Die Kooperationsbereiche wurden zunächst auf einen gemeinsamen Markt ausgedehnt (Römische Verträge, 1957 unterzeichnet, 1958 in Kraft getreten), dann um Kooperationen im Bereich Forschung und Technologie, Umwelt, Sozialpolitik, Außen‑ und Sicherheitspolitik erweitert (Einheitliche Europäische Akte, 1986 unterzeichnet, 1987 in Kraft getreten). Die Justiz- und Innenpolitik, polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Wirtschafts‑ und Währungsunion sind in den 1990er Jahren hinzugetreten (Maastrichter Vertrag, unterzeichnet 1992, in Kraft getreten 1993). Alle Verträge und Reformen gehen in den 2007 unterzeichneten und 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon ein.
Immer mehr Politikfelder liegen nun in der ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen UnionZuständigkeit der Europäischen Union, darunter gemäß Art. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV): Zollunion, Wettbewerbsregeln im Binnenmarkt, Währungspolitik, Handelspolitik. In weiteren Bereichen teilen sich die Europäische Union und die Mitgliedstaaten die Kompetenzen, darunter gemäß Art. 4 AEUV: Binnenmarkt, Sozialpolitik, Landwirtschaft und Fischerei, Umwelt, Verbraucherschutz, Verkehr, Energie, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Forschung und Technologie. Schließlich gibt es Bereiche, in denen die Europäische Union die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstützt und koordiniert, darunter gemäß Art. 6 AEUV: Gesundheit, Industrie, Kultur, Tourismus, Bildung, Verwaltungszusammenarbeit.
Doch auch die institutionelle Organisation unterlag tiefgreifenden Veränderungen. Von einer technokratischen Struktur der Montanunion (1952/1953), die zunächst ganz auf die Hohe Behörde (heute: Europäische Kommission) ausgerichtet war, wurde mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge (1957) ein System geschaffen, das die exekutiven Regierungsvertreter im Rat zu den Entscheidungsträgern der Gemeinschaft machte. Es folgte die Einführung der Direktwahl des Europäischen Parlaments (1979) und seit der Einheitlichen Europäischen Akte mit dem Kooperationsverfahren die stärkere Einbeziehung des Europäischen Parlaments als Gesetzgeber. Seit dem Lissabonner Vertrag (2009) sind Rat und Parlament in den meisten Politikbereichen gleichberechtigte Gesetzgeber. Europäische Politikentwicklung basiert nun überwiegend auf Vorschlägen der Kommission, die vom Rat der EU und vom Europäischen Parlament gelesen, geändert und beschlossen werden. Immer mehr Entscheidungen werden nun durch qualifizierte Mehrheiten statt nach dem lange im Rat dominierenden Einstimmigkeitsprinzip verabschiedet.
Fragen zu Grenzen und Asyl rückten ab den 1980er Jahren im Zuge der Schengen-Politik (ab 1984) und der Neuausrichtung der europäischen Integration mit der Einheitlichen Europäischen Akte (1985-1987) auf die Agenda der europäischen Politik.
Formal fällt die Grenz‑ und Asylpolitik unter die Justiz‑ und Innenpolitik eines Staates. Es handelt sich um eine der Kernkompetenzen des Staates, schließlich bedeutet die Kontrolle über die Einreise die Kompetenz, darüber zu entscheiden wer sich im Land aufhalten darf. Damit wird – gerade bei langfristigen Aufenthaltstiteln – auch über die Komposition der Gemeinschaft entschieden.
Unter diesen Vorzeichen ist es geradezu revolutionär, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit dem Schengener AbkommenSchengener Abkommen die Grundfreiheiten der Römischen Verträge von 1957 – freier Waren-, Dienstleistungs- Personen- und Kapitalverkehr – verwirklichten, indem sie Kontrollen an den gemeinsamen Landesgrenzen abschafften und zuließen, dass die Außengrenzen der kooperierenden Staaten zu Außengrenzen der Schengengemeinschaft und damit zu gemeinsamen Außengrenzen wurden.
2.1.1 Grenz- und Asylpolitik als Teil europäischer Justiz- und Innenpolitik
Grenz- und Asylpolitik werden klassischerweise dem Innenressort zugeordnet. Dies ist auch auf europäischer Ebene nicht anders. Doch die Bezeichnung entspricht nicht dem üblichen Sprachgebrauch: Im Vertrag von Lissabon wird die Innen- und JustizpolitikInnen- und Justizpolitik der Europäischen Union unter dem Titel Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zusammengefasst. Dazu zählen die Politik im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung, justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen sowie polizeiliche Zusammenarbeit (Kapitel 1-5 des Titels V, AEUV).
Die Politikfelder Grenze, Asyl und Einwanderung werden zwar gleichrangig aufgelistet, es gibt allerdings erhebliche Unterschiede bei den Kompetenzzuweisungen zwischen nationaler und europäischer Ebene. Während die Binnengrenzenpolitik ein Gemeinschaftsfeld ist, bleibt der Außengrenzschutz in der Souveränität der jeweiligen Mitgliedstaaten.
In der Einwanderungspolitik gibt es lediglich vereinzelte gemeinsame Ansätze wie die Blaue Karte, die hochqualifizierten Arbeitskräften den Aufenthalt im europäischen Raum für mehr als drei Monate ermöglichen soll (Richtlinie 2009/50/EG v. 25.5.2009). Überwiegend bleibt die Einwanderungspolitik jedoch in der Domäne der Mitgliedstaaten und ist dort als innenpolitisches Streitthema bekannt. Ebendiese politische Brisanz auf nationaler Ebene macht eine Europäisierung bis auf weiteres undenkbar.
Die Asylpolitik ist von den drei Bereichen das am weitesten entwickelte europäische Politikfeld. Von 1999 bis 2013 ist in zwei Etappen ein umfassendes Regelwerk entstanden, das alle Schritte eines Asylverfahrens von der Antragstellung bis zu den Rechten als anerkannter Flüchtling festlegt. Doch wie jedes europäisierte Politikfeld bleibt auch die Asylpolitik davon abhängig, dass die Mitgliedstaaten die Vorgaben vor Ort gewährleisten.
Die Europäisierung dieser Bereiche variiert also stark. Grenzschutz und Einwanderungspolitik liegen weiterhin in nationaler Verantwortung und werden auf europäischer Ebene lediglich koordiniert. Die Asylpolitik hingegen ist ein europäisches Thema. Hinzu kommt die Koordinierung der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit. Daraus ergibt sich die Agenda der Innen- und Justizminister bei ihren regelmäßigen Tagungen im Rat der EU. Die politischen Leitlinien in diesem Politikfeld werden vom Europäischen Rat, also von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten festgelegt (Art. 68 AEUV).
2.1.2 Die Grenz‑ und Asylpolitik in den Verträgen der europäischen Gemeinschaften
Die Grenz- und Asylpolitik ist erst 1999 mit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam zu einem gemeinsamen europäischen Politikfeld geworden. Diese funktionale wie politische Vertiefung europäischer Integration lässt sich jedoch unmittelbar mit dem Gründungsvertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aus dem Jahr 1957 in Verbindung bringen. Im Zentrum der Gründungsverträge (und damit am Beginn der europäischen Intgration) stand die Errichtung eines gemeinsamen Marktes:
„Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern, die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen sind.“ (Art. 2 EWG-Vertrag)
Um diesen gemeinsamen Markt zu errichten, sollten zunächst Zolltarife innerhalb der Gemeinschaft abgeschafft werden, um den freien Warenaustausch innerhalb der neu gegründeten Wirtschaftsgemeinschaft zu ermöglichen (Art. 3 lit. a EWG-Vertrag). Der freie Warenverkehr ist eine der vier GrundfreiheitenGrundfreiheiten, die in den Römischen Verträgen als Ziele der Gemeinschaft festgelegt wurden und bis heute den Charakter der Europäischen Union prägen (Titel I, insbesondere Art. 9 EWG-Vertrag).
Ein Großteil der Rechtsetzung und Rechtsprechung auf europäischer Ebene lässt sich auf diese vier Hauptziele zurückführen: Freier Warenverkehr, freier Personenverkehr, Dienstleistungsfreiheit und freier Kapitalverkehr (Titel I und III, EWG-Vertrag, insbesondere Art. 9, 48, 52, 59 EWG-Vertrag).
Der freie Personenverkehr war zunächst streng auf den Markt begrenzt und bedeutete die Freiheit, in einem der Mitgliedstaaten eine Arbeit aufzunehmen und unabhängig von Staatsangehörigkeit beschäftigt und entlohnt zu werden (Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag). Ebenso wie sich Bürger frei in einem der Mitgliedstaaten niederlassen können, gilt dies auch für Unternehmen bspw. durch die Gründung von Tochtergesellschaften (Art. 52f. EWG-Vertrag).
Die Dienstleistungsfreiheit sollte es jedem Unternehmer