Wir gehen mit dem vorliegenden Buch einen anderen Weg. Unser Ziel ist es, den Leser_innen anhand prägender Leitbegriffe eine Orientierung in den aus unterschiedlichen (Teil-)Disziplinen stammenden theoretischen Fundierungen der Public History zu bieten, diese zusammenzuführen und auf diese Weise die Beschäftigung mit der Public History als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft zu stärken. Wir gehen dabei von der ganz grundlegenden Beobachtung aus, dass Public History als Anglizismus in deutschsprachigen Ländern eingeführt wurde, weil sich der Begriff nicht ohne Weiteres übersetzen lässt. ‚Öffentliche Geschichte‘ als Terminus technicus stößt schnell an seine Grenzen, denn der Begriff der Öffentlichkeit ist gerade in geschichtswissenschaftlicher Perspektive in deutschsprachigen Ländern belegt – etwa durch das Spannungsverhältnis öffentlich/privat. ‚Öffentliche Geschichtsvermittlung‘ greift als Bezeichnung zu kurz, da der Begriff der ‚Vermittlung‘ einen Top-down-Prozess impliziert, der verschiedene Formen der Wissensaneignung in der Public History zu wenig berücksichtigt. Auch ‚angewandte Geschichte‘ lässt sich nicht als unmittelbare Übersetzung der US-amerikanischen applied history auffassen.7 Vielmehr wird damit ein spezifisches Feld der praktizierten Public History bezeichnet, nämlich das der Firmen- oder Unternehmensgeschichte. Darüber hinaus ist der Begriff vorbelastet durch seine Verwendung während des Nationalsozialismus. Hier sollte ‚angewandte Geschichte‘ vor allem für die NS-Ideologie nützliche (pseudo-)historische Argumente liefern, um die Eroberungs-und Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen Deutschlands zu stützen.8
Zudem zeigt sich schon bei einem oberflächlichen Blick auf die unterschiedlichen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft, dass Repräsentationen von Geschichte bereits unter spezifischen Bedingungen erforscht werden. So thematisiert die Alte Geschichte unter dem Begriff der Rezeption Modi der kulturellen Wiederaufnahme und Transformation von Personen und Phänomenen aus der Antike. Die Geschichtsdidaktik hat mit dem Begriff der Geschichtskultur geradezu paradigmatisch ihr Forschungsinteresse formuliert. Und vor allem die Neuere und die Zeitgeschichte haben die Begriffe des kollektiven Gedächtnisses und der Erinnerungskultur als innovative Modelle in die eigenen Forschungspraxen integriert. Aber auch jenseits der Geschichtswissenschaft wird sich mit Formen des ‚Geschichte-Machens‘ befasst: So stehen insbesondere Heritage/Kulturerbe oder auch Tradition im Fokus analytischer Betrachtung. Viele Diskurse sind über Jahrzehnte hinweg weitgehend isoliert voneinander geführt worden, obwohl die an ihnen beteiligten Wissenschaftler_innen ähnliche, ja gleiche Phänomene untersuchten. Der zentrale Gegenstand unseres Buches ist also einer, der in vielfältigsten Begriffen und von unterschiedlichen Disziplinen bereits erfasst, theoretisiert und modelliert wurde. Über ihn fachübergreifend zu sprechen und ihn transdisziplinär zu erforschen, setzt eine Auseinandersetzung mit diesen Begriffen voraus. Wir betrachten daher genau diese Termini als Schlüsselbegriffe der Public History und damit als theoretische Grundlage einer Wissenschaft von der Public History.
Wir verstehen die Public History in diesem Zusammenhang als Feld, in dem es um die Wissenschaft von der Kommunikation von Geschichte geht. Diese Minimaldefinition soll vor allem dazu dienen, die Praktiken und Performanzen und damit die multimodale Kommunikation von Geschichte als Forschungsobjekt sichtbar zu machen. Als Wissenschaft soll sie daher in Anlehnung an ein äußerst erfolgreiches Modell der Geschichtsdidaktik in die Bereiche Theorie, Empirie, Pragmatik und Norm der Public History unterteilt werden.9 Die theoretische Dimension der Public History bildet den Ort der Konzeptionalisierung ihrer Untersuchungsobjekte und ermöglicht eine intensive Diskussion weiterer Kernbegriffe, wie in diesem Buch exemplarisch gezeigt wird. Die empirische Dimension gibt im weitesten Sinne der Wirkungsforschung einen Ort, fragt nach Geschichtspraktiken, -vorstellungen und -narrativen von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen und untersucht verschiedenste Medien und Institutionen der Public History. Die pragmatische und normative Dimension der Public History kann ein Ort sein, an dem nicht nur über gesellschaftliche und immer auch ethische Ziele der Kommunikation von Geschichte diskutiert wird, sondern darüber hinaus wertvolle Impulssetzungen erfolgen, um über potenzielle Prinzipien oder allgemeine Qualitätsmerkmale von Produkten und Praktiken der Public History zu diskutieren.10
Dabei folgen wir einigen Grundannahmen, die die Koordinaten der Teildisziplin Public History bestimmen und die wir hier kurz skizzieren: In den vergangenen Jahren ist viel darüber diskutiert worden, wo die Public History als Forschungsgegenstand verortet werden soll – ist sie der Neueren Geschichte zuzuordnen oder der Geschichtsdidaktik? Ist sie eher als Untersuchungsfeld der historischen Kulturwissenschaft zu verstehen, weil sie so viele transdisziplinäre Elemente vereint? Wir sehen die Geschichtswissenschaft in ihrer Gänze als zentrale Bezugsdisziplin der Public History, denn es geht letztlich immer um spezifische Geschichte(n) in ihren unterschiedlichen Performanzen und Formen. Die Geschichtswissenschaft ist jedoch nicht die einzige Bezugsdisziplin, denn die Erforschung der Kommunikation von Geschichte ist ohne Impulse etwa aus den Medien- und Theaterwissenschaften, der Europäischen Ethnologie/Kulturanthropologie oder Archäologie nicht durchführbar. Wir betonen daher den transdisziplinären Charakter der Public History. Aus diesem Grund finden sich in unserem Buch vor allem Begriffe, die in den geschichtswissenschaftlichen Fächern Verwendung finden, um Repräsentationen von Geschichte zu erforschen. So stellen wir gleichsam eine Brücke für benachbarte Disziplinen her.
Public History ist weder an bestimmte Themen noch Epochen oder Räume gebunden. Sie kann sich in ihren vielfältigen Formen auf jeden Gegenstand, jede Epoche, jede Region und jede andere Schwerpunktsetzung innerhalb der Geschichtswissenschaft beziehen, weshalb sie keiner ihrer traditionellen Teildisziplinen zuzuordnen ist, sondern vielmehr ein übergreifendes und offenes Feld darstellt. Obwohl die Public History gerade in Deutschland viele ihrer wissenschaftlichen Impulse der Geschichtsdidaktik verdankt, ist sie auch kein genuines Element dieses Fachs. Sie geht zum einen über die zentralen Paradigmen des Geschichtsbewusstseins und der Geschichtskultur hinaus, indem sie systematisch nach der Bedeutung und dem Potenzial anderer theoretischer Konzeptionen fragt und diese nutzt. Zum anderen befördert sie zwar auch das Historische Denken, räumt diesem Aspekt aber keinen Primat ein, wie dies die Geschichtsdidaktik tut. Public History steht damit neben den traditionellen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft, ist aber gleichzeitig immer auch Teil von diesen – insofern als ein Spezialwissen aus diesen Teildisziplinen immer auch notwendig für die Erforschung der Kommunikation von Geschichte(n) ist.
Wir verstehen die Public History als wissenschaftliches Fach daher auch nicht im Widerspruch zu akademischen Geschichtsproduktionen. Diese begriffliche Frontstellung war gerade in der Entstehungsphase der Public History als Phänomenbe-schreibung und vor allem als Wertzuschreibung außerakademischer Geschichtsproduktion wichtig. Auch heute wird diese Unterscheidung vor allem als Wirkungs-feldbestimmung bemüht.11 Wir wenden uns jedoch aus zwei Gründen gegen die Exklusion von Wissenschafts- und Lehrinstitutionen aus dem Feld der Public History: Als Wissenschaft verstanden erforscht die Public History die Kommunikation von Geschichte in allen Räumen; das schließt Orte wie Universitäten, Akademien und Schulen insofern ein, als auch sie Teil des öffentlichen Diskurses von Geschichte sind. Die Kommunikation von Geschichte umfasst viele Akteur_innen in unterschiedlichsten Institutionen und mit unterschiedlichen Motiven und Zielen, die sich gegenseitig beeinflussen. Wir stellen damit nicht den Wert von nach wissenschaftlichen Kriterien erarbeiteter Geschichte in Frage, sondern wollen diese als Teil des Machens und Erlebens von Geschichte in den Diskurs einbeziehen, weil auch dies in der Gesellschaft stattfindet. Insofern hat die Public History als Disziplin auch das Potenzial, eine Reflexionsinstanz für andere Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft zu werden, ohne sich dabei auf das Eruieren der Tauglichkeit geschichtswissenschaftlicher Fragestellungen zur Gegenwartsorientierung zu beschränken oder beschränkt zu werden.
Dieser Band versammelt zehn Schlüsselbegriffe der Public History und ist damit ein Baustein für ihre Theoretisierung. Zentral sind dabei die Begriffe, die zunächst unseren Forschungsgegenstand genauer zu fassen suchen. Gedächtnis, Geschichtskultur, Rezeption und Heritage bzw. Kulturerbe waren für uns obligatorische Schlüssel- oder