reagierten aber auch schon auf die sich herausbildende Machtkonstellation der Ost-West-Konfrontation („Kalter Krieg“).
Viele der heute auffälligen Eigentümlichkeiten der UNO werden aus widersprüchlichen Zwangslagen zur Zeit ihrer Gründung verständlicher, etwa das „Veto-Recht“ einiger wichtiger Staaten (siehe 3.2).
Die Struktur der modernen Staatenwelt seit dem 17. Jahrhundert produzierte weitere Zwänge wie den fundamentalen Widerspruch zwischen dem Prinzip der unantastbaren Souveränität des Staates und dem immer stärker gewordenen Anspruch auf ein Recht der „Staatengemeinschaft“ (oder gar der „Völkerfamilie“) auf Intervention in die politischen Verhältnisse eines Mitgliedstaates.
Von der Geschichte belehrt wird darzustellen sein,
dass es „die [eine] UNO“ nicht gibt, sondern allenfalls ein komplex differenziertes und vielschichtig verflochtenes, aber auch widersprüchliches „System“ der Vereinten Nationen auf der Grundlage der vielfach veralteten, aber auf ihre Weise gut funktionierenden Charta der Vereinten Nationen;
wer denn wer ist in dieser undurchsichtigen UNO und wer was zu sagen hat, also wer die in ihr und durch sie handelnden Akteure und welche die von ausschlaggebender Bedeutung sind – und wer allenfalls am Rande mitspielt oder lediglich als schmückendes Beiwerk dienen darf;
was die UNO im Gegensatz zu manchen landläufigen Meinungen nicht sein darf und nicht leisten kann;
als was sie jedoch analytisch zu konzipieren wie sie zu verstehen ist,
was daraufhin zu Recht und realistisch von ihr zu erwarten ist
und welche Arbeitsweise(n) und Methoden in der UNO konkret genutzt werden.
„Die UNO“ ist konkret vorhanden und aktiv immer nur jeweils als ein Gremium von Vertretern von Regierungen von Staaten – was nicht in jedem Fall gleichbedeutend ist mit Vertretern von Ländern und Völkern. Gegen zu blauäugigen Idealismus ist daran zu erinnern, dass in den meisten Mitgliedstaaten Politiker und Diplomaten nur erfolgreich Karriere machen, wenn sie persönliche Qualitäten wie Konfliktbereitschaft, Machtbewusstsein, Skrupellosigkeit oder gar Brutalität nutzen können – wieso sollten sie sich friedlich und hilfsbereit zeigen, nur weil sie für ihr Land in der UNO sitzen?
Ungeachtet der allgegenwärtigen „Globalisierung“ ist die UNO keine globale politische Institution, denn es gibt dafür keine tragende globale politische Struktur (eines Weltstaates?) oder gar eine globale Legitimation (durch eine Weltvolksversammlung?); aber die inter-gouvernementale UNO ist eine multilateral-universale Institution (siehe 2.2), da nun nahezu alle Staaten der Erde in ihr mitarbeiten.
Wenn die Charta der Vereinten Nationen nicht eine Verfassung eines Weltstaates, die Generalversammlung nicht ein Weltparlament, der Sicherheitsrat nicht eine Weltregierung oder der Generalsekretär nicht ein Weltpräsident ist, dann passiert in der UNO auch nicht eine Welt-Gesetzgebung: Keine weltverfassungsgebende Versammlung von Vertretern eines Weltvolkes, kein Weltparlament oder ein anderer legitimer Gesetzgeber sind irgendwo in Sicht, nicht einmal als virtuelles Netzwerk der Zivilgesellschaft zur Fundierung ihrer „global governance“. Weder „die UNO“ noch eines ihrer Organe hat die Legitimation für Legislativfunktionen; diese bleiben den (mehr oder weniger) legitimen Gesetzgebungs-Instanzen in den Mitgliedsländern vorbehalten.
Einer spezifischen Ausnahme könnte künftig größere Bedeutung zuwachsen: In bestimmten Situationen kann der UNO-Sicherheitsrat für die Regierungen aller Mitgliedstaaten rechtlich verbindliche Entscheidungen für den jeweiligen Einzelfall treffen; nach den Anschlägen vom 11.September 2001 hat er dies erstmals nicht nur auf einen Einzelfall beschränkt ausgeübt, sondern beansprucht, in einer Resolution abstrakte Normen als verbindlich zu formulieren (S/RES/1373 (2001)). Ob sich auf diese höchst indirekte Weise eine legitime globale Regelungskompetenz konstruieren lässt, ist stark zu bezweifeln – aber ein Ansatzpunkt scheint gegeben.
Sicherlich ist die UNO keine Ausgeburt des Weltgeistes mit ordnungsstiftendem Auftrag, aber wie wäre sie denn griffig zu charakterisieren? Sinnvoller als die Alternative Weltregierung versus Botschafterkonferenz ist eine Einordnung nach den möglichen Funktionen von internationalen Organisationen (vgl. 2.3); von der UNO wäre zu erwarten, dass sie
als politisches Instrument der Interessendurchsetzung von Hegemonialmächten dient,
das Gesprächs-Forum oder die Kampf-Arena für ein international-multilaterales Verhandlungssystem für die kooperative Bearbeitung globaler Probleme bietet,
als ein entstehender welt(bundes)staatlicher Akteur der Souveränität der alten Nationalstaaten immer engere Grenzen zu setzt, um sie letztlich aufzulösen.
Diese Leistungen sind sinnvollerweise als emergent aufeinander aufbauende Schichten, nicht als sich ausschließende Alternativen zu verstehen.
Die erste Möglichkeit ist unbefriedigend für Nicht-Supermächte, die dritte größtenteils schlechte Political-Science-Fiction; die interessante mittlere Schicht der Funktion des Verhandlungssystems kann noch differenziert werden: Internationale Organisationen
besorgen und bewerten Informationen und beobachten und analysieren Entwicklungen,
bündeln Einzelinteressen zu denen von Gruppen oder gar zum Gemeininteresse,
verschaffen schwächeren Akteuren mehr Einfluss und stärkeren mehr Legitimität,
organisieren Meinungsaustausch, Verhandlungen und Entscheidungen,
entwickeln Standards, Regeln und Normen und damit das Völkerrecht fort,
schaffen und mobilisieren Öffentlichkeit.
1.2 Zu diesem Buch
Was in diesem Buch beschrieben wird, ist alles auch irgendwo und irgendwie im Internet zu finden; Sachinformationen aller Art sind dort zahlreicher und umfänglicher, spezifischer und aktueller gespeichert und leicht zu finden – z.B. eine nach Beitrittsjahren geordnete Liste der Mitgliedstaaten (www.unric.org/de/aufbau-der-uno/89) oder generell Informationen der UNO über sich selbst (www.un.org) wie das große offizielle Organigramm der UNO, das kaum noch in ein Buch passt (www.un.org/depts/german/orgastruktur/dpi2470rev4-deu.pdf). Zu den Arbeitsgebieten der UNO (siehe 8) sind digital unübersehbar viele Informationen und Meinungen zu finden.
Damit kann ein schmaler Band, der sich auch nicht wie von selbst stetig auf den neuesten Stand bringt, nicht konkurrieren. Was aber hier geboten werden kann, ist so im Netz nicht zu finden, nämlich ein Versuch, dieses riesige Stoffgebiet mit seinen unübersehbaren Elementen und Regelungen
nicht nur gewichtet zusammenfassend im Überblick darzustellen,
sondern auch strukturierende Orientierung zu geben, wo und wie die Phänomene und Probleme, Institutionen und Prozesse eingeordnet werden können,
und ferner Interpretationen anzubieten, wie dies alles verstanden und beurteilt werden könnte.
Was in der reißenden Informationsflut meist untergeht, ist ein vergleichsweise überschaubarer Text, der viel zu wenig gelesen wird – obwohl er als wichtigstes Dokument des geltenden Völkerrechts die UNO und ihre Arbeit begründet und regelt; seine rechtliche Verbindlichkeit ergibt sich daraus, dass er der internationale Vertrag ist, den inzwischen fast alle Staaten der Welt unterzeichnet und ratifiziert haben: die „Charta der Vereinten Nationen“ („United Nations Charter“), die gegenüber den Tausenden anderer Verträge zwischen Staaten vorrangig ist (siehe 4). Dieser zentrale Text wird hier zwar nicht wiedergegeben (zu finden unter www.unric.org/de/charta