Griffiths hatte Schuster von seinen spirituellen Übungen erzählt und ihm gebeichtet, dass er mit der konventionellen Drogenforschung immer unzufriedener sei.
«Du solltest mit diesem Mann mal reden», sagte Schuster. «Sie haben interessante Ideen zur Arbeit mit Entheogenen, vielleicht gibt es zwischen euch ja Gemeinsamkeiten.»
Wenn die Geschichte der zweiten Welle der Psychedelik-Forschung dereinst geschrieben ist, wird man Bob Jesse als einen von zwei wissenschaftlichen Außenseitern – ja sogar Laien und brillanten Exzentrikern – ansehen, die unermüdlich, oft hinter den Kulissen, daran arbeiteten, alles auf den Weg zu bringen. Beide fanden ihre Berufung nach umwälzenden psychedelischen Erfahrungen, die sie davon überzeugten, dass diese Substanzen das Potenzial hatten, nicht nur Einzelne, sondern die Menschheit als Ganzes zu heilen, und der beste Weg zur Rehabilitierung der Substanzen glaubwürdige wissenschaftliche Forschung war. In vielen Fällen dachten sich diese unausgebildeten Forscher zuerst die Experimente aus und suchten (und finanzierten) danach die Wissenschaftler, die sie durchführen sollten. Oft finden sich ihre Namen auf den Publikationen, gewöhnlich an letzter Stelle.
Rick Doblin ist schon länger dabei und auch der Bekanntere von den beiden. Doblin gründete in den dunklen Tagen von 1986 – dem Jahr nach dem Verbot von MDMA, einer Zeit, in der die meisten klügeren Köpfe überzeugt waren, dass die Wiederbelebung der Psychedelik-Forschung eine hoffnungslose Angelegenheit sei – die Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS).
Der 1953 geborene Doblin ist ein zotteliger, äußerst hartnäckiger Typ; seit er 1987 am New College in Florida seinen Abschluss machte, betreibt er Lobbyarbeit, um die Regierung umzustimmen. Nachdem er als Student mit LSD und später mit MDMA experimentierte, kam Doblin zu dem Schluss, dass es seine Berufung sei, Psychedelik-Therapeut zu werden. Doch 1985 rückte dieser Traum mit dem Verbot von MDMA in unerreichbare Ferne, solange sich die Bundesgesetze und -verordnungen nicht änderten, deshalb beschloss er, an der Kennedy School in Harvard erst mal einen Doktor in Politikwissenschaften zu machen. Dort erlernte er die Feinheiten des staatlichen Freigabeverfahrens für Arzneimittel, und in seiner Dissertation kartierte er den mühseligen Weg zur amtlichen Zulassung, dem Psilocybin und MDMA inzwischen folgen.
Doblin ist entwaffnend, vielleicht auch hoffnungslos freimütig und froh, offen mit einem Reporter über seine prägenden psychedelischen Erfahrungen und seine politische Taktik und Strategie sprechen zu können. Genau wie Timothy Leary ist er ein unbekümmerter Kämpfer, der immer lächelt und eine Begeisterung für seine Arbeit an den Tag legt, die man von jemandem, der sein ganzes Erwachsenenleben gegen dieselbe Mauer angerannt ist, nicht erwarten würde. Doblin arbeitet in einem ziemlich Dickens-mäßigen Büro im Dachgeschoss seines großen, im Kolonialstil gebauten Hauses in Belmont, Massachusetts, an einem Schreibtisch, auf dem sich wacklige Berge aus Manuskripten, Zeitschriftenartikeln, Fotos und Memorabilien stapeln, die mehr als vierzig Jahre weit zurückreichen. Einige der Memorabilien erinnern an den Anfang seiner Karriere, als Doblin zu dem Schluss kam, der Streit der Religionen ließe sich am besten beenden, indem er den spirituellen Führern auf der Welt Ecstasy-Tabletten schickte, die dafür berühmt waren, Barrieren zwischen den Menschen niederzureißen und ihr Einfühlungsvermögen zu wecken. Etwa zur selben Zeit plante er, tausend Rationen MDMA an sowjetische Militärangehörige zu schicken, die an den Rüstungskontrollverhandlungen mit Präsident Reagan beteiligt waren.
Für Doblin ist die staatliche Zulassung von Psychedelika für medizinische Zwecke – die seiner Meinung nach für MDMA und Psilocybin bald kommen dürfte – nur ein weiterer Schritt zu einem ehrgeizigeren und umstritteneren Ziel: die Einbindung von Psychedelika in die amerikanische Gesellschaft und Kultur, nicht nur in die Medizin. Das ist die gleiche Erfolgsstrategie, die die Kampagne zur Entkriminalisierung von Marihuana verfolgte, in der die Betonung des medizinischen Nutzens von Cannabis das Image der Droge verbesserte und zu einer größeren öffentlichen Akzeptanz führte.
Wenig überraschend, dass solche Äußerungen vorsichtigeren Leuten in der Community (darunter auch Bob Jesse) zu schaffen machen, aber Rick Doblin ist niemand, der sich mit seiner Agenda zurückhält oder auch nur daran denkt, ein Interview vertraulich zu halten. Das verschafft ihm die Aufmerksamkeit der Presse; wie hilfreich es für die Sache ist, darüber lässt sich streiten. Doch es steht außer Frage, dass es Doblin, besonders in den letzten Jahren, gelang, die Genehmigung und Finanzierung wichtiger Forschung zu erreichen, speziell im Fall von MDMA, auf das MAPS lange das Hauptaugenmerk legte. MAPS hat mehrere klinische Studien gesponsert, die den Nutzen von MDMA bei der Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) nachgewiesen haben. (Doblin definiert den Begriff «Psychedelika» so großzügig, dass auch MDMA und sogar Cannabis darunter fallen, obwohl ihre Wirkweise im Gehirn sich von der klassischer Psychedelika stark unterscheidet.) Doch abgesehen davon, dass Psychedelika Patienten mit PTBS und anderen Indikationen helfen – MAPS finanziert eine klinische Studie an der UCLA, bei der autistische Erwachsene mit MDMA behandelt werden –, glaubt Doblin inbrünstig daran, dass Psychedelika die Menschheit zum Guten verändern können, indem sie eine spirituelle Dimension des Bewusstseins offenbaren, die uns, ungeachtet unseres religiösen Glaubens oder Unglaubens, allen gemeinsam ist. «Mystik», sagt er gern, «ist ein Gegengift für Fundamentalismus.»
Im Vergleich zu Rick Doblin ist Bob Jesse ein Mönch. Er ist inzwischen Mitte fünfzig und hat nichts Zotteliges oder Leichtfertiges an sich. Präzise, pressescheu und seine Worte mit der Pinzette auswählend, zieht er es vor, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu arbeiten – nach Möglichkeit in der Einzimmerhütte, in der er ganz allein in den zerklüfteten Hügeln nördlich von San Francisco wohnt, von allem abgekoppelt außer einer schnellen Internetverbindung.
«Bob Jesse hält die Fäden in der Hand», sagte mir Katherine Mac-Lean, eine Psychologin, die von 2009 bis 2013 in Roland Griffiths‘ Labor arbeitete. «Er ist der Visionär, der hinter den Kulissen agiert.»
Jesses minutiöser Wegbeschreibung folgend, fuhr ich von der Bay Area nordwärts und gelangte irgendwann in einem County, dessen Namen ich auf seinen Wunsch hin nicht nennen werde, ans Ende einer schmalen unbefestigten Straße. Ich parkte am Ausgangspunkt eines Wanderwegs, ging an den Schildern mit der Aufschrift «Zutritt verboten» vorbei und folgte einem bergauf führenden Pfad, der mich zu seinem malerischen Gipfellager führte. Ich hatte das Gefühl, einen Zauberer zu besuchen. Die ordentliche kleine Hütte ist für zwei Personen sehr eng, weshalb Jesse draußen zwischen Tannen und Felsblöcken bequeme Sofas, Stühle und Tische aufgestellt hat. Er hat auch eine Außenküche und, auf einer Felsbank, die einen spektakulären Blick auf die Berge bietet, eine Dusche gebaut, die einem das Gefühl vermitteln, sich in einem nach außen gestülpten Haus zu befinden.
Wir verbrachten den größten Teil eines Frühlingstages in seinem Freiluft-Wohnzimmer, tranken Kräutertee und sprachen über seine deutlich stillere Kampagne zur Rehabilitierung von Psychedelika – ein Gesamtkonzept, in dem Roland Griffiths eine wichtige Rolle spielt. «Ich bin ziemlich kamerascheu», begann er, «also bitte keine Fotos oder sonstigen Aufzeichnungen.»
Jesse ist schlank und drahtig, hat einen nahezu quadratischen Kopf mit kurz geschnittenem grauem Haar und trägt eine rechteckige randlose Brille, die auf unaufdringliche Weise modisch wirkt. Er lächelt nur selten und hat etwas von dem steifen Auftreten, das ich mit Ingenieuren verbinde, doch mitunter zeigt er überraschende Gefühlsaufwallungen, die er sofort erläutert: «Sie dürften bemerkt haben, dass mir beim Nachdenken über dieses Thema die Augen tränten. Lassen Sie mich erklären, warum …» Er wählt nicht nur seine eigenen Worte sehr sorgfältig, sondern erwartet dies auch von seinem Gesprächspartner und unterbrach mich beispielsweise mitten im Satz, als ich gedankenlos den Begriff «Freizeitkonsum» benutzte. «Vielleicht sollten wir diesen Begriff noch mal prüfen. Normalerweise wird er benutzt, um eine Erfahrung zu trivialisieren. Aber warum? In seiner buchstäblichen Bedeutung meint das Wort ‹Freizeit› etwas ganz und gar nicht Triviales. Dazu ließe sich noch vieles sagen, aber wir sollten dieses Thema ein andermal vertiefen. Fahren Sie bitte fort.» Meine Notizen zeigen, dass Jesse unser erstes Gespräch ein halbes Dutzend Mal unterbrach.
Jesse wuchs in der Nähe von Baltimore auf und besuchte