»Deep Ecology« und Spiritualität
Frieden mit der Natur schließen
»Naturkapital«: die Ökonomie der Ökologie
Für meine Eltern in Dankbarkeit
und für Frida – willkommen!
There is a crack in everything
That’s how the light gets in.
Leonard Cohen, Anthem
Vorwort
In komplexen Systemen wie der Medizin und der Ökologie offenbaren sich viele Mechanismen und Zusammenhänge erst dann, wenn es zu Störungen im System mit entsprechenden Symptomen kommt.
Ein ganz aktuelles Beispiel, wenn auch in gänzlich anderem Zusammenhang, ist die Tatsache, dass ein simples Virus das globale Wirtschaftssystem lahmlegen kann. Damit offenbarten sich plötzlich zahlreiche Zusammenhänge unseres Systems, die zeigen, dass dieses alles andere als resilient, also belastbar und stabil ist. Die Symptome zeigen uns, dass ein zentrales Element unseres vulnerablen Systems der globale Warenhandel mit seiner Just-in-time-Produktion ist, die noch dazu hauptsächlich in Asien stattfindet. Davor fiel uns dieser gravierende Systemfehler offenbar kaum auf. Auch in der Medizin sind unzählige zelluläre Mechanismen erst im Zuge von Störungen des Systems, in der Regel in Form von Krankheitssymptomen, entdeckt worden.
Auf systemischer Ebene zeigt uns die globale Zunahme chronischer Krankheiten, dass wir irgendeinen Faktor im System oder einen wichtigen Zusammenhang offensichtlich übersehen haben. Denn während wir ein modernes Gesundheitssystem besitzen und die Forschung seit Jahrzehnten auf Hochtouren läuft, gibt es bis heute kaum langfristig effektive Behandlungen für eine große Zahl der chronischen nicht übertragbaren Krankheiten. Wir müssen uns also auf die Suche machen, um jene bislang unberücksichtigten Faktoren und Mechanismen aufzudecken, die das Leben im Allgemeinen und ein gesundes Leben im Speziellen ermöglichen. Es ist das, was ich in diesem Buch mit »Netz des Lebens« bezeichnen möchte. Es handelt sich dabei um mehrere Bereiche, die auf den ersten Blick vielleicht keinen nennenswerten Zusammenhang untereinander aufzuweisen scheinen. Und dennoch zeigt sich, dass sie alle über das unsichtbare Netz des Lebens – sowohl zeitlich als auch räumlich – miteinander und mit uns in Verbindung stehen und sich zum Teil sogar gegenseitig bedingen. Es gibt zwar sicher noch eine größere Vielfalt an Fäden im komplex gesponnenen Netz des Lebens, ich möchte mich aber in diesem Buch vor allem auf folgende konzentrieren.
Nach einer Bestandsaufnahme zu unserem wissenschaftlichen Weltbild soll uns zunächst die Frage beschäftigen, wie und warum wir so geworden sind, wie wir sind, bzw. warum unsere Körper durchaus anfällig für Krankheiten sind. Viele Antworten hierauf finden wir, wenn wir unsere evolutionäre Vorgeschichte betrachten. Wenn wir diesen Rückblick vornehmen, werden wir auch sehen, dass die Evolution von Arten nicht isoliert stattgefunden hat, sondern immer in Wechselwirkung der Arten untereinander in Verbindung mit den vorherrschenden Umweltbedingungen. Wie uns die Wissenschaft der letzten zehn bis zwanzig Jahre deutlich vor Augen geführt hat, besteht eine diesbezügliche besonders intensive Wechselwirkung des Menschen vor allem mit den zahlreichen Mikroorganismen. Unsere gemeinsame Koevolution mit ihnen hat dazu geführt, dass wir einige von ihnen sogar in unseren Körper dauerhaft aufgenommen haben. Wie vielen anderen Lebewesen auch ermöglichte uns dies, zahlreiche wichtige Stoffwechselprozesse gewissermaßen auszulagern oder zusätzliche »Fähigkeiten« zu erlangen. Diese auf Koevolution beruhende Symbiose ist vor allem durch unser Mikrobiom und seine komplexen Wechselwirkungen mit der Physiologie unseres Körpers manifestiert.
Es sind gerade die mit uns lebenden Mikroorganismen, welche die meisten Fäden des Lebensnetzes der Erde ausmachen und uns in unglaublichem Ausmaß mit unserer Umwelt und der Biosphäre des Planeten verbinden. Das große Gesamtökosystem, die Biosphäre, besteht aus unzähligen kleineren Teilökosystemen, deren Funktion selbst maßgeblich auf der Aktivität von Mikroorganismen beruht. Sie sind quasi das unsichtbare Lebenserhaltungssystem – sowohl des belebten Planeten als auch von uns. Ein weiterer Teil des Lebensnetzes sind somit die Ökosysteme, in denen wir leben, und ihre gesamte Biodiversität. Und von hier aus bestehen wiederum Verbindungen zu uns selbst, denn zahlreiche Umwelteinflüsse (die meisten davon menschengemacht) zusammengenommen, beeinflussen entweder direkt oder über den Umweg des Mikrobioms die alles entscheidende Epigenetik. Dieses erst vor Kurzem in den Fokus der Wissenschaft gerückte Forschungsgebiet schließt das Netz zwischen uns und unserer Umwelt.
Maßgeblich beeinflusst werden sowohl das Mikrobiom als auch die epigenetischen Mechanismen von einem Produkt unserer Umwelt, unserer täglichen Nahrung, die wir aufgrund unserer langen Evolution und individuellen Ausstattung mal besser mal schlechter vertragen. Alles in allem handelt es sich bei den angesprochenen Wissenschaftsdisziplinen um eine durchaus komplexe Materie, zu der jeweils sicher noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse der letzten Jahrzehnte machen es uns allerdings bereits jetzt schon möglich, die entscheidenden Zusammenhänge zu erkennen. Eine wichtige Erkenntnis daraus ist, dass es die Gesundheit des Menschen sowohl als Gesamtpopulation als auch als Individuum nur in Verbindung mit gesunden Ökosystemen und der Gesundheit des gesamten Planeten geben kann. Das neueste Schlagwort hierfür ist »Planetary Health«.
Um die Erkenntnisse aus den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen auf systemischer Ebene zusammenzuführen und daraus konkrete Konsequenzen für unsere Gesundheit und die der Erde abzuleiten, bedarf es einer integrativen Sichtweise. Ein Verständnis aller Teildisziplinen bis in das kleinste wissenschaftliche Detail ist dabei für den Einzelnen aber nicht notwendig. Es reicht aus, wenn wir beginnen, die wesentlichen Mechanismen und Verbindungen dieses Netzes zu sehen und zu verstehen und in unsere täglichen Entscheidungen bezüglich Ernährung und Lebensweise im weitesten Sinne miteinzubeziehen. Eine Folge davon wird vielleicht auch eine ganz andere Sicht auf uns und unsere Rolle im Netz des Lebens auf der Erde sein.
Prolog: Geburt
»Blut, Schweiß und Tränen«, sagt Luise mit einem erleichterten Lächeln. Das umschreibe kurz gefasst die Geburt ihrer Tochter, die vor zwei Wochen in einem Wiener Krankenhaus das Licht der Welt erblickte. Luise und ihre Tochter sind wohlauf, obwohl »es eigentlich nicht so lief, wie geplant«, zumindest wenn es nach Luise gehen sollte. Sie wollte ihr Kind eigentlich lieber zu Hause auf die Welt bringen als in einem unpersönlichen Krankenhaus mit steriler Atmosphäre und all seiner Hektik.
Als sie ihrem Frauenarzt im Zuge einer der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen den Plan einer »natürlichen Hausgeburt« eröffnete, fiel dieser aus »allen Wolken« und »wurde richtig unfreundlich«, erinnert sich Luise. »Anstatt mich als Patientin in meinem Wunsch ernst zu nehmen und die Vor- und Nachteile einer Hausgeburt zu besprechen, schürte er nur Unsicherheit und Angst, indem er diverse Horrorszenarien von abgebrochenen Hausgeburten skizzierte.«
Die Hausgeburt einer Erstgebärenden