Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966511407
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sonderlich Soldatenbursch, bei welchen man die Laster nicht am ernstlichsten zu strafen pflegt, beides aus ihrer Gottlosigkeit und dem heiligen Willen Gottes selbsten nur einen Scherz machten. Zum Exempel, ich hörete einsmals einen Ehebrecher, welcher wegen vollbrachter Tat noch gerühmt sein wollte, diese gottlosen Wort sagen: »Es tuts dem geduldigen Hahnrei genug, dass er meinetwegen ein paar Hörner trägt, und wenn ich die Wahrheit bekennen soll, so hab ichs mehr dem Mann zuleid, als der Frauen zulieb getan, damit ich mich an ihm rächen möge.« »O kahle Rach!« antwortet' ein ehrbar Gemüt, so dabeistund, »dadurch man sein eigen Gewissen beflecket und den schändlichen Namen eines Ehebrechers überkommt!« »Was Ehebrecher?« antwortet' er ihm mit einem höhnischen Gelächter, »ich bin darum kein Ehebrecher, wenn ich schon diese Ehe ein wenig gebogen habe; dies sind Ehebrecher, wovon das sechste Gebot sagt, allwo es verbeut, dass keiner einem andern in Garten steigen und die Kirschen ehe brechen solle als der Eigentumsherr!« Und dass solches also zu verstehen sei, erklärte er gleich darauf, nach seinem Teufels-Catechismo, das siebente Gebot, welches diese Meinung deutlicher vorbringe, indem es sagt: ›Du sollst nicht stehlen‹, usw. Solcher Wort trieb er viel, also dass ich bei mir selbst seufzt und gedachte: gottslästerlicher Sünder! du nennest dich selbst einen Ehebieger, und den gütigen Gott einen Ehebrecher, weil er Mann und Weib durch den Tod voneinander trennet. »Meinest du nicht«, sagt ich aus übrigem Eifer und Verdruß zu ihm, wiewohl er ein Offizier war, »dass du dich mit diesen gottlosen Worten mehr versündigest, als mit dem Ehebruch selbsten?« Er aber antwortet' mir: »Du Mauskopf, soll ich dir ein paar Ohrfeigen geben?« Ich glaub auch, dass ich solche dicht bekommen hätte, wenn der Kerl meinen Herrn nicht hätte fürchten müssen: Ich aber schwieg still, und sah nachgehends, dass es gar kein seltene Sach war, wenn sich Ledige nach Verehelichten, und Verehelichte nach Ledigen umsahen.

      Als ich noch bei meinem Einsiedel den Weg zum ewigen Leben studierte, verwundert ich mich, warum doch Gott seinem Volk die Abgötterei so hochsträflich verboten? denn ich bildete mir ein, wer einmal den wahren ewigen Gott erkennet hätte, der würde wohl nimmermehr keinen andern ehren und anbeten; schloß also in meinem dummen Sinn, dies Gebot sei ohnnötig, und vergeblich gegeben worden: Aber ach! ich Narr wusste nicht was ich gedachte, denn sobald ich in die Welt kam, vermerkte ich, dass (dies Gebot ohnangesehen) beinahe jeder Weltmensch einen besondern Nebengott hatte, ja etliche hatten wohl mehr, als die alten und neuen Heiden selbsten, etliche hatten den ihrigen in der Kisten, auf welchen sie allen Trost und Zuversicht setzten; mancher hatte den seinen bei Hof, zu welchem er alle Zuflucht gestellt, der doch nur ein Favorit und oft ein liederlicher Bärnhäuter war als sein Anbeter selbst, weil sein luftige Gottheit nur aus des Prinzen aprilenwetterischer Gunst bestund; andere hatten den ihrigen in der Reputation, und bildeten sich ein, wenn sie nur dieselbige erhielten, so wären sie selbst auch halbe Götter; noch andere hatten den ihrigen im Kopf, nämlich diejenigen, denen der wahre Gott ein gesund Hirn verliehen, also dass sie einige Künste und Wissenschaften zu fassen geschickt waren, dieselben setzten den gütigen Geber auf ein Seit, und verließen sich auf die Gab, in Hoffnung, sie würde ihnen alle Wohlfahrt verleihen; auch waren viel, deren Gott ihr eigener Bauch war, welchem sie täglich die Opfer reichten, wie vorzeiten die Heiden dem Baccho und der Cerere getan, und wenn solcher sich unwillig erzeigte, oder sonst die menschlichen Gebrechen sich anmeldeten, so machten die elenden Menschen einen Gott aus dem Medico, und suchten ihres Lebens Aufenthalt in der Apothek, aus welcher sie zwar öfters zum Tod befördert wurden. Manche Narren machten sich Göttinnen aus glatten Metzen, dieselben nenneten sie mit andern Namen, beteten sie Tag und Nacht an mit viel tausend Seufzern und machten ihnen Lieder, welche nichts anders als ihr Lob in sich hielten, benebens einem demütigen Bitten, dass solche mit ihrer Torheit ein barmherziges Mitleiden tragen und auch zu Närrinnen werden wollten, gleichwie sie selbst Narren seien. Hingegen waren Weibsbilder, die hatten ihre eigene Schönheit für ihren Gott aufgeworfen; diese, gedachten sie, wird mich wohl vermannen, Gott im Himmel sage dazu, was er will; dieser Abgott ward anstatt anderer Opfer täglich mit allerhand Schminke, Salben, Wassern, Pulvern und sonst Schmirsel unterhalten und verehrt. Ich sah Leut, die wohlgelegene Häuser für Götter hielten, denn sie sagten, solang sie darin gewohnet, wäre ihnen Glück und Heil zugestanden und das Geld gleichsam zum Fenster hineingefallen; welcher Torheit ich mich höchstens verwundert, weil ich die Ursach sah, warum die Inwohner so guten Zuschlag gehabt. Ich kannte einen Kerl, der konnte in etlich Jahren vor dem Tobakhandel nicht recht schlafen, weil er demselben sein Herz, Sinn und Gedanken, das allein Gott gewidmet sein sollte, geschenkt hatte, er schickte demselben so tags als nachts so viel tausend Seufzer, weil er dadurch prosperierte; aber was geschah? der Phantast starb, und fuhr dahin wie der Tobakrauch selbst. Da gedacht ich: »O du elender Mensch! wäre dir deiner Seelen Seligkeit und des wahren Gottes Ehr so hoch angelegen gewesen als der Abgott, der in Gestalt eines Brasilianers mit einer Roll Tobak unterm Arm und einer Pfeifen im Maul auf deinem Gaden stehet, so lebte ich der ohnzweiflichen Zuversicht, du hättest ein herrliches Ehrenkränzlein in jener Welt zu tragen erworben.« Ein anderer Gesell hatte noch wohl liederlichere Götter, denn als bei einer Gesellschaft von jedem erzählt wurde, auf was Weis er sich in dem greulichen Hunger und teurer Zeit ernähret und durchgebracht, sagte dieser mit teutschen Worten: Die Schnecken und Frösch seien sein Herr Gott gewesen, er hätte sonst in Mangel ihrer müssen Hungers sterben. Ich fragte ihn, was ihm denn damals Gott selbst gewesen wäre, der ihm solche Insecta zu seinem Aufenthalt beschert hätte? Der Tropf aber wusste nichts zu antworten, und ich musste mich um so viel desto mehr verwundern, weil ich noch nirgends gelesen, dass die alten abgöttischen Ägypter noch die neulichsten Amerikaner jemals dergleichen Ungeziefer für Gott ausgeschrien, wie dieser Geck tat.

      Ich kam einsmals mit einem vornehmen Herrn in eine Kunstkammer, darinnen schöne Raritäten waren, unter den Gemälden gefiel mir nichts besser als ein Ecce Homo! wegen seiner erbärmlichen Darstellung, mit welcher es die Anschauer gleichsam zum Mitleiden verzückte; daneben hing eine papierne Karte in China gemalt, darauf stunden der Chinesen Abgötter in ihrer Majestät sitzend, deren teils wie die Teufel gestaltet waren; der Herr im Haus fragte mich, welches Stück in seiner Kunstkammer mir am besten gefiele? Ich deutet auf besagtes Ecce Homo, er aber sagte, ich irre mich, das Chineser Gemäld wäre rarer und dahero auch köstlicher, er wolle es nicht um zehen solcher Ecce Homo mangeln. Ich antwortet: »Herr, ist euer Herz wie euer Mund?« Er sagte: »Ich versehe michs.« Darauf sagte ich: »So ist auch euers Herzens Gott derjenige, dessen Conterfait ihr mit dem Mund bekennet, das köstlichste zu sein.« »Phantast«, sagt' jener, »ich ästimiere die Rarität!« Ich antwortet: »Was ist seltener und verwundernswürdiger, als dass Gottes Sohn selbst unsertwegen gelitten, wie uns dies Bildnis vorstellt?«

      So sehr wurden nun diese und noch eine größere Menge anderer Art Abgötter geehrt, so sehr wurde hingegen die wahre göttliche Majestät verachtet, denn gleichwie ich niemand sah, der sein Wort und Gebot zu halten begehrte, also sah ich hingegen viel, die ihm in allem widerstrebten, und die Zöllner (welche zu den Zeiten, als Christus noch auf Erden wandelt', offene Sünder waren) mit Bosheit übertrafen. Christus spricht: »Liebet eure Feinde, segnet die euch fluchen, tut wohl denen die euch hassen, bittet für die so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid euers Vaters im Himmel; denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? tun solches nicht auch die Zöllner? und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? tun nicht die Zöllner auch also?« Aber ich fand nicht allein niemand, der diesem Befehl Christi nachzukommen begehrte, sondern jedermann tat gerad das Widerspiel, es hieß, viel Schwäger, viel Knebelspieß', und nirgends fand sich mehr Neid, Haß, Mißgunst, Hader und Zank als zwischen Brüdern, Schwestern und andern angebornen Freunden, sonderlich wenn ihnen ein Erb zuteilen zugefallen war; auch sonst haßte das Handwerk aller Orten einander, also dass ich handgreiflich sehen und schließen musste, dass vor diesem die offenen Sünder, Publikanen und Zöllner, welche wegen ihrer Bosheit und Gottlosigkeit bei männiglich verhaßt waren, uns heutigen Christen mit Übung brüderlicher Liebe weit überlegen gewesen; maßen ihnen Christus selbsten das Zeugnis gibt, dass sie sich untereinander geliebet haben. Dahero betrachtete ich, wenn wir keinen Lohn haben, so wir die Feinde nicht lieben, was für große Strafen wir dann gewärtig sein müssen, wenn wir auch unsere Freund hassen; wo die größte Lieb und Treu sein sollte, fand ich die höchste Untreu