Während eines Sabbatjahres (er würde Oracle 1996 endgültig verlassen) gründete Jesse mit dem Ziel, «die unmittelbare Erfahrung des Heiligen einer größeren Anzahl von Menschen zugänglich zu machen», eine gemeinnützige Organisation, die Council on Spiritual Practices (CSP) hieß. Die Website spielt die Tatsache herunter, dass die Organisation sich für Entheogene – Bob Jesses bevorzugte Bezeichnung für Psychedelika – einsetzt, doch ihre Mission wird angedeutet: «Methoden für grundlegende religiöse Erfahrungen zu finden und zu entwickeln, die sicher und wirkungsvoll angewandt werden können.» Die Website (csp.org) bietet eine hervorragende Bibliografie der Psychedelik-Forschung und regelmäßige Updates zu der Arbeit, die an der Johns Hopkins University im Gange ist. Der CSP unterstützte später auch die Klage der UDV, die zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2006 führte.
Der Council on Spiritual Practices erwuchs aus Jesses systematischer Erkundung der psychedelischen Literatur und der psychedelischen Community in der Bay Area nach seinem Umzug nach San Francisco. Auf seine wohlüberlegte, leicht zwanghafte und überaus höfliche Art nahm Jesse Kontakt mit den zahlreichen «psychedelischen Größen» in der Region auf – eine Vielzahl unterschiedlichster Persönlichkeiten, die sich in den Jahren vor 1970 in Forschung und Therapie engagiert hatten, bevor die meisten Drogen mit der Verabschiedung des Betäubungsmittelgesetzes und der Einstufung von LSD und Psilocybin als Schedule-One-Substanzen mit hohem Missbrauchspotenzial und ohne anerkannten medizinischen Nutzen verboten wurden. Darunter war etwa James Fadiman, der in Stanford ausgebildete Psychologe, der an der International Foundation for Advanced Study in Menlo Park eine bahnbrechende Forschung über Psychedelika und Problemlösung betrieben hatte, bis die Arzneimittelzulassungsbehörde die Arbeit der Gruppe 1966 stoppte. (Anfang der 1960er Jahre war die Psychedelik-Forschung in Stanford mindestens so intensiv wie in Harvard; es gab nur niemandem vom Kaliber eines Timothy Leary, der sich darüber öffentlich verbreitet hätte.) Dann war da noch Fadimans Institutskollege Myron Stolaroff, ein berühmter Elektroingenieur im Silicon Valley, der als leitender Angestellter bei Ampex, dem Hersteller von Tonbandgeräten, arbeitete, bis ihn ein LSD-Trip dazu anregte, (genau wie Bob Jesse) seinen Beruf aufzugeben und Psychedelik-Forscher und Therapeut zu werden. Es gelang Jesse auch, in den inneren Kreis von Sasha und Ann Shulgin vorzudringen, die in der Bay Area legendäre Figuren waren und allwöchentlich ein Abendessen für Therapeuten, Wissenschaftler und andere Psychedelikinteressierte veranstalteten. (Sasha Shulgin, der 2014 starb, war ein brillanter Chemiker, der mit Erlaubnis der Drogenbehörde neue psychedelische Substanzen synthetisierte, was er in gewaltigem Ausmaß tat. Er war auch der Erste, der MDMA synthetisierte, seit es 1912 von Merck patentiert und danach vergessen worden war. Als er die psychoaktiven Eigenschaften erkannte, machte er die psychotherapeutische Community der Bay Area mit dem sogenannten «Empathogen» bekannt. Erst später wurde es zu der als Ecstasy bekannten Klubdroge.) Und Jesse schloss Freundschaft mit Huston Smith, dem Religionswissenschaftler, der sich dem spirituellen Potenzial der Psychedelika geöffnet hatte, weil er 1962 als Dozent am Massachusetts Institute of Technology (MIT) freiwillig am Karfreitagsexperiment teilnahm und fortan überzeugt war, dass sich eine durch Drogen ausgelöste mystische Erfahrung nicht von anderen unterschied.
Mithilfe dieser «Größen» und seiner eigenen Lektüre begann Jesse den großen Fundus der früheren Psychedelik-Forschung zutage zu fördern, der der Wissenschaft größtenteils verlorengegangen war. Er fand heraus, dass es vor 1965 mehr als eintausend wissenschaftliche Arbeiten über psychedelische Drogentherapie mit mehr als vierzigtausend Forschungsthemen gegeben hatte.22 Von den fünfziger Jahren bis Anfang der siebziger Jahre hatte man psychedelische Substanzen zur Behandlung verschiedener Leiden benutzt – darunter Alkoholismus, Depressionen, Zwangsneurosen und Angst am Ende des Lebens –, oft mit beeindruckenden Ergebnissen. Doch nur wenige der Studien waren nach heutigen Maßstäben gut kontrolliert, und manche wurden durch die Begeisterung der beteiligten Forscher beeinträchtigt.
Von noch größerem Interesse war für Bob Jesse die frühe Forschung, die das Potenzial untersuchte, das Psychedelika für einen Bereich hatten, den er, markant formuliert, als «Besserung Gesunder» bezeichnete. Es hatte Studien zu künstlerischer und wissenschaftlicher Kreativität und Spiritualität bei «gesunden Normalen» gegeben. Die berühmteste war das Karfreitags- oder Marsh-Chapel-Experiment, 1962 von Walter Pahnke durchgeführt, einem Psychiater und Theologen, der unter Timothy Leary in Harvard an seiner Dissertation arbeitete.23 In seinem Doppelblindexperiment wurde zwanzig Theologiestudenten während eines Karfreitagsgottesdienstes in der Marsh Chapel auf dem Campus der Boston University eine mit weißem Pulver gefüllte Kapsel verabreicht, von denen zehn Psilocybin enthielten und zehn ein «aktives Placebo» waren – in diesem Fall Niacin, das ein Kribbeln hervorruft. Acht von den zehn Studenten, die Psilocybin erhalten hatten, berichteten von einer eindringlichen mystischen Erfahrung, während es in der Kontrollgruppe nur einer war. (Es war nicht schwierig, die beiden Gruppen auseinanderzuhalten, was den Doppelblindversuch eigentlich entwertete: Die Placebo-Probanden saßen ruhig auf ihrer Bank, während die anderen sich hinlegten oder in der Kirche umherspazierten und etwas wie «Gott ist überall» oder «Oh, welche Herrlichkeit!» vor sich hin murmelten.) Pahnke kam zu dem Schluss, dass die Erfahrungen derjenigen, die das Psilocybin erhalten hatten, von klassischen, in der Literatur geschilderten mystischen Erfahrungen «kaum zu unterscheiden, wenn nicht gar identisch mit ihnen» waren. Huston Smith stimmte zu. «Bis zum Karfreitagsexperiment», sagte er 1996 in einem Interview, «war ich Gott noch nie persönlich begegnet».24
1986 führte Rick Doblin eine Folgestudie zum Karfreitagsexperiment durch, bei der er fast alle Theologiestudenten, denen in der Marsh Chapel Psilocybin verabreicht worden war, ausfindig machte und interviewte.25 Die meisten berichteten, die Erfahrung habe ihr Leben und ihre Arbeit tiefgehend und dauerhaft verändert. Doch er fand schwere Mängel in dem von Pahnke veröffentlichten Bericht: So hatte Pahnke es versäumt zu erwähnen, dass mehrere Probanden im Verlauf des Experiments mit akuter Angst zu kämpfen hatten. Einer musste, nachdem er in der Überzeugung, er sei dazu auserwählt, die Ankunft des Messias zu verkünden, aus der Kirche geflüchtet und die Commonwealth Avenue entlanggelaufen war, festgehalten werden und bekam das starke Neuroleptikum Thorazin gespritzt.
In dieser und einer zweiten Begutachtung eines weiteren von Timothy Leary begleiteten Experiments zur Rückfälligkeit im Concord State Prison hatte Doblin beunruhigende Fragen zur Qualität der im Harvard Psilocybin Project durchgeführten Forschung aufgeworfen, die darauf hindeuteten, dass die Begeisterung der Experimentatoren die berichteten Ergebnisse negativ beeinflusst hatte.26 Sollte diese Forschung wiederbelebt und ernst genommen werden, schloss Jesse, musste sie mit entschieden größerer Genauigkeit und Objektivität durchgeführt werden. Dennoch waren die Ergebnisse des Karfreitagsexperiments äußerst anregend und, wie Bob Jesse und Roland Griffiths schon bald feststellen sollten, den Versuch wert, sie zu reproduzieren.
Die frühen neunziger Jahre verbrachte Bob Jesse damit, das verloren gegangene Wissen über Psychedelika auszugraben, als die offizielle Forschung gestoppt wurde und die inoffizielle in den Untergrund ging. Dabei ähnelte er jenen Renaissance-Gelehrten, die die verlorene Welt klassischen Denkens in einer Handvoll in Klöstern gehorteten Manuskripten wiederentdeckten. Doch war in diesem Fall wesentlich weniger Zeit verstrichen und das Wissen noch in wissenschaftlichen Arbeiten in Bibliotheken und Datenbanken zugänglich, die man nur durchsuchen musste, oder erhalten in den Köpfen von Leuten wie James Fadiman, Myron Stolaroff und Willis Harman (ein weiterer Ingenieur aus der Bay Area, der sich in einen Psychedelik-Forscher verwandelt hatte), die noch am Leben waren und die man nur danach fragen musste. Aber wenn es heute einen Ort gibt, der dem mittelalterlichen Kloster entspricht, wo die Welt des klassischen Denkens vor dem Vergessen bewahrt wurde, einen Ort, an dem die flackernde Flamme psychedelischen Wissens während der dunklen Zeiten beharrlich am Leben gehalten wurde, dann ist das Esalen, das legendäre spirituelle