Domica Dreyer-Plum
Die Grenz- und Asylpolitik der Europäischen Union
UVK Verlag · München
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ISBN 978-3-8252-5346-2 (Print)
ISBN 978-3-8463-5346-2 (ePub)
Für meine Eltern
1 Einführung: Grenz- und Asylpolitik der Europäischen Union
Flucht, Asyl und Migration sind keine nationalen oder europäischen, sondern globale Themen, die Fragen globaler Gerechtigkeit betreffen und liberale Demokratien mit der Frage konfrontieren, ob individuelle Rechte (Asyl) oder staatliche Souveränität (Grenzschutz) Vorrang erhalten.
Flucht, Asyl und vor allem Schutzgewährung sind mit der Zuwanderung im Jahr 2015 von mehr als 1 Mio. Menschen nach Europa – und vor allem nach Deutschland und Schweden – zu Topthemen der Tagespolitik geworden. Rechtspopulistische Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD), die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) und der Front National (seit 2018: Rassemblement National) in Frankreich nutzen bewusst fremdenfeindliche Parolen, um ihre Wählerschaft in diesem Segment zu gewinnen. Demgegenüber stehen PolitikerInnen und BürgerInnen, die eine humanitäre Asylpolitik im Sinne rechtsstaatlicher Grundwerte einfordern. Seit 2015 ist die Asylpolitik nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene eine Streitfrage mit dem Potenzial, Gesellschaften zu spalten.
Asylpolitik ist unter den geltenden rechtlichen Bestimmungen immer auch Grenzpolitik, weil es bisher nicht möglich ist, ein Visum zu beantragen, um in einem europäischen Land wegen politischer oder religiöser Verfolgung Schutz zu suchen. Daher ist die irreguläre Einreise unter Nutzung von Schleusernetzwerken oft die einzige Möglichkeit für Asylsuchende, unter Umgehung der geltenden Einreisebestimmungen nach Europa zu gelangen.
Die Politikfelder Grenze und Asyl sind in der Justiz- und Innenpolitik angesiedelt und liegen teilweise in der Kompetenz der Europäischen Union, teilweise in mitgliedstaatlicher Souveränität. In jedem Fall erfolgt die Umsetzung des Unionsrechts1 in den Mitgliedstaaten durch deren Behörden und Akteure.
Während die Kontrolle der Außengrenzen prinzipiell in der Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten liegt, so unterliegen die Binnengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Schengener Rechtsprinzipien, die die Offenheit der Grenzen zur Gewährleistung des freien Personen- und Warenverkehrs vorsehen. Die Asylpolitik ist stärker europäisiert als andere Politikfelder und dennoch divergieren sowohl die Asylentscheidungen zwischen Mitgliedstaaten als auch die Leistungen gegenüber Asylsuchenden erheblich.
Aus diesen Beobachtungen ergeben sich allerlei Fragen: Wer sind die entscheidenden Akteure in der europäischen Grenzpolitik respektive Asylpolitik? Welche Verantwortung trägt die Europäische Union (EU) und welche Kompetenzen sind ihr zur Gestaltung der Außengrenzschutz- und Asylpolitik übertragen worden? Welche Möglichkeiten haben die Mitgliedstaaten, die europäische Politik mitzugestalten? Durch welche Rechtsinstrumente haben die europäischen Institutionen bisher die Grenz- und Asylpolitik geprägt? Welche Regeln gelten und welche Bedeutung haben sie in der Asylschutzkrise seit 2015?
Ziel dieses Lehrbuchs ist es, einen Überblick über die bestehenden europäischen Regeln in den Bereichen der Grenz‑ und Asylpolitik zu geben. Dabei wird es wichtig sein, den engen Zusammenhang zwischen beiden Bereichen aufzuzeigen und die Kompetenzverwebungen zwischen nationaler und europäischer Ebene aufzuzeigen.
Zunächst widmen wir uns dem historischen und politischen Hintergrund der Vergemeinschaftung europäischer Grenz‑ und Asylpoiltik, die wesentlich im Integrationsprojekt Schengen begründet liegt (Kapitel 2). Darauf folgt eine genaue Betrachtung der Grenzpolitik mit einem Blick auf politische Ziele und praktischen Grenzschutz, Einreisebestimmungen und Konflikte (Kapitel 3). Dem folgt eine Auseinandersetzung mit der Asylpolitik (Kapitel 4) anhand folgender Fragen: Was bedeutet Asyl? Seit wann bestimmt die Europäische Union über europäische Asylpolitik? Mit welchen Mitteln wird Asylpolitik gestaltet? Was ist der Kern des politischen Streits um europäische Asylpolitik? Im Schlusskapitel (Kapitel 5) werden die wichtigsten Antworten auf die aufgeworfenen Fragen festgehalten.
2 Historische Grundlagen
Die europäische Grenz‑ und Asylpolitik ist ebenso wie andere Politikfelder erst im Laufe der europäischen Integrationsgeschichte in die Gemeinschaftspolitik hineingewachsen. Als wesentliche Erklärung für die schrittweise Vergemeinschaftung der Grenz‑ und Asylpolitik gilt der Kooperationsbeginn im sogenannten Schengenraum1 in den 1980er Jahren. Der politische Wille zur Realisierung einer der Grundfreiheiten der Römischen Verträge – freier Personenverkehr (Art. 3 Abs. c EWG-Vertrag) – leitete zunächst Deutschland und Frankreich an, in Kooperation mit den Benelux-Staaten die Öffnung ihrer Binnengrenzen zu verwirklichen. In diesem Kapitel wird in das Thema eingeführt, indem der Beginn der politischen Zusammenarbeit in Grenz‑ und Asylfragen skizziert (Kapitel 2.1) und die Grenz‑ und Asylpolitik als typisches Beispiel für europäische Integrationsprozesse besprochen werden (Kapitel 2.2).
2.1 Kontext des europäischen Integrationsprozesses
Mit dem Begriff europäischer Integrationsprozess ist die Entwicklung der europäischen Rechtsgemeinschaft gemeint, die in den 1950er Jahren begonnen und bis heute nicht abgeschlossen ist. Im Jahr 1952 unterzeichneten sechs europäische Staaten einen Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und StahlEuropäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der die transnationale Zusammenlegung dieser kriegsintensiven Märkte vorsah.
Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg erhofften sich in der Nachkriegszeit von dieser Zusammenarbeit einerseits die Rückgewinnung des Vertrauens ineinander, andererseits bestimmte der wirtschaftliche Wiederaufbau die politische Agenda der Gründerstaaten. Die Zusammenarbeit in den Industriezweigen Kohle und Stahl sollte wirtschaftlichen Fortschritt und Wohlstand generieren. Dieses Anliegen hielten die Unterzeichner auch in der Präambel des Vertrags fest. Ihr Ziel war es „durch die Ausweitung ihrer Grundproduktionen zur Hebung des Lebensstandards und zum Fortschtitt der Werke des Friedens beizutragen“ und zeigten sich
„entschlossen, an die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten einen Zusammenschluß [sic!] ihrer wesentlichen Interessen zu setzen, durch die Errrichtung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft den ersten Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter Völkern zu legen“ (EGKS-Vertrag, Präambel).
Eine von den Mitgliedstaaten unabhängige internationale Behörde (Hohe Behörde) war mit der Aufgabe betraut, die Ziele des Vertrags durch Verwaltungsakte zu verwirklichen. Kontrolliert wurde diese Behörde durch einen Rat, in dem die jeweiligen Fachminister der Mitgliedstaaten vertreten waren; sowie durch eine parlamentarische Versammlung, in die gewählte Abgeordnete der nationalen Parlamente für die jährliche Sitzungsperiode entsandt wurden.
Die folgenden knapp 70 Jahre seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl – die auch als Montanunion bezeichnet wird – sind gleichermaßen geprägt durch Prozesse der Erweiterung und Vertiefung der Gemeinschaft. Die Aufnahme neuer Mitgliedsländer hat die Gemeinschaft von ursprünglich