Food Code. Olaf Deininger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Deininger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783956144486
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einfällt, glaubt man in der Innovationsabteilung von Miele nicht. Sie mögen die nötigen Innovationsspritzen für den smarten Haushalt der Zukunft bieten und Erfolg in einer bestimmten Nische haben, was ihnen allerdings fehle, sei der Gesamtblick. Nach den Großen der Tech-Szene gefragt, ist man in Gütersloh dagegen nachdenklicher. Wenn Amazon und Google für Kunden das Eingangstor in die digitale Welt darstellen, bestehe die Gefahr, dass Hersteller von Küchentechnik am Ende der Kette zum Lieferanten für die Datensammlung aus der Küche degradiert werden. Bei Miele setzt man deswegen auf das Qua litätsversprechen der Marke.

      Gerade in der Küche wird aus Big Data schnell Long Data, also Daten, die lange Zeit gespeichert werden.

      Momentan gehen viele Menschen noch eher sorglos mit ihren Daten um. Die Frage sei aber, sagt Napierala, wann sich das drehe. Seine Hypothese: Kunden denken immer mehr darüber nach, mit wem sie den Weg in die digitale Zukunft gehen wollen – auch in der Küche. Dann wird vielleicht am Ende aus »Made in Germany« »Safe in Germany« als neues digitales Qualitätsversprechen, prognostiziert er. Auch wenn andere »erst mal machen«, diese Ziele im Blick zu haben werde sich auszahlen, so Napierala.

      Gerade arbeitet das Team des Innovation Lab an einer Vermarktungsplattform für regionale Bio-Lebensmittel (freshtotable.de). Ein Investment in die Berliner Startup-App KptnCook brachte die Entwickler auf die Idee. Die Koch-App des Startups von Eva Hoefer und Alex Reeg schlägt ihren Nutzern jeden Tag drei neue Rezepte inklusive Zutaten und Videoanleitung zum Nachkochen vor. 13,4 Millionen Koch-Sessions finden so, laut KptnCook, jeden Monat statt. Das sind rund 48.000 am Tag. Auf Wunsch übermittelt die App auch gleich die Einkaufsliste an den Supermarkt um die Ecke. Doch der hat nicht immer alles. Deshalb sei die Frage aufgetaucht: Wie bekomme ich die tollen Lebensmittel aus den Rezepten von KptnCook nach Hause?

       Der Mixer macht Data-Mining

      »Kühlschrank und Ofen waren früher einfach Boxen, die kalt oder heiß waren. Sie werden jetzt zu Computern, zu Daten-Zentren in der Küche«, sagt Kevin Brown. Der Smart-Kitchen-Experte hält im Mai 2019 die Eröffnungsrede auf dem Global Food Innovation Summit in Mailand, der jährlich Tausende Innovator*innen aus der FoodTech-Welt in die norditalienische Metropole lockt, und präsentiert den Zuhörer*innen seine Plattform Innit, die er zusammen mit Eugenio Minvielle, dem vormaligen Geschäftsführer von Unilever in Nordamerika und Ex-CEO von Nestlé in Mexiko und Frankreich, gegründet hat. »Filme, Musik oder Mobilität – alles ist einfacher geworden«, stellt er in Hinblick auf neue digitale Möglichkeiten fest. Oft genüge nur noch das Drücken eines Knopfes und man komme an das gewünschte Ziel. »Doch was ist mit Essen?«, fragt er. »Da ist das nicht so einfach.« Oft muss man verschiedenste Apps öffnen, um an Rezepte zu kommen oder Zutaten zu bestellen. Hinzu kommt: »Früher rannte man durch die Gänge im Supermarkt, um Produkte mit dem richtigen Label zu finden. Jetzt gibt es Disruptoren wie Amazon oder Google, die die Handelswelt auf den Kopf stellen.« Und in der Küche? Um aus Küchengeräten Computer zu machen, reiche heute ein WiFi-Chip, der nicht mehr als fünf Dollar kostet, stellt Brown fest. »Die Frage ist, wie das alles zusammenkommt. Wie sieht das kulinarische GPS-System aus, das dich vom Einkaufen zum Kochen begleitet?« Seine Plattform soll genau das schaffen: Gerätehersteller und Händler vernetzen. Sie soll die Zusammenarbeit vom Einzelhändler über den Ofenhersteller bis zum Lebensmittelproduzenten möglich machen. »Bislang wurde viel über die smarte Küche geredet – jetzt kommt die Zeit, in der alles zusammenwächst«, gibt er sich am Ende seiner Rede hoffnungsfroh. Grundig, Google, Electrolux, Walmart und Phillips sind nur einige seiner Partner, die er stolz auf einer seiner letzten Präsentations folien zeigt.

      Einer dieser neuen Küchencomputer, die Kevin Brown aufgrund ihrer Ausgereiftheit einiges an Respekt abverlangen, wurde in Deutschland hergestellt. Genauer gesagt in Laaken, einer kleinen Siedlung im Osten von Wuppertal. Hier wurde in den 1970er-Jahren von der Firma Vorwerk der erste Vorläufer des Thermomix hergestellt, damals noch Heizmixer genannt. Zu den scharfen Messern, einem starken Motor und dem Heizelement kamen in den Neunzigern eine integrierte Waage sowie Temperatursensoren hinzu. Seit 2014 können Kunden das Gerät per Touchscreen steuern. Das neueste Modell ist der TM6.

      Neben Mixen, Rühren, Zerkleinern und Kochen beherrscht die aktuelle Version auch automatisches Fermentieren, Sous-vide- oder Dampfgaren und zwölf weitere Kochtechniken. Auch wenn das Gerät bislang keine Arme hat, wird der Themomix in einigen Onlineshops schon als »Küchenroboter« verkauft. Wenn man dem TM6 unter die Motorhaube schaut, versteht man, warum Experten wie Kevin Brown von neuen »Daten-Zentren« in der Küche sprechen.

      Das Gerät verfügt über einen 16 Gigabyte großen Flashspeicher, so viel wie ein kleines iPhone besitzt, und einen 1 GB großen Arbeitsspeicher. Zum Vergleich: Die beliebten ALDI-Computer Ende der Neunziger hatten nur ein Viertel dieses Speicherplatzes und weder WLAN- noch Bluetooth-Empfänger, die man heute serienmäßig in dem Küchenmixer findet. Ganz zu schweigen von einem der modernen Vierkern-Prozessoren, die heute im Herzen eines Thermomix den Takt angeben. Wozu braucht ein Küchenmixer diese digitale Ausstattung?

      »Thermomix macht dein Leben leichter und passt sich deinen Bedürfnissen an«, verspricht der Hersteller vollmundig. Dazu gehören 40.000 Rezepte, die per Werkseinstellung mit dabei sind. Für die Verwaltung und Planung von Frühstück, Mittag- und Abendessen existiert die App Cookidoo 2.0, die wie ein eigenes »Betriebssystem« für den Thermomix funktioniert. Sie zeichnet sämtliche Kochvorgänge und gekochten Gerichte auf. Mit ihr kann man die nächsten Wochen planen oder frühere Leibspeisen abrufen. Aus den Rezepten bastelt die App am Ende automatisch Einkaufslisten zum Abhaken. Sie zeigt auch an, welche Lebensmittel aus vorherigen Kochvorgängen noch in der Speisekammer vorhanden sein müssten.

      Für Vorwerk hat es sich gerechnet, dass sie auf die digitale Revolution in der Küche gesetzt haben. Die Umsätze mit dem Küchencomputer haben sich seit Erscheinen des Vorgängers TM5 verdoppelt. 2019 erlöst Vorwerk mit dem Gerät 1,375 Milliarden Euro. Verkauft wird es derzeit in 14 Ländern. Zuletzt kamen China und die USA hinzu. Während in Deutschland der Absatz rückläufig ist, gelten Asien und besonders China als neuer Wachstumsmarkt. Im Juni 2019 wurde bekannt, dass die Produktion von Motoren und Messern noch am Wupperufer verbleibt, ein Großteil der Produktion aber ab 2020 nach Shanghai verlegt wird.

      In China arbeitet das IoT-Start-up TecPal in Hongkong seit 2016 allerdings bereits an einer eigenen Version eines smarten Heizmixers. 2018 eröffnete man in Shenzhen eine Dependance auf dem chinesischen Festland. Ein Jahr später zeigte man das fertige Gerät Cooking Pal auf der weltweit größten Fachmesse für Unterhaltungselektronik, der CES in Las Vegas. 2020 gewann die neueste Version, vorgestellt als zentraler digitaler Knotenpunkt in der Küche, den »Innovation Award« der Messe in der Kategorie »Smart Home«. Eine rasante Entwicklung für Julia, so der Name der digitalen Assistentin im Inneren des Mixers von TecPal.

      Zum chinesischen Modell, das dem deutschen Thermomix durchaus ähnlich sieht, gehört ein Tablet mit einem 22 Zentimeter großen Bildschirm. Auf ihm kann man nicht nur passende Zubereitungs videos anschauen und die Zutatenliste einsehen. Das Gerät lässt sich auch während des Kochens herumtragen und beim Putzen oder Fernsehen steuern. Die eingebaute Kamera ermöglicht, das Gekochte beim Essen Instagram-würdig einzufangen. Aus Fotos von gerade herumliegenden Zutaten entwickelt Cooking Pal Julia dann per KI-Erkennung Vorschläge für passende Gerichte. Im Gegensatz zu Cookidoo kennt Julia momentan nur 500 Rezepte. Das Gerät hat allerdings Anbindung zum Amazon-Universum und kann per Sprache über Alexa oder den Google-Assistenten gesteuert und nach mehr Rezepten befragt werden. Anstatt wie bei der App des Thermomix nur abhak bare Einkaufslisten der Zutaten zusammenzustellen, verspricht das intelligente Kochsystem aus China die Lebensmittelbestellung gleich mit abzuwickeln. Das Gerät soll demnächst auf den Markt kommen und 450 Euro billiger sein als die deutsche Konkurrenz.

      Auch bei Vorwerk hat man sich weiterentwickelt und Ende 2019 eine Kooperation mit Drop, einem Start-up aus Irland, bekannt gegeben, das wie eine Art Windows für die smarte Küche funktionieren soll. Über das gleichnamige Programm sollen sich nicht nur Backofen und Thermomix verstehen können, sondern auch das Einkaufen von Lebensmitteln möglich werden. Millionen von Thermomix-Geräten weltweit