Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966511407
Скачать книгу
zu öffnen, und mich dabei meiner Kunst zu bedienen, die mich erst die vorig Nacht mein Kamerad gelehret hatte; solchem Unterricht zufolg hub ich das linke Bein samt dem Schenkel in alle Höhe auf, drückte von allen Kräften was ich konnte, und wollte meinen Spruch ›Je pète‹ zugleich dreimal heimlich sagen; als aber der ungeheure Gespan, der zum Hintern hinauswischte, wider mein Verhoffen so greulich tönete, wusste ich vor Schrecken nit mehr was ich täte, mir wurde einsmals so bang, als wenn ich auf der Leiter am Galgen gestanden wäre, und mir der Henker bereits den Strick hätte anlegen wollen; und in solcher jählingen Angst so verwirret, dass ich auch meinen eigenen Gliedern nicht mehr befehlen konnte, maßen mein Maul in diesem urplötzlichen Lärmen auch rebellisch wurde, und dem Hintern nichts bevorgeben noch gestatten wollte, dass er allein das Wort haben, es aber, das zum Reden und Schreien erschaffen, seine Reden heimlich brummeln sollte, derowegen ließ solches dasjenige, so ich heimlich zu reden im Sinn hatte, dem Hintern zu Trutz überlaut hören, und zwar so schrecklich, als wenn man mir die Kehl hätte abstechen wollen: je greulicher der Unterwind knallete, je grausamer das ›Je pète‹ oben herausfuhr, gleichsam als ob meines Magens Ein- und Ausgang einen Wettstreit miteinander gehalten hätten, welcher unter ihnen beiden die schrecklichste Stimm von sich zu donnern vermochte. Hierdurch bekam ich wohl Linderung in meinem Eingeweid, dagegen aber einen ungnädigen Herrn an meinem Gouverneur; seine Gäst wurden über diesem unversehenen Knall fast wieder alle nüchtern, ich aber, weil ich mit aller meiner angewandten Mühe und Arbeit keinen Wind bannen können, in eine Futterwanne gespannet und also zerkarbeitscht, dass ich noch bis auf diese Stund daran gedenke. Solches waren die erste Bastonaden die ich kriegte, seit ich das erstemal Luft geschöpft, weil ich dieselbe so abscheulich verderbt hatte, in welcher wir doch gemeinschaftlicher Weis leben müssen, da brachte man Rauchtäfelein und Kerzen, und die Gäst suchten ihre Bisemknöpf und Balsambüchslein, auch sogar ihren Schnupftobak hervor, aber die besten aromata wollten schier nichts erklecken. Also hatte ich von diesem Actu, den ich besser als der beste Komödiant in der Welt spielte, Friede in meinem Bauch, hingegen Schläg auf den Buckel, die Gäst aber ihre Nasen voller Gestank, und die Aufwärter ihre Mühe, wieder einen guten Geruch ins Zimmer zu machen.

      Wie dies vorüber, musste ich wieder aufwarten wie zuvor, mein Pfarrer war noch vorhanden, und wurde sowohl als andere zum Trunk genötiget, er aber wollte nicht recht daran, sondern sagte: Er möchte so bestialisch nicht saufen; hingegen erwies ihm ein guter Zechbruder, dass er, Pfarrer, wie eine Bestia, er, der Säufer, und andere Anwesende aber wie Menschen söffen. »Denn«, sagte er, »ein Vieh säuft nur so viel als ihm wohl schmecket und den Durst löscht, weil sie nicht wissen was gut ist, noch den Wein trinken mögen; uns Menschen aber beliebt, dass wir uns den Trunk zunutz machen, und den edlen Rebensaft einschleichen lassen, wie unser Voreltern auch getan haben.« »So wohl«, sagt' der Pfarrer, »es gebührt mir aber rechte Maß zu halten.« »Wohl«, antwort jener, »ein ehrlicher Mann hält sein Wort«, und ließ ihm darauf einen mäßigen Becher einschenken, denselben dem Pfarrer zuzuzotteln; er hingegen ging durch und ließ den Säufer mit seinem Eimer stehen.

      Als dieser abgeschafft war, ging es drunter und drüber, und ließ sich ansehen, als wenn diese Gasterei ein bestimmte Zeit und Gelegenheit sein sollte, sich gegeneinander mit Vollsaufen zu rächen, einander in Schand zu bringen oder sonst ein Possen zu reißen; denn wenn einer expediert wurde, dass er weder sitzen, gehen oder stehen mehr konnte, so hieß es: Nun ists wett! Du hast mirs hiebefür auch so gekocht, jetzt ist dirs eingetränkt!, und so fortan etc. Welcher aber ausdauren und am besten saufen konnte, wusste sich dessen groß zu machen, und dünkte sich kein geringer Kerl zu sein; zuletzt dürmelten sie alle herum, als wenn sie Bilsensamen genossen hätten. Es war eben ein wunderliches Faßnachtspiel an ihnen zu sehen, und war doch niemand, der sich darüber verwundert' als ich; einer sang, der ander weinet', einer lachte, der ander traurete, einer fluchte, der ander betete, einer schrie überlaut Courage, der ander konnte nicht mehr reden, einer war stille und friedlich, der ander wollte den Teufel mit Raufhändeln bannen, einer schlief und schwieg still, der ander plaudert', dass sonst keiner vor ihm zukommen konnte; einer erzählte seine liebliche Buhlerei, der ander seine erschrecklichen Kriegstaten, etliche redeten von der Kirch und geistlichen Sachen, andere von Ratione Status, der Politik, Welt- und Reichshändeln; teils liefen hin und wider und konnten an keiner Stelle bleiben, andere lagen und vermochten nicht, den kleinesten Finger zu regen, geschweige aufrecht zu gehen oder zu stehen, etliche fraßen wie die Drescher und als ob sie acht Tage Hunger gelitten hätten, andere kotzten wieder, was sie denselbigen ganzen Tag eingeschlucket hatten. Einmal, ihr ganzes Tun und Lassen war dermaßen possierlich, närrisch, seltsam, und dabei so sündhaftig und gottlos, dass der mir entwischte üble Geruch, darum ich gleichwohl so gräulich zerschlagen worden, nur ein Scherz dagegen zu rechnen. Endlich setzt' es unten an der Tafel ernstliche Streithändel, da warf man einander Gläser, Becher, Schüsseln und Teller an die Köpf, und schlug nicht allein mit Fäusten, sondern auch mit Stühlen, Stuhlbeinen, Degen und allerhand Siebensachen drein, dass etlich der rote Saft über die Ohren lief, aber mein Herr stillete den Handel gleich wiederum.

      Da es nun wieder Fried worden, nahmen die Meistersäufer die Spielleut samt dem Frauenzimmer, und wanderten in ein ander Haus, dessen Saal auch zu einer andern Torheit erkoren und gewidmet war; mein Herr aber setzte sich auf sein Lotterbett, weil ihm entweder vom Zorn oder der Überfüllung wehe war, ich ließ ihn liegen, wo er lag, damit er ruhen und schlafen könnte, war aber kaum unter die Tür des Zimmers kommen, als er mir pfeifen wollte und solches doch nicht konnte. Er rief, aber nicht anders als ›Simpls‹. Ich sprang zu ihm und fand ihn die Augen verkehren wie ein Vieh, das man absticht; ich stund da vor ihm wie ein Stockfisch und wusste nicht was zu tun war: er aber deutet' aufs Tresor und lallete: »Br-bra-bring da das; du Schuft, la-la-lang-langs Lavor, ich m-mu-muss e-ein Fu-Fuchs schießen!« Ich eilete und brachte das Lavorbecken, und als ich zu ihm kam, hatte er ein Paar Backen wie ein Trompeter; er erwischte mich geschwind bei dem Arm und akkommodierte mich zu stehen, dass ich ihm das Lavor gerad vors Maul halten musste, solches brach ihm mit schmerzlichen Herzstößen ohnversehens auf, und goß eine solche wüste Materi in bemeldtes Lavor, dass mir vor unleidentlichem Gestank schier ohnmächtig wurde, sonderlich weil mir etliche Brocken (sal. ven.) ins Gesicht spritzten: Ich hätte beinahe auch mitgemacht, aber als ich sah, wie er verbleichte, ließ ichs aus Furcht unterwegen, und besorgte, die Seel würde ihm samt dem Unflat durchgehen, weil ihm der kalte Schweiß ausbrach, und sein Angesicht einem Sterbenden ähnlich sah: Als er sich aber gleich wieder erholte, hieß er mich frisch Wasser holen, damit er seinen Weinschlauch wieder ausspülete.

      Demnach befahl er mir den Fuchs hinwegzutragen, welcher mich, weil er in einem silbern Lavor lag, nichts Verächtliches, sondern ein Schüssel voller Vor-Essen für vier Mann zu sein bedünkt', das sich beileib nicht hinwegzuschütten gebührte; zudem wusste ich wohl, dass mein Herr nichts Schlimmes in seinen Magen gesammlet, sondern herrliche und delikate Pastetlein, wie auch von allerhand Gebackens, Geflügel, Wildpret und zahmem Vieh, welches man alles noch artlich unterscheiden und kennen konnte, ich schummelte mich damit, wusste aber nicht wohin, oder was ich draus machen sollte, durfte auch meinen Herrn nicht fragen. Ich ging zum Hofmeister, dem wies ich dieses schöne Traktament, und fragte, was ich mit dem Fuchs machen sollte? Er antwortet': »Narr gehe, und bring ihn dem Kürschner, dass er den Balg bereite.« Ich fragte, wo der Kürschner sei? »Nein«, antwortet' er, da er mein Einfalt sah, »bring ihn dem Doktor, damit er daran sehe, was für ein Zustand unser Herr habe.« Solchen Aprilengang hätte ich getan, wenn der Hofmeister nicht was anders gefürcht hätte, er hieß mich derowegen den Bettel in die Küche tragen, mit Befehl, die Mägd solltens aufheben und ein Pfeffer drüber machen, welches ich ernstlich ausrichtet, und deswegen von den Schleppsäcken mächtig agiert worden.

      Mein Herr ging eben aus, als ich meines Lavors los worden, ich trat ihm nach gegen ein großes Haus zu, allwo ich im Saal Männer, Weiber und ledige Personen so schnell untereinander herumhaspeln sah, dass es frei