Das erste Ereignis, das zurück, aber auch nach vorn blickte wie ein historisches Scharnier, war der hundertste Geburtstag von Albert Hofmann, des Schweizer Chemikers, der 1943 zufällig entdeckte, dass er (fünf Jahre vorher) das psychoaktive Molekül entdeckt hatte, das unter dem Namen LSD bekannt wurde. Das war insofern ein ungewöhnliches Jubiläum, als der Gefeierte persönlich anwesend war. An der Schwelle zu seinem zweiten Jahrhundert war Hofmann in erstaunlich guter Verfassung, körperlich und geistig rüstig, und konnte bei den Festlichkeiten, die eine Geburtstagsfeier und ein dreitägiges Symposium umfassten, eine aktive Rolle übernehmen.1 Die Eröffnungszeremonie des Symposiums fand am 13. Januar statt, zwei Tage nach Hofmanns hundertstem Geburtstag (er wurde hundertzwei Jahre alt). Zweitausend Menschen füllten den Saal im Congress Center Basel und erhoben sich, um zu applaudieren, als ein gebeugter, hagerer Mann in dunklem Anzug und Krawatte, der kaum eins fünfzig groß war, langsam die Bühne überquerte und Platz nahm.
Zweihundert Journalisten aus aller Welt waren im Saal, zusammen mit mehr als tausend Heilern, Suchenden, Mystikern, Psychiatern, Pharmakologen, Bewusstseinsforschern und Neurowissenschaftlern, die meisten von ihnen Menschen, deren Leben durch das außergewöhnliche Molekül, das dieser Mann ein halbes Jahrhundert vorher aus einem Pilz gewonnen hatte, tief greifend verändert worden war. Sie waren gekommen, um ihn und etwas zu feiern, das sein Freund, der Schweizer Schriftsteller und Psychiater Walter Vogt, «die einzige heitere Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts»2 nannte. Die Menschen im Saal empfanden das nicht als Übertreibung. Einem der anwesenden amerikanischen Wissenschaftler zufolge waren viele gekommen, um Albert Hofmann «zu huldigen», und die Veranstaltung hatte tatsächlich etwas von einem religiösen Fest.
Obwohl so gut wie alle Leute im Saal die Geschichte von der Entdeckung des LSD auswendig kannten, wurde Hofmann gebeten, den Schöpfungsmythos noch einmal vorzutragen. (Er erzählt die Geschichte einprägsam in seiner Autobiografie von 1979: LSD – mein Sorgenkind.) Als junger Chemiker arbeitete Hofmann in einer Abteilung der Sandoz-Labore, die damit betraut war, die Inhaltsstoffe von Heilpflanzen zu isolieren, um neue Medikamente zu finden, und hatte die Aufgabe, die Moleküle in den im Mutterkorn enthaltenen Alkaloiden zu synthetisieren.3 Mutterkorn ist ein Pilz, der Getreide, vor allem Roggen, befallen und Menschen, die von dem daraus hergestellten Brot essen, in einen Zustand der Verrücktheit oder Besessenheit versetzen kann. (Eine Theorie zu den Hexenprozessen in Salem macht eine Mutterkornvergiftung für das Verhalten der angeklagten Frauen verantwortlich.) Doch Hebammen verwendeten Mutterkorn schon seit Langem, um die Wehen einzuleiten und die Blutung nach der Geburt zu stillen, deshalb hoffte Sandoz, aus den Alkaloiden des Pilzes ein vermarktbares Medikament isolieren zu können. Im Herbst 1938 stellte Hofmann das fünfundzwanzigste Molekül in dieser Reihe her und nannte es Lysergsäurediethylamid oder kurz LSD-25. Vorausgehende Tierversuche mit der Substanz waren nicht besonders vielversprechend gewesen (die Tiere waren unruhig geworden, aber das war schon alles), deshalb wurde die Formel für LSD-25 beiseitegelegt.
Und so blieb es fünf Jahre lang, bis zu einem Tag im April 1943, mitten im Krieg, als Hofmann «die merkwürdige Ahnung» hatte, dass LSD-25 einen zweiten Blick verdiente.4 An dieser Stelle nimmt sein Bericht eine mystische Wendung. Wenn eine Substanz, die nicht vielversprechend war, verworfen wurde, war das normalerweise endgültig. Doch Hofmann gefiel die chemische Struktur der Substanz LSD, und irgendwas sagte ihm, «dieser Stoff könnte noch andere als nur die bei der ersten Untersuchung festgestellten Wirkungsqualitäten besitzen».5 Zu einer weiteren rätselhaften Anomalie kam es, als er das LSD-25 zum zweiten Mal synthetisierte. Trotz der peniblen Vorsichtsmaßnahmen, die Hofmann stets traf, wenn er mit einer so giftigen Substanz wie Mutterkorn arbeitete, muss er etwas von der Chemikalie durch die Haut aufgenommen haben, denn «[ich] wurde in meiner Arbeit durch ungewöhnliche Empfindungen gestört».6
Hofmann fuhr nach Hause, legte sich aufs Sofa, und in einem «Dämmerzustand bei geschlossenen Augen … drangen ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel auf mich ein».7 Und so spielt sich in der neutralen Schweiz, in den dunkelsten Tagen des Zweiten Weltkriegs, der erste LSD-Trip der Welt ab. Es ist auch der einzige LSD-Trip, den jemand nahm, ohne irgendwelche Erwartungen daran zu knüpfen.
Fasziniert beschloss Hofmann ein paar Tage später, einen Selbstversuch durchzuführen – damals keine ungewöhnliche Vorgehensweise. Er glaubte, extrem vorsichtig vorzugehen, und nahm 0,25 Milligramm – ein Milligramm ist ein Tausendstel Gramm – in einem Glas Wasser aufgelöstes LSD ein. Das wäre bei jeder anderen Droge eine unbedeutende Dosis, doch wie sich herausgestellt hat, ist LSD eine der stärksten psychoaktiven Substanzen, die je entdeckt wurden, und wirkt schon in Dosen, die in Mikrogramm gemessen werden – d. h. einem Tausendstel Milligramm. Dieser erstaunliche Umstand sollte die Wissenschaft schon bald dazu anregen, letztlich erfolgreich nach den Gehirnrezeptoren und der endogenen Chemikalie – Serotonin – zu suchen, die sie wie ein Schlüssel im Schloss aktiviert, um erklären zu können, wie eine so kleine Anzahl von Molekülen eine so tief greifende Wirkung auf den Geist haben kann. Auf diese Weise half Hofmanns Entdeckung, die moderne Gehirnforschung in den 1950er Jahren in Gang zu setzen.
Nun kommt es zum weltweit ersten LSD-Horrortrip, und Hofmann hat das Gefühl, unrettbar in Wahnsinn zu verfallen.8 Er sagt seiner Laborantin, er müsse nach Hause, und da die Nutzung von Automobilen während des Krieges eingeschränkt ist, schafft er es irgendwie mit dem Fahrrad nach Hause und legt sich dort hin, während die Laborantin einen Arzt verständigt. (Heute feiern LSD-Fans jedes Jahr am 19. April den «Fahrradtag».) Hofmann schildert, wie »vertraute Gegenstände und Möbelstücke groteske, meist bedrohliche Formen an[nahmen]. Sie waren in dauernder Bewegung, wie belebt, wie von innerer Unruhe erfüllt.»9 Er erlebte den Zerfall der Außenwelt und die Auflösung seines eigenen Ichs. »Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen. Ich sprang auf und schrie, um mich von ihm zu befreien, sank dann aber wieder machtlos auf das Sofa.»10 Hofmann gelangte zu der Überzeugung, dauerhaft verrückt zu werden oder vielleicht sogar im Sterben zu liegen. »Mein Ich hing irgendwo im Raum in der Schwebe und ich sah meinen Leib tot auf dem Sofa liegen.»11 Doch als der Arzt ihn untersuchte, stellte er fest, dass Hofmanns Vitalfunktionen – Herzschlag, Blutdruck, Atmung – völlig normal waren. Das einzige Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte, waren seine extrem geweiteten Pupillen.
Sobald die akute Wirkung nachließ, verspürte Hofmann das «Nachglühen», das einer psychedelischen Erfahrung oft folgt, das genaue Gegenteil eines Katers. Als er nach einem Frühlingsregen in den Garten hinausging, »glitzerte und glänzte alles in einem frischen Licht. Die Welt war wie neu erschaffen.»12 Seither haben wir gelernt, dass die Psychedelika-Erfahrung stark von der eigenen Erwartung beeinflusst wird – keine andere Wirkstoffklasse ist in ihrer Wirkung beeinflussbarer. Da Hofmanns Erfahrungen mit LSD als einzige von vorangegangenen Berichten unbelastet sind, ist es interessant zu sehen, dass sie weder fernöstliche noch christliche Anklänge aufweisen, die schon bald zu den Gepflogenheiten des Genres gehörten. Doch die Schilderungen, dass vertraute Gegenstände zum Leben erwachten und »die Welt wie neu erschaffen» wirkte – der gleiche verzückte adamische Moment, den Aldous Huxley ein Jahrzehnt später so anschaulich in Die Pforten der Wahrnehmung beschreiben sollte –, wurden zu Gemeinplätzen psychedelischer Erfahrung.
Hofmann kehrte mit der Überzeugung von seinem Trip zurück, dass erstens LSD ihn gefunden hatte statt umgekehrt und zweitens LSD eines Tages für die Medizin, insbesondere die Psychiatrie, von großem Wert sein würde, weil es der Forschung möglicherweise ein Modell der Schizophrenie lieferte. Ihm kam nie in den Sinn, dass sein «Sorgenkind», als das er LSD letztendlich betrachtete, auch zu einem «Genussmittel» und einer Droge werden könnte.
Doch Hofmann sah in dem Umstand, dass die Jugendkultur sich