Der Begriff der Performativität liegt quer zu diesen Modellen, denn überall spielt das Machen als doing history eine zentrale Rolle. Der Fokus auf dieses Machen greift dabei zum einen reflexiv ein zentrales Element der frühen Public-History-Bewegungen auf und betont zum anderen die soziale Dimension des Praktizierens von Geschichte, die in jedem der Basisbegriffe (Geschichtskultur, Gedächtnis, Rezeption und Heritage) mehr oder minder ausgeprägt ist, aber in jüngster Zeit immer stärker betont wird.
Mit dem Begriff der Authentizität und dem Begriffspaar Erfahrung/Erlebnis fokussieren wir deduktiv die zwei größten Werbeversprechen gegenwärtiger Repräsentationen von Geschichte: kein Museum, kein Dokumentarfilm, kein Spiel, das heute nicht auf das Erlebnis Geschichte rekurriert und die Authentizität des eigenen Produktes bewirbt. Hier sollen die Begriffe gut verständlich erläutert und auf ihre analytische Schärfe hin befragt werden. So werden aus den Werbeversprechen Analysekategorien.
Die Begriffe Emotion und Imagination haben wir aufgenommen, weil sie – ähnlich wie Performativität – immer wieder Überschneidungen zu allen anderen Begriffsfeldern aufweisen. Authentizität kann nicht ohne den Bezug auf Emotionen und Imaginationen verstanden werden. Rezeption lässt sich ohne Imagination nicht beschreiben, Erinnerung nicht ohne Emotion denken. Beides sind Konzepte, die historischer Sinnbildung genauso wie historischer Vermittlung zugrunde liegen. Gerade die Emotionen werden in den letzten Jahren in Hinblick auf Attraktivität und Nachhaltigkeit historischer Erlebnisse immer präsenter und zugleich auch durch einen gewandelten geschichtswissenschaftlichen Diskurs gerahmt. Ohne sie lässt sich wiederum eines der zentralsten Felder dieses Buches nicht erklären: das Historische Denken.
Wir haben uns nach reiflicher Überlegung entschieden, hier nicht den Begriff der Vermittlung als Schlüsselbegriff der Public History zu präsentieren – wohl wissend, dass dieser Terminus außerhalb von Forschungsinstitutionen ein zentrales Arbeitsfeld von Public Historians bezeichnet und als solches beworben wird. Stattdessen stellen wir mit dem Historischen Denken einen Begriff in den Mittelpunkt, der unserer Meinung nach aktuell am besten erfasst, wie sich Menschen eigentlich systematisch Geschichte aneignen oder sich mit Geschichte auseinandersetzen. Dieser Begriff ist nicht nur hierarchiefreier als der Vermittlungsbegriff und verzichtet damit auf eine implizite Top-down-Perspektive, sondern er ist auch domänenspezifisch. Wir stellen hier also zentrale Theoreme und Prinzipien aus der Geschichtsdidaktik vor, weil wir der Überzeugung sind, dass sich so am besten Bildungsangebote qualitativ untersuchen und weiterführend gestalten lassen – und zwar dezidiert für den Bereich der Public History.
Uns ist bewusst, dass diese Auswahl keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und von anderen anders getroffen worden wäre, dass sie also nur das sein kann – ein exemplarischer und fokussierter Blick auf ein weites Themenspektrum. Viele zentrale Begriffe eröffnen ein Feld, das nicht ohne den Bezug zu oder eine Abgrenzung von anderen Begriffen auskommt. Wir haben uns in solchen Fällen für die Verwendung von Informationsboxen entschieden. Diese sind grau gekennzeichnet und fassen kurz und prägnant unser Verständnis dieser Begriffe und ihre Bezüge zu den von uns vorgestellten Schlüsselbegriffen zusammen. In jedem Artikel wird ein kurzer historiografischer Blick auf den jeweiligen Begriff und dahinterliegende Konzepte geworfen. Im Fokus steht aber die aktuelle Ausformung der Schlüsselbegriffe, die zunächst in ihrer theoretischen Tiefe und dann im Hinblick auf ihre spezifische Operationalisierung für die Public History systematisch befragt werden. Dabei präsentieren wir keine (vermeintlich) neutrale Beschreibung aller Ansätze, sondern wählen gezielt und deutend die Ansätze aus, die unserer Meinung nach entscheidend für eine gelingende transdisziplinäre Kommunikation im Feld der Public History sind. Unsere Beiträge verstehen sich daher immer auch als Teil eines aktuellen Forschungsdiskurses.
Dieses Buch ist als Einführung gedacht. Masterstudierende, für die in deutschsprachigen Ländern hauptsächlich Public-History-Studien angeboten werden, können sich so kompakt und über die eigene geschichtswissenschaftliche Teildisziplin hinaus schnell und sicher im Feld orientieren. Lehrende der Public History können dieses Buch ebenfalls nutzen, um gezielt einzelne, gegebenenfalls fachfremde Schlüsselbegriffe aufzugreifen und so über (teil-)disziplinäre Grenzen hinweg Denkmodelle transdisziplinär zu verorten und die facheigenen theoretischen Konzeptionen auf ihre Stärken, Leerstellen oder potenziellen Erweiterungen hin zu überprüfen. Wir haben in unserer Lehre die Erfahrung gemacht, dass sich auf diese Weise gerade transdisziplinäre Lehrveranstaltungen wesentlich besser planen und durchführen lassen, und hoffen, dass unser Buch auch hier einen positiven Beitrag für andere Lehrende innerhalb und außerhalb historischer Institute leisten kann. Die Beiträge zu den einzelnen Schlüsselbegriffen können also jeweils für sich gelesen werden. Sie sind in alphabetischer Reihenfolge gelistet und bedienen damit keine implizite Logik. Wo nötig, werden Bezüge zu den anderen Schlüsselbegriffen oder zu Informationsboxen an anderen Stellen hergestellt. Insofern kann ein Nachschlagen im Sach- und Personenregister hilfreich sein; prinzipiell sind alle Artikel jedoch auch so verständlich. Drei bis fünf Literaturtipps zum Ein- bzw. Weiterlesen schließen die jeweiligen Artikel zu den Schlüsselbegriffen ab, eine Gesamtbibliografie findet sich am Ende des Buches.
Unser Buch soll Interessierten unabhängig von der eigenen Hausdisziplin oder Expertise eine Einführung in grundlegende Denkmodelle und theoretische Ansätze der Public History geben und damit vor allem eines gewährleisten: eine kooperative und reflexive Kommunikation über Fachgrenzen hinweg, die eine gemeinsame Erforschung von Geschichte in der Öffentlichkeit fördert, die Public History als wissenschaftliche Disziplin stärkt und letztlich auch vielfältige positive Einflüsse auf Praxisfelder der Public History ermöglicht.
1 „In its simplest meaning, Public History refers to the employment of historians and the historical method outside of academia: in government, private corporations, the media, historical societies and museums, even in private practice. Public Historians are at work whenever, in their professional capacity, they are part of the public process. An issue needs to be resolved, a policy must be formed, the use of a resource or the direction of an activity must be more effectively planned – and an historian is called upon to bring in the dimension of time: this is Public History.“ Robert Kelley: Public History: Its Origins, Nature, and Prospects, in: The Public Historian 1/1 (1978), S. 16–28, hier S. 16.
2 Charles C. Cole, Jr.: Public History’s Influence on Historical Scholarship. Public History: What Difference Has it Made?, in: The Public Historian 16/4 (1994), S. 9–35, hier S. 11.
3 Faye Sayer: Public History. A Practical Guide, London 2015, S. 2.
4 Irmgard Zündorf: Zeitgeschichte und Public History (Version: 2.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte, 6.9.2016, DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok.2.699.v2.
5 Zum Beispiel Thomas Cauvin: Public History. A Textbook of practice, New York 2016; Sayer: Public History; Cherstin Lyon u. a.: Introduction to Public History. Interpreting the Past, Engaging Audiences, Lanham (MD) 2017; David Dean (Hg.): A Companion to Public History, Hoboken (NJ) 2018. Irmgard Zündorf und Martin Lücke stellen mit der ersten deutschsprachigen Einführung zumindest zwei Leitkonzepte (Geschichts- und Erinnerungskultur) vor, ohne diese Auswahl jedoch näher zu begründen, Martin Lücke/Irmgard Zündorf: Einführung in die Public History, Göttingen 2018.
6 Marko Demantowsky: What is Public History, in: ders. (Hg.): Public History and School. International Perspectives, Berlin/Boston 2018, S. 3–37, hier S. 26.
7 Siehe hierzu: Simone Rauthe: Public History in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, Essen 2001, S. 88 f.
8 Vgl. Juliane Tomann/Jacqueline Nießer: Public and Applied History in Germany – Just another Brick in the Wall of the Academic Ivory Tower?, in: The Public Historian, 41/4 (2018), S. 11–27, hier S. 18.
9 Einführend: Bernd Schönemann: Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft, in: Hilke Günther-Arndt (Hg.): Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, 5. Aufl., Berlin 2011, S. 11–22; Jörn Rüsen: Auf dem Weg zu einer Pragmatik der Geschichtskultur, in: Ulrich Baumgärtner/Waltraud Schreiber (Hg.): Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtsdidaktische Leitbegriffe in