Tamara unterschied sich von anderen Frauen insofern, dass sie ihrem Körper vertraute und ihn spürte. Sie wusste, dass nur die Angst ihr Feind war und dass sie sich vor dem Schmerz nicht fürchten musste. Sie verstand, dass ihre Wehen von ihrem Körper kamen und so nie stärker sein konnten als sie selbst. Ich begriff, dass Tamara ihre Entspannung tief in ihrem Körper verankert hatte, sodass sie während der Geburt, die eine Extremsituation darstellt, nicht darüber nachdenken musste, wie sie sich entspannen und atmen sollte, sondern intuitiv auf dieses im Körper gespeicherte Wissen zugreifen konnte.
In diesem Buch möchte ich dir Schritt für Schritt erklären, wie du Yoga-Nidra für dich nutzen kannst, um deinen Körper auf Entspannung zu konditionieren, wie du ruhiger und gelassener durch die Schwangerschaft gehen und deinen Geist so verändern kannst, dass du ihn kontrollierst und er dir als Freund zur Seite steht, statt im falschen Moment Panik auszulösen.
Meine Geschichte
Eins vorweg: Eigentlich möchte ich nicht, dass du folgendes Kapitel liest. Du bist schwanger und erwartest vielleicht dein erstes Kind. Vielleicht hast du aber auch schon einmal geboren. Mit Sicherheit hast du aber in deinem Leben bereits viele Horror-Geschichten über Geburten hören oder in Filmen sehen müssen. Mein erster Tipp an dich ist, dass du dir von nun an keine dieser Geschichten mehr anhören sollst. Denn alles, was du über die Geburt zu wissen glaubst, ist subjektiv und gründet darauf, was du in deinem Leben bisher über Geburten gehört und gesehen hast.
Viele Frauen in deinem Umfeld werden dir ihre eigene Gebär-Geschichte erzählen wollen, sobald sie wissen, dass du schwanger bist. Sag diesen Leuten, dass du nur Geschichten hören willst, die positiv und schön in ihrer Aussage sind. Sag ihnen, dass sie Geschichten über Dammschnitte, Notkaiserschnitte oder auch nur über immensen Schmerz für sich behalten sollen, bis du die Chance hattest, deine eigene Geburtserfahrung zu machen.
Meine eigene Schwangerschafts- und Geburtsgeschichte gehört in diese Kiste, aus der ich keiner Schwangeren ungefragt erzählen würde. Sie ist nicht schön, sondern traurig. Trotzdem glaube ich, dass du ein Recht darauf hast, zu wissen, wer ich bin und wieso ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, Frauen bei ihrer selbstbestimmten Geburt zu unterstützen. Wenn du also folgende Zeilen über meine Geburtsgeschichte liest, lass dir gesagt sein: Ich hatte damals keinen blassen Schimmer. Ich hatte mich nicht mit Yoga-Nidra auf die Geburt vorbereitet und auch keine Atemtechnik verinnerlicht. Ich habe mich blind vertrauend in die Hände des Spitalpersonals gegeben und dabei etwas ganz Wichtiges vergessen: meine Selbstverantwortung. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, ob eine Spitalgeburt das Richtige für mich ist. Ich hatte mir nicht überlegt, was für mich als Individuum der wirklich passende Weg ist, mein Kind in diese Welt zu gebären. Ich bin auf einem ausgetrampelten Pfad gegangen, weil ich dachte, dass dies der normale Weg sei.
Dieses Buch ist dazu da, dass dir dieser Fehler nicht passiert. Entscheide bitte für dich selbst, ob du meine Geschichte lesen oder an diesem Punkt zum nächsten Kapitel blättern möchtest.
Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem ich von meiner Schwangerschaft erfuhr. Es war ein kalter Novembertag, der Geburtstag meines Vaters. Ich war mittags zum Yoga gegangen. In Shavasana, der Tiefenentspannung am Ende der Lektion, versank ich in einem Zustand tiefer Meditation. Plötzlich wusste ich, dass ich schwanger bin. Als hätte mir jemand diese Information einfach in den Kopf gelegt. Als ich mich dann warm einpackte und auf den Weg machte, mit meinem Mann mittagessen zu gehen, konnte ich nicht anders, als vor mich hin zu lächeln. Ich war noch nicht überfällig, meine Periode sollte erst in den nächsten Tagen einsetzen. Während des Mittagessens sagte ich noch nichts zu meinem Mann. Ich beschloss allerdings, gleich einen Test zu machen.
Wenn man den Schwangerschaftstest vor dem Ausbleiben der Menstruation macht, ist ein negatives Ergebnis nicht zwangsläufig ein Zeichen dafür, dass keine Schwangerschaft vorliegt. Es ist möglich, dass der Hormongehalt im Urin noch zu niedrig ist, um angezeigt zu werden. Wenn der Test aber positiv ausfällt, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schwangerschaft.
Der Test, den ich machte, sobald ich zuhause war, zeigte meine Schwangerschaft bereits an.
Während den ersten Wochen meiner Schwangerschaft litt ich enorm unter Gefühlsschwankungen. Wir bliesen unsere geplante Afrikareise ab. (Der Tropenarzt sagte: „Wenn das Kind nicht erwünscht ist, würde ich Ihnen raten, nach Tansania zu reisen. Sie sind ja noch jung und werden leicht wieder schwanger, wenn sie es dort verlieren.“) Stattdessen flogen wir für zwei Wochen in die Arabischen Emirate und kamen in einem riesigen Hotel neben einer monströsen Baustelle unter. Ich googelte andauernd nach Informationen darüber, was ich nun als Schwangere essen darf und wovon ich besser die Finger lassen sollte. Mir ging es während dieses Urlaubs nicht gut. Ich war unglaublich verunsichert und im emotionalen Chaos. Davon, dass diese depressiven Verstimmungen auch schlicht und einfach mit der Hormonumstellung zu tun hatten, hatte ich damals keine Ahnung.
Im Januar legte sich die emotionale Achterbahnfahrt, und ich hatte das Gefühl, endlich wieder in meinem Körper anzukommen.
An meinem Geburtstag Ende Januar nahm sich eine meiner besten Freundinnen das Leben. Parallel dazu verkrachte ich mich mit meiner Mutter. Ich stürzte in ein weiteres Loch. Dazu kam ein furchtbar schlechtes Gewissen gegenüber meinem Baby. War ich eine schlechte Mutter, wenn ich meinem Kind nicht einmal eine entspannte Schwangerschaft bieten konnte? Würden all meine Emotionen, all meine Trauer und meine ohnmächtige Wut mein Kind prägen? Ich versuchte, mich möglichst weit abzugrenzen, um mein Baby zu schützen, so gut es ging. Was alles andere als einfach war.
Medizinisch ging es mir gut. Meine Ärztin informierte mich gut und war immer erreichbar, wenn ich Fragen hatte. In der Mitte meiner Schwangerschaft bekam ich Kreislaufprobleme und wurde an der Kasse eines Kleidergeschäfts ohnmächtig. Meine Ärztin schrieb mich so weit krank, dass ich nur noch morgens arbeiten musste. Von da an trat ich ruhiger. Ich versuchte meine Schwangerschaft zu genießen, besuchte Schwangerschafts-Yoga-Lektionen und legte mich routinemäßig zum Mittagsschlaf hin.
Zum Ende meiner Schwangerschaft hin versöhnte ich mich wieder mit meiner Mama, was mich unheimlich stärkte. Es war mittlerweile Sommer, und ich genoss es, rund wie ich war, nur in leichten Sommerkleidern zur Eisdiele zu watscheln. Ich hielt fleißig meinen Mittagsschlaf ab und machte so viel Yoga, wie noch ging.
Mein Mann und ich beschlossen eines Abends – sechs Tage vor dem errechneten Geburtstermin –, zusammen in der Quartierbeiz gleich neben unserem Wohnblock essen zu gehen. Während der Vorspeise merkte ich plötzlich, wie es in meiner Unterhose feucht wurde. Auf der Toilette sah ich mich mit jeder Menge Glibber konfrontiert. Der Glibber war durchsichtig, leicht gelblich und etwa teelöffelgroß. Mein Schleimpfropf war abgegangen. Mir wurde klar, dass es mit der Geburt nicht mehr lange dauern würde.
Zuhause gingen wir zu Bett. Vor Aufregung konnte ich aber kaum schlafen, und bald machten sich auch erste Wehen bemerkbar. Wenn man noch nicht geboren hat, ist es unglaublich schwer einzuschätzen, wie sich die Wehen anfühlen sollten und wann es wirklich Zeit ist, aufzubrechen. So entschied ich mich gegen fünf Uhr morgens, meinen Mann zu wecken. Wir aßen noch von dem Kuchen, den ich am Vortag gebacken hatte, und machten uns dann auf den Weg ins Krankenhaus.
Dort angekommen, wurde ein CTG geschrieben und mein Muttermund getastet. Es schien, als bewirkten meine Wehen noch nicht wirklich viel. Eine Hebamme kam mit einer Packung Zäpfchen herein und meinte zu mir: „Nehmen sie doch ein solches Zäpfchen. Es wird entscheiden, ob Sie es mit echten Geburtswehen