… träume ich von Flügeln, Echter Verlag
Wir bitten um Beachtung.
Notiz
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Christoph Benke | Wien
geb. 1956, Priester, PD Dr. theol. habil., Schriftleiter von GEIST & LEBEN
Wohltuend unaufgeregt
Die Medienwelt funktioniert nach ungeschriebenen Gesetzen. Eines lautet: Empöre Dich! Soziale Netzwerke setzen sich zu einem Gutteil aus Kurz-Glossen zusammen, deren Inhalt aus Entrüstung besteht. Sich aufregen gehört zum guten Ton. Wer sich mit-empört, darf sich dazu zählen. Das hat zur Folge, dass es bald nicht mehr um die Sache geht, sondern darum, wer auf welcher Seite steht. Die in unserer Gesellschaft – und Kirche – zu beobachtenden Phänomene der Polarisierung, der Entzweiung und des Lagerdenkens nähren sich auch aus dem Gestus der Empörung. Nicht zuletzt: Die Erregung hält das Geschäft am Laufen.
Freilich, auch ich bin Teil der Empörungsgesellschaft. Der Hund in meinem Inneren bellt, manchmal ziemlich laut. Manches, was ich aus meiner Perspektive als Fehlentwicklung in Gesellschaft und Kirche einschätze, regt mich auf. Wohin mit Wut und Enttäuschung?
Wie so oft ist genaueres Hinschauen angebracht und Unterscheidung vonnöten. Zweifellos gibt es vieles, was nicht hinnehmbar und eine Empörung wert ist. Aber entsteht daraus echter, fundierter Protest, der sich, wenn nötig, auch längerfristig engagiert? Oder handelt es sich eher um ein momentanes, gereiztes Genörgel, das im Unverbindlichen bleibt? Die Lust an der Entrüstung hängt wohl auch mit der Art der Kommunikation zusammen. Gedankenexperiment: Würden mehr Briefe geschrieben, weniger aus unmittelbarer Betroffenheit, sondern mehr aus der Distanz heraus und in wohlüberlegten Worten – wer weiß, vielleicht gäbe es weniger Grund zur Empörung. Vielleicht hätte sich die eine oder andere Aufregung schon gelegt. Einer übereilten, hastigen Reaktion ist die Gefahr des Sich-Überhebens und des allzu schnellen Ver-Urteilens nicht bewusst.
Und was stattdessen? Gleichgültigkeit kann es nicht sein. Auch nicht das, was man heute coolness nennt. Die diversen Zumutungen des Lebens und der Mitmenschen lethargisch abperlen lassen – das ist keine Alternative, jedenfalls keine christliche. Zu erbitten wäre das „Charisma der Unaufgeregtheit“. Ja, dabei handelt es sich tatsächlich um ein Charisma, denn dadurch wird Communio gefördert und Gemeinde aufgebaut. Das Charisma der Unaufgeregtheit baut Gemeinde mehr – im Sinne von: nachhaltiger – auf als überreizter Enthusiasmus oder äußere Begeisterung. „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, / verricht das Deine nur getreu“ (Gotteslob 424,5), so singt eine Liedzeile des 17. Jahrhunderts. Die Arbeit verlässlich tun, dranbleiben, und in allen Krisen und unvorhergesehenen Wendungen an Gott festhalten und ihn loben. Das ist mit Sicherheit eines: unaufgeregt. Wohltuend unaufgeregt. Gelegentlich mag sich dieses Programm langweilig anfühlen. Doch wo steht geschrieben, dass Leben nur aus Hochgefühl besteht? Angesichts vieler Schwierigkeiten und Krisen, vor denen wir derzeit ratlos stehen, braucht es statt Empörung die transformierende Kraft der Erinnerung an das in der Taufe geschenkte „schon“ der Erlösung. Hier hat die Übung der Dankbarkeit ihren Ort. Sie führt das Präsentische vor das innere Auge.
Die mystische Überlieferung des Christentums spricht von der sobria ebrietas, der „nüchternen Trunkenheit“. Diese paradoxe Formel beschreibt treffend, was christliches Leben – und auch den christlichen Kult – trägt: Nicht die Versenkung, nicht die Entrückung, sondern die Wachsamkeit und die Normalität; nicht der Rausch (auch an der eigenen Empörung kann man sich berauschen), sondern die maßvolle An-Spannung. Gott ist nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer; ein „sanftes, leises Säuseln“ (1 Kön 19,12) weist auf ihn hin.
Die immer neue Lust an der Empörung war immer problematisch, „natürlich“ auch in christlichen Gemeinden. Die Mahnung des Epheserbriefes lässt darauf schließen: „Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, auferbaut und denen, die es hören, Nutzen bringt! Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, den ihr als Siegel empfangen habt für den Tag der Erlösung! Jede Art von Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte! Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat.“ (Eph 4,29–32) Würde der Rat des Jakobusbriefes umgesetzt, könnte die Epoche der Daueraufregung ein Ende finden: „Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn“ (Jak 1,19).
Und doch gibt es einen Ort, zu dem Entrüstung passt: Jesus Christus. Das Evangelium ließe sich auch als ein Empörungsangebot lesen. Jesus ist der Skandal schlechthin. „Und sie nahmen Anstoß an ihm“ (Mk 6,3). Der griechische Urtext sagt eskandalízonto: Die Leute waren skandalisiert und empört, und dies nicht nur einmal. Sich an Jesus Christus abzuarbeiten, ist eine stetige Aufgabe. Vertrautheit kann in falsche Routine kippen. Gelegentlich über Jesus und sein Evangelium zu stolpern, sich die Hülle des allzu Vertrauten nehmen zu lassen, wäre also nicht das Schlechteste. Vor allem dann, wenn am Ende dadurch die Vertrautheit mit Christus sogar gewachsen wäre.
Nachfolge
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Rob Faesen SJ | Leuven (BEL)
geb. 1958, Dr. theol., Professor für Kirchen- und Theologiegeschichte an der KU Leuven
Jean-Joseph Surins unkonventionelle Josefs-Verehrung*
Jean-Joseph Surin SJ (1600–1668) ist ein ziemlich unbekannter, aber interessanter Jesuit des 17. Jahrhunderts. Nicht nur sein außergewöhnlich dramatisches Leben, sondern auch seine Schriften, welche der Historiker Michel de Certeau SJ (1925–1968) intensiv studierte, verdienen Aufmerksamkeit. Surin ist ein bemerkenswerter Autor der jesuitischen Tradition, der die mystische Dimension mit präziser theologischer Reflexion verband. Dieser Beitrag fokussiert sich auf einen bestimmten Aspekt, nämlich seine kontroversielle Verehrung des hl. Josef.
Ein dramatisches Leben
Jean-Joseph Surin wurde 1600 in Bordeaux als ältester Sohn eines Beamten geboren. Erzogen am Kolleg der Jesuiten, wurde er mit sechzehn Jahren Mitglied der Gesellschaft Jesu – gegen den Willen seines Vaters. 1626 wurde er zum Priester geweiht. Im Terziat begegnete er Louis Lallemant SJ (1588–1635). Nach einigen Jahren der Arbeit als Missionar in den Marennes (Department Charentes-Maritimes) – einer gänzlich protestantischen Region – wurde er nach Loudun zu den Ursulinen rund um Schwester Jeanne des Anges entsandt, um dort als Exorzist zu wirken. Das Vorkommen außerordentlicher Phänomene in dieser Gemeinschaft war ein öffentliches Spektakel und zog viele Menschen an. Surins Aufgabe war schwierig und überstieg seine Fähigkeiten. Am Ende bot er sich selbst Gott an, mit der Bitte, besessen zu werden, in der Hoffnung, Jeanne des Anges und ihre Mitschwestern von deren Befangenheit zu erlösen. Das Ergebnis: Jeanne und ihre Gemeinschaft fanden sich wieder, aber Surin verlor sich selbst für einige Jahre in Dunkelheit und Verzweiflung. Nach einem gescheiterten Suizidversuch 1645 war er für fünf Jahre physisch und mental gelähmt. Surin selbst beschrieb diese Periode bewegend in einem seiner Bücher, das er sieben Jahre später verfasste.1
Dank der Liebe und Freundschaft vonseiten eines Mitbruders namens Claude Bastide – im Kontrast zu der brutalen Behandlung, welche er von andern erfuhr – verbesserte sich sein Zustand etwas. Erst nach einem Akt totaler Hingabe an Gott am 9. Juni 1656 wurde er gänzlich geheilt.