Der Spaziergang war in gewisser Weise schön. Ich fühlte mich wie auf Drogen: voll und ganz im Moment, mit intensivierter Sensorik. Ich genoss es, die Hand meines Mannes in meiner zu spüren und den Wind im Haar wahrzunehmen. Immer wieder musste ich anhalten, um Wehen zu verschnaufen. Mein Mann fand mich lustig. Wir ahnten noch nicht, welche Odyssee gerade begonnen hatte.
Zurück im Krankenhaus, schickte man mich mit einem weiteren Zäpfchen Tramadol nach Hause, weil die Wehen noch immer nicht genug stark waren. Mein Mann legte sich zuhause noch einmal aufs Ohr. Ich selbst schlief nicht mehr, da die Wehen doch schon recht unangenehm waren. Wie von der Hebamme angeordnet, nahm ich das Tramadol gegen Mittag.
Eine halbe Stunde später überfuhren mich die Wehen wie ein Lastwagen. Ich weckte panisch vor Schmerz meinen Mann und befahl ihm, mich sofort zurück ins Spital zu bringen. Während ich im Auto die mittlerweile sehr schmerzhaften Wehen veratmete, fluchte ich immer wieder vor mich hin, dass ich jeden, der mich jetzt wieder nach Hause schicken wollte, einen Kopf kürzer machen würde.
Zurück im Spital, schickte man mich sofort ins Geburtszimmer.
Eine andere Hebamme betrat den Raum, im Schlepptau eine Kollegin, die noch lernte, und ertastete meinen Muttermund. Da er nach hinten verzogen war, konnte sie ihn nicht einfach erreichen und bat mich, mich auf meine geballten Fäuste zu setzen, damit sich das Becken mehr neigte. Nachdem sie den Muttermund endlich ertastet hatte, versuchte auch die Lernende ihr Glück – fünf Mal. Dann gab sie auf. Kurz daraufhin verabschiedeten sich die beiden und eröffneten mir, dass nun Schichtwechsel sei und ich eine neue Hebamme zugeteilt bekäme. Ich fühlte mich sehr ausgeliefert.
Mit der neuen Hebamme harmonierte ich aber gut. Sie rieb meinen Bauch mit Zimtöl ein, was die Wehen weiter anregte. Ich war nach wie vor high vom Tramadol und fand nicht zu mir. Der Schmerz übermannte mich, und ich bekam Angst. Die Hebamme schickte mich in die Badewanne und verließ den Raum. Nach ein paar Minuten wurden die Wehen in der Wanne so unglaublich überwältigend, dass ich panisch wurde und zu weinen begann. Ich flehte meinen Mann an, sofort die Hebamme zu holen, die mir ein stärkeres Medikament geben sollte. Ich war nicht imstande, meine eingeübten Atemübungen zu machen – ja, nicht einmal fähig, mich an sie zu erinnern.
Die Hebamme erlöste mich in gewisser Weise. Sie schloss mich an ein Schmerzmittel an, das ich mir per Infusionspumpe selbst verabreichen konnte. Das Medikament heißt Remifentanil und gehört ebenfalls zur Gruppe der Opiate. Es wird nur in wenigen Spitälern während der Geburt verwendet. Die Krankenhäuser bewerben dieses Medikament unter dem Namen „Happy Button“.
Doch der Button machte mich nicht happy. Vielmehr schoss mich das Opiat ins All. Von außen muss ich wie halbtot ausgesehen haben. Mein Mann klopfte mir immer wieder auf die Brust und sagte: „Nadja, vergiss nicht zu atmen. Hallo! Nadja, atmen!“ Ich bekam von alldem nichts mehr mit. Während mein Körper von sich aus jede Wehe meisterte, schoss mein Geist zwischen fernen Sternen hindurch, wanderte durch unbekannte Galaxien. Mein Bewusstsein war ausgeschaltet. Einmal sagte ich etwas zu meinem Mann, was mir wichtig erschien: „Wir dürfen nicht vergessen, den Fischern ihren Anker mitzubringen!“ Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich glaubte, zum Stuhlgang aufs Klo zu müssen. Das war etwa vier Stunden später.
Solange das Kind durch die Nabelschnur mit Sauerstoff versorgt wird, besteht für es durch das Medikament Remifentanil keine Gefahr. Wenn es aber abgenabelt ist, muss das Medikament abgebaut sein, sonst droht eine Atemdepression. Also wird der „Happy Button“ etwa eine halbe Stunde vor der eigentlichen Geburt des Kindes abgeschaltet. Für mich bedeutete dies: ein Erwachen in die Presswehen. Ich wusste nicht, was mit mir geschehen war. Ich wusste nur, dass hier etwas gewaltig schiefgelaufen war. Dass ich noch vor Minuten in einer anderen Welt geschwebt hatte und nun von mir erwartet wurde, mein Kind durch meine Yoni zu pressen. Ich hatte irrsinnigen Pressdrang. Allerdings hatte ich kein Gespür mehr für mich oder meinen Körper. So presste ich wie eine Wahnsinnige auch neben den Wehen, immer noch komplett beduselt und im Schock.
Und dann war mein Kind da. Dass ich genäht wurde, merkte ich nicht mal mehr. Ich sah nur mein wunderschönes Kind an und war unendlich froh, dass ich es geschafft hatte.
Die ersten Wochen waren hart. Das Stillen war das Einzige, was gut klappte. Ansonsten war mein Sohn enorm unruhig, schlief schlecht, ließ sich kaum beruhigen, und ich war ein Schatten meiner selbst. Nach sechs Wochen – ich hatte noch immer Schmerzen im Dammbereich – stellte meine Gynäkologin fest, dass man mich im Spital falsch zusammengenäht hatte. Ich musste die Dammnaht also noch einmal öffnen und neu zunähen lassen. Ich weiß nicht mehr, wie ich die ersten sechs Monate überstand. Immer wieder dachte ich: „Das ist normal. Ein Baby zu haben, ist nun mal hart.“ Ich hatte eine immense Schlafstörung entwickelt, fand tagsüber nie und nachts nur noch stundenweise zur Ruhe, auch wenn mein Mann sich um unser Kind kümmerte. Heute weiß ich: Hätte ich eine Doula gehabt, hätte sie mich längst zur Aufarbeitung meiner Niederkunft geschickt.
Erst sechs Monate später und nach fünf schlaflosen Nächten in Folge ging ich zum Arzt. Dieser diagnostizierte bei mir eine Autoimmunkrankheit, einen Morbus Basedow, der sehr wahrscheinlich durch „ein stressiges Event“ ausgelöst worden sei. Erst jetzt bekam ich Hilfe in Form von Medikamenten, die die Symptome behandeln sollten, sowie Psychotherapie. Mir wurde aber bald bewusst: Wenn ich wirklich heilen wollte, musste ich das ganzheitlich angehen. Mein inneres Selbst wusste, dass ich diese Heilung im Yoga finden würde. Dieser inneren Stimme folgte ich.
Und so schrieb ich mich wieder in einem Yogastudio ein und verschlang jedes Buch, das ich über Yoga und Meditation in die Finger bekam. So stolperte ich bald über Yoga-Nidra. Als ich das erste Mal bewusst Yoga-Nidra praktizierte, sank ich wieder in diesen wunderbaren Zustand – in diese Tiefe, in diesen inneren Raum –, in dem ich Monate zuvor einfach gewusst hatte, schwanger zu sein. Dieses Mal aber wusste ich, dass hier der Weg meiner Heilung begann.
Meine Krankheit verschwand nach einem Dreivierteljahr. Ärzte bezeichnen mich heute als schubfrei, ich selbst weiß aber, dass ich gesund bleibe, solange ich den Weg gehe, den mir diese innere Stimme weist.
Einzig die Schlafstörung hielt sich hartnäckiger, aber dank Yoga-Nidra konnte ich schlaflose Nächte so weit kompensieren, dass ich durchhielt. Auch mein Sohn schlief, bis er eineinhalb Jahre alt war, nicht mehr als drei Stunden am Stück.
Alles veränderte sich, als ich mit ihm gemeinsam zu einer Naturärztin ging. Sie unterstützte uns mit Craniosacral-Therapie und löste bei meinem Sohn das Geburtstrauma auf. Ich werde nie vergessen, wie wir in der Praxis auf einer Matratze am Boden saßen und die Ärztin meinem schreienden Sohn immer wieder sanft erklärte: „Deine Mama hätte sich auch eine andere Geburt gewünscht. Sie wäre gerne so für dich da gewesen, wie du es gebraucht hättest.“ Mein Kind schrie, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Es war ein verzweifeltes Schreien, ein Urschmerz, ein Verarbeiten in aller Tiefe. Ich weinte mit. Und wir heilten. Schon zwei Wochen später schlief er durch, und ich konnte meine Schlafmedikamente absetzen.
Alles in allem war diese Zeit die wohl härteste meines Lebens. Ich weiß heute, dass sehr viele dieser unglücklichen Umstände hätten vermieden werden können. Trotzdem bin ich für diese Erlebnisse dankbar, denn sie haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ohne mein Kind hätte ich kaum damit begonnen, mein Leben so tief zu hinterfragen und drastisch zu ändern. Mein Sohn war der Prozessbeschleuniger, der mich zu meiner wahren Bestimmung brachte. Ohne das Leid, das mich dazu zwang, eine neue Richtung einzuschlagen, wäre ich wohl kaum Doula geworden und hätte meinen Weg als Schülerin des Yoga verpasst. Ich bin dem Universum dafür dankbar, dass es mich an diesen Punkt geführt hat, an dem ich es mir zur Aufgabe machte, Frauen dabei zu unterstützen, eine selbstbestimmte und für sie richtige Geburt zu erleben – ohne Übergriffe, Angst und Leid.
Dein Baby und du habt den bestmöglichen