusammen. Die Region und ihr dynamisches Wirtschaftswachstum sind höchst abhängig von Energieimporten, sowohl aus dem Nahen Osten als auch aus Russland und Zentralasien. Die asiatischen Schwellenländer und ihre Ökonomien reagieren deshalb auf Krisen und Kriege in diesen Regionen höchst empfindlich.
Die meisten Öl- und Gasvorkommen in der Region selbst liegen unter dem Meeresspiegel. Die Oberhoheit über diese Gebiete ist heiß umkämpft und sorgt dafür, dass die Spannungen zwischen China und seinen Nachbarn steigen und regionale Kooperation auf anderen Gebieten erschwert wird. Chinas staatliche Ölkonzerne drängen zudem mit hoher Aggressivität auf den Weltmarkt, ohne Rücksicht auf Umweltprobleme und Menschenrechte zu nehmen.
Die Europäische Union ist die größte Wirtschaftsmacht der Welt, verfolgt aber bisher keine eigenständige Energiepolitik. Ohne eine gemeinsame europäische Energiepolitik kann es aber auch keine überzeugende EU-Außenpolitik geben. Sonst bleibt die EU in einer zentralen ökonomischen Überlebensfrage erpressbar. Da Europa auf absehbare Zeit von Energieexporten aus seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft abhängig sein wird, darf die gemeinsame Energiepolitik sich nicht auf die EU im engeren Sinne beschränken, sondern muss die angrenzenden Länder Osteuropas sowie des Nahen und Mittleren Ostens einbeziehen. Entscheidend dabei ist das Verhältnis der EU zu Russland. So wie Russland den Doppelkontinent Eurasien geografisch verbindet, so verknüpfen der Energietransport und Handel Eurasien nicht nur wirtschaftlich, sondern zunehmend auch politisch miteinander. Weitere Schlüsselländer sind dabei die Ukraine, die Türkei und die Staaten des südlichen Kaukasus. Sie dienen als politische Brücke und Transitländer für den Energieimport in die EU. Deshalb müssen diese Länder politisch und wirtschaftlich stärker an die EU herangeführt werden.
Europas Energiepolitik muss aber auch Alternativen zu der wachsenden Abhängigkeit von Energieimporten aus seinen Nachbarregionen entwickeln. Dazu gehört, die Energieeffizienz der europäischen Wirtschaft weiter zu verbessern und die Führungsrolle des alten Kontinents bei den erneuerbaren Energien weiter auszubauen.
Auf der Suche nach den letzten Öl- und Gasvorkommen des Planeten geraten sowohl Umwelt als auch Demokratie unter Druck. In der Arktis, auf den Weltmeeren, in tropischen und nordischen Wäldern wird bisher unberührte Natur durch den Rohstoffabbau bedroht. Für den Transport von Öl und Gas werden neue Schneisen durch Gebirge, Eis und Wälder geschlagen. Giftige Abfälle und Unfälle bedrohen einheimische Tier- und Pflanzenarten und entziehen der einheimischen Land- und Jagdwirtschaft damit die Grundlage. Die Menschen vor Ort werden meist nicht gefragt, wenn das Energieministerium aus der Hauptstadt oder der multinationale Ölkonzern aus dem Ausland bei ihnen bauen und investieren.
Wo das Öl regiert, kommt die lokale Mitbestimmung meist zu kurz. Die Verletzung von Menschenrechten und die Störung traditioneller Lebensweisen der einheimischen Bevölkerung