Der Europäische Rat erwog eine stärkere und wirkungsvolle Verzahnung von Visaantragsverfahren, Einreise‑ und Ausreiseverfahren beim Überschreiten der Außengrenzen (Europäischer Rat 2004).
In Bezug auf GrenzkontrollenGrenzkontrollen forderte der Europäische Rat, dass Informationen und Daten über Wanderungsbewegungen erhoben, weitergegeben und ausgetauscht sowie verwendet würden, um Migrationsbewegungen zu steuern (Europäischer Rat 2004: 17). Dazu sollten auch die bisherigen Informationssysteme weiter ausgebaut werden. Menschen‑ und Freiheitsrechte gerieten mit sicherheitspolitischen Erwägungen in Konflikt:
„Die Sicherheit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten ist dringlicher denn je, insbesondere in Anbetracht der Terroranschläge […]. Die Bürger Europas erwarten zu Recht von der Europäischen Union, dass sie im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Probleme wie illegale Einwanderung, Menschenhandel und -schmuggel, TerrorismusTerrorismus sowie organisierte Kriminalität und deren Verhütung gemeinsam und noch wirksamer vorgeht, dabei jedoch die Achtung der Grundfreiheiten und -rechte sicherstellt.“ (Europäischer Rat 2004: 12)
Die Einreisepolitik und die Beziehung zu Transit‑ und HerkunftsstaatenHerkunftsstaaten rückten ins Zentrum europäischer Überlegungen zur Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Zum verbesserten Umgang mit Asyleinwanderung sah das Haager Programm bis 2010 die Einrichtung einer europäischen Agentur vor. Diese sollte intergouvernemental organisiert sein und die Mitgliedstaten bei Asylfragen, Verfahren und Rückführungen unterstützen (später VO (EU) Nr. 439/2010, weitere Litetratur dazu Geiger/Khan/Kotzur/Kotzur 2017, Art. 78 AEUV, Rn 6 mwN).
Das Programm von Stockholm (2010)
Das Stockholmer ProgrammStockholmer Programm war für den Zeitraum 2010 bis 2014 ausgelegt und setzte die allgemeinen Ziele von Tampere und Den Haag fort. Ziel des gemeinsamen Raums war ein „offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger“ (Europäischer Rat 2010: Titel).
Die GrenzpolitikGrenzpolitik berührte drei Themenfelder: (1) illegale Einwanderung und Kriminalität, (2) gemeinsame Asylpolitik sowie (3) die Einreise von Drittstaatsangehörigen zu Studien‑ und Arbeitszwecken.
Der illegalen Einwanderung und grenzüberschreitenden Kriminalität sollte durch ein integriertes Grenzmanagement sowie die Zusammenarbeit mit Herkunfts‑ und Transitländern begegnet werden (§ 6.1.6). Die europäische Grenzschutzagentur FrontexFrontex sollte vermehrt Risikoanalysen über Migrationsrouten erstellen und diese Routen überwachen. Zudem sollte Frontex gestärkt werden, indem das Mandat für Frontex präzisiert und ausgeweitet wurde und „einheitliche Grenzüberwachungsstandards“ angewandt würden (§ 5.1, weiterhin: 8-9).
Die gemeinsame Asylpolitik sollte vor allem durch den Ausbau des eingerichteten Unterstützungsbüros für Asylfragen vorangetrieben werden. Ziel war es, einen Schutz‑ und Solidaritätsraum zu schaffen, in dem ein europäisches Asylverfahren angewandt und ein einheitlicher Asylstatus erteilt würde (§§ 3, 5-7). Darüber hinaus ermahnten sich die Staats‑ und Regierungschefs gegenseitig, die bestehenden Rechtsakte des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems einheitlich umzusetzen (§§ 3, 7).
Schlussfolgerungen von Ypres (2014): Kaum noch eine Vision
Im Jahr 2014 tagte der Europäische Rat in Ypres und verabschiedete mit den Schlussfolgerungen vom 26./27. Juni 2014 ein Papier (EUCO 79/14), das in der Reihe der Strategieprogramme steht, jedoch substanziell kaum mit den Programmen von Tampere (1999), Den Haag (2004) und Stockholm (2010) vergleichbar ist. Der Ypres Plan ist auf 13 Paragraphen begrenzt und enthielt wenig substanzielle Orientierung für die weitere Ausgestaltung der europäischen Justiz‑ und Innenpolitik (Hailbronner und Thym 2016a: 5, Rn 8).
Während das Programm von TampereProgramm von Tampere noch von Enthusiasmus für das neue europäische Politikfeld geprägt war, so konzentrierte sich das Haager Programm auf den Kampf gegen den Terrorismus und das Stockholmer Programm versuchte die Balance zwischen Sicherheit und Grundrechten vor dem Hintergrund des Vertrags von Lissabon auszuloten; das Programm von Ypres lässt hingegen keine klare inhaltliche Ausrichtung erkennen (Hailbronner und Thym 2016a: 5, Rn 8).
Welche Funktion erfüllen die Strategieprogramme?
Im Wesentlichen geben sie eine allgemeine politische Orientierung für die Fortentwicklung europäischer Politik im Bereich Justiz und Inneres. Kay Hailbronner und Daniel Thym weisen darauf hin, dass sie doktrinal weniger wichtig sind als Vertragsziele, weil sie politisch und nicht rechtlich bindend sind (Hailbronner und Thym 2016a: 6, Rn 9). Trotz ihres rechtlich begrenzten Gewichtes hatten sie jedoch politische Bedeutung, die zuletzt aber nachlässt. Das wurde auch durch eine Zwischenevaluation im Jahr 2017 bestätigt, bei der in einem Workshop zwar drängende Arbeitsfelder definiert, aber kein Strategieplan ausgearbeitet wurde (Rat der EU 2017). Die nachlassende Bedeutung der Strategieprogramme kann allerdings auch so gedeutet werden, dass der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des RechtsRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Reife erlangt hat, in dem die politische Programmierung weniger relavant ist, weil die rechtlichen Instrumente in den Bereichen Grenzkontrollen, Einreise, Asyl bereits ausgearbeitet sind (Hailbronner und Thym 2016a: 6, Rn 9).
Aus der Chronologie der Mehrjahresprogramme lassen sich die übergreifenden Prioritäten für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gut ablesen: Grundrechte werden zwar seit dem Haager Programm von 2004 voran gestellt, die größte Sorge bereitet den Politikern jedoch die irreguläre (Asyl-)Zuwanderung in die Europäische Union. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Strategieprogramme und steht in Verbindung mit der Bekämpfung illegaler Einwanderung und Kriminalität. Nach und nach rücken die Themen Asyl, Grenze und Migration in den Strategieprogrammen zusammen.
Das letzte Arbeitstreffen 2017 fand unter der Präsidentschaft Estlands und unter Einbeziehung von externen Experten statt. Festgehalten wurden Probleme, die im Raum ohne Binnengrenzen in den vorherigen Jahren deutlich geworden sind und anstehende Themen. Das Papier unterschied sich damit deutlich von den bisherigen Agenda-Strategien. Es handelte sich eher um eine Rückschau aus der ein Ausblick generiert wurde auf notwendige Handlungsfelder (Rat der EU 2017). Unter dem Eindruck der MigrationskriseMigrationskrise von 2015 trugen die Mitgliedstaaten wichtige Themenfelder für die zukünftige Gestaltung der europäischen Justiz‑ und Innenpolitik zusammen: Migration, Asyl, Schengen, Sicherheit, Antiterrorismus, digitale Fragen, Cybercrime, e-evidence, Datensicherung, Informationsaustausch, justizielle Kooperation und Grundrechte (Rat der EU 2017: 2). Als Hauptaufgaben wurden die effektive Anwendung, konsistente Umsetzung und Konsolidierung der bestehenden europäischen Rechtsakte erachtet (Rat der EU 2017: 3). Ein Lösungsvorschlag wurde gleich mitgeliefert: Die jeweilige Präsidentschaft und die Kommission sollen gemäß Art. 70 AEUV1 stärker kontrollieren, ob und wie Unionsrecht im Bereich Jusitz und Inneres umgesetzt wird.
Mit Blick auf die Migrationskrise von 2015 reifte die Einschätzung, dass die Europäische Union nicht über die notwendigen Instrumente verfüge, um ad-hoc auf derartige Krisen zu reagieren. Die EU verließe sich in ihrer politischen Herangehensweise stets auf rechtliche Instrumente, doch politische Krisen erforderten ad-hoc politische Handlungen und operative Einsätze, hieß es in der Rückschau:
„As regards operational activities, the EU still lacks credible crisis management tools, which would ensure the rapid and sustainable deployment of adequate resources, both human and technical, the organisation of hotspots with clear functional objectives and the appropriate interaction with international partners.“ (Rat der EU 2017: 4)
Einen tatsächlichen Ansatz dazu, wie Situationen wie die Migrationskrise effektiver gehandhabt werden könnten,