Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966511407
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Wind, weder Berg noch Tal, weder Felder noch Morast, weder Gräben, Päß, Meer, Mauren, Wasser, Feuer, noch Wälle, weder Vater noch Mutter, Brüder und Schwestern, weder Gefahr ihrer eigenen Leiber, Seelen und Gewissen, ja weder Verlust des Lebens, noch des Himmels, oder sonst einzig anderer Ding, wie das Namen haben mag, verhindern ließen: sondern sie weberten in ihren Werken immer emsig fort, bis sie endlich nach und nach in Schlachten, Belagerungen, Stürmen, Feldzügen, und in den Quartieren selbsten (so doch der Soldaten irdische Paradeis sind, sonderlich wenn sie fette Bauren antreffen), umkamen, starben, verdarben, und krepierten; bis auf etlich wenige, die in ihrem Alter, wenn sie nicht wacker geschunden und gestohlen hatten, die allerbesten Bettler und Landstörzer abgaben. Zu nächst über diesen mühseligen Leuten saßen so alte Hühnerfänger, die sich etlich Jahr mit höchster Gefahr auf den untersten Ästen beholfen, durchgebissen, und das Glück gehabt hatten, dem Tod bis dahin zu entlaufen, diese sahen ernstlich und etwas reputierlicher aus als die untersten, weil sie um einen gradum hinaufgestiegen waren; aber über ihnen befanden sich noch höhere, welche auch höhere Einbildungen hatten, weil sie die untersten zu kommandieren, diese nennte man Wamsklopfer, weil sie den Pikenierern mit ihren Prügeln und Hellenpotzmarter den Rücken sowohl als den Kopf abzufegen, und den Musketierern Baumöl zu geben pflegten, ihr Gewehr damit zu schmieren. Über diesen hatte des Baumes Stamm einen Absatz oder Unterscheid, welches ein glattes Stück war, ohne Ast, mit wunderbarlichen Materialien und seltsamer Seifen der Mißgunst geschmieret, also dass kein Kerl, er sei denn vom Adel, weder durch Mannheit, Geschicklichkeit noch Wissenschaft hinaufsteigen konnte, Gott geb wie er auch klettern könnte; denn es war glatter poliert, als eine marmorsteinerne Säul oder stählerner Spiegel; über demselben Ort saßen die mit den Fähnlein, deren waren teils jung und teils bei ziemlichen Jahren, die jungen hatten ihre Vettern hinaufgehoben, die Alten aber waren zum Teil von sich selbst hinaufgestiegen, entweder auf einer silbernen Leiter, die man Schmiralia nennet', oder sonst auf einem Steg, den ihnen das Glück aus Mangel anderer gelegt hatte. Besser oben saßen noch höhere, die auch ihre Mühe, Sorg und Anfechtung hatten, sie genossen aber diesen Vorteil, dass sie ihre Beutel mit demjenigen Speck am besten spicken können, welchen sie mit einem Messer, das sie Kontribution nenneten, aus der Wurzel schnitten; am tunlichsten und geschicktesten fiel es ihnen, wenn ein Commissarius daherkam, und ein Wanne voll Geld über den Baum abschüttete, solchen zu erquicken, dass sie das Beste von oben herab auffingen, und den untersten soviel als nichts zukommen ließen; dahero pflegten von den untersten mehr Hungers zu sterben, als ihrer vom Feind umkamen, welcher Gefahr miteinander die höchsten entübriget zu sein schienen. Dahero war ein unaufhörliches Gekrabbel und Aufkletterns an diesem Baum, weil jeder gerne an den obristen glückseligen Orten sitzen wollte, doch waren etliche faule liederliche Schlingel, die das Kommißbrot zu fressen nicht wert waren, welche sich wenig um ein Oberstell bemüheten, und ein Weg als den andern tun mussten, was ihr Schuldigkeit erfordert'; die Untersten, was ehrgeizig war, hoffeten auf der Obern Fall, damit sie an ihren Ort sitzen möchten, und wann es unter Zehentausenden einem geriet, dass er so weit gelangte, so geschah solches erst in ihrem verdrießlichen Alter, da sie besser hintern Ofen taugten Äpfel zu braten, als im Feld vorm Feind zu liegen, und wenn schon einer wohl stund, und seine Sach rechtschaffen verrichtete, so wurde er von andern geneidet, oder sonst durch einen ohnversehenlichen unglücklichen Dunst beides der Charge und des Lebens beraubt, nirgends hielt es härter, als an obgemeldtem glatten Ort, denn welcher einen guten Feldweibel oder Sergeanten hatte, verlor ihn ungern, welches aber geschehen musste, wenn man ein Fähnrich aus ihm gemacht hätte. Man nahm dahero, anstatt der alten Soldaten, viel lieber Blackscheißer, Kammerdiener, erwachsene Pagen, arme Edelleut, irgends Vettern und sonst Schmarotzer und Hungerleider, die denen, so etwas meritiert, das Brot vorm Maul abschnitten, und Fähnrich wurden.

      Dieses verdroß einen Feldweibel so sehr, dass er trefflich anfing zu schmälen, aber Adelhold sagte: »Weißt du nicht, dass man je und allwegen die Kriegsämter mit adeligen Personen besetzt hat? als welche hierzu am tauglichsten sind; graue Bärt schlagen den Feind nicht, man könnte sonst ein Herd Böck zu solchem Geschäft dingen, es heißt:

      Ein junger Stier wird vorgestellt

      Dem Haufen, als erfahren,

      Den er auch hübsch beisammen hält,

      Trutz dem von vielen Jahren;

      Der Hirt darf ihm vertrauen auch,

      Ohn Ansehn seiner Jugend,

      Man judiziert nach bösem Brauch,

      Aus Altertum die Tugend.

      Sag mir, du alter Krachwadel, ob nicht edelgeborne Offizier von der Soldateska besser respektieret werden, als diejenigen, so zuvor gemeine Knecht gewesen? und was ist für Kriegsdisziplin zu halten, wo kein rechter Respekt ist? darf nicht der Feldherr einem Kavalier mehr vertrauen, als einem Baurenbuben, der seinem Vater vom Pflug entlaufen, und seinen eigenen Eltern kein gut tun wollen? Ein rechtschaffener Edelmann, ehe er seinem Geschlecht durch Untreu, Feldflucht, oder sonst etwas dergleichen einen Schandflecken anhängte, ehe würde er ehrlich sterben: zudem gebührt dem Adel der Vorzug in allwege, wie solches leg. Honor. dig. de honor. zu sehen. Johannes de Platea will ausdrücklich, dass man in Bestallung der Ämter dem Adel den Vorzug lassen, und die Edelleut den Plebejis schlecht soll vorziehen; ja solches ist in allen Rechten bräuchlich, und wird in Hl. Schrift bestätigt, denn Beata terra, cuius Rex nobilis est, sagt Sirach cap. 10, welches ein herrlich Zeugnis ist des Vorzugs, so dem Adel gebührt. Und wenn schon einer von euch ein guter Soldat ist, der Pulver riechen, und in allen Begebenheiten treffliche Anschläg geben kann, so ist er darum nicht gleich tüchtig, andere zu kommandieren; dahingegen diese Tugend dem Adel angeborn, oder von Jugend auf angewöhnet wird. Seneca sagt: Habet hoc proprium generosus animus, quod concitatur ad honesta, et neminem excelsi ingenii virum humilia delectant et sordida. Welches auch Faustus Poeta in diesem Disticho exprimiert hat:

      Si te rusticitas vilem genuisset agrestis,

      Nobilitas animi non foret ista tui.

      Überdas hat der Adel mehr Mittel, ihren Untergehörigen mit Geld, und den schwachen Kompagnien mit Volk zu helfen, als ein Bauer: So stünde es auch nach dem gemeinen Sprichwort nicht fein, wenn man den Bauren über den Edelmann setzte; auch würden die Bauren viel zu hoffärtig, wenn man sie also strack zu Herren machte, denn man sagt:

      Es ist kein Schwert das schärfer schiert,

      Als wenn ein Baur zum Herren wird.

      Hätten die Bauren durch lang-hergebrachte löbliche Gewohnheit die Kriegs- und anderen Ämter in Possession, wie der Adel, so würden sie gewißlich sobald keinen Edelmann einkommen lassen; zudem, ob man euch Soldaten von Fortun (wie ihr genennet werdet) schon oft gerne helfen wollte, dass ihr zu höhern Ehren erhaben würdet, so seid ihr aber alsdann gemeiniglich schon so abgelebt, wenn man euch probiert hat und eines Bessern würdig schätzet, dass man Bedenkens haben muss, euch zu befördern; denn da ist die Hitz der Jugend verloschen, und gedenket ihr nur schlechts dahin, wie ihr euren kranken Leibern, die durch viel erstandene Widerwärtigkeit ausgemergelt und zu Kriegsdiensten wenig mehr nutz sein, gütlich tun und wohl pflegen möget, Gott geb, wer fechte und Ehr einlege; hingegen aber ist ein junger Hund zum jagen viel freudiger als ein alter Löw.«

      Der Feldweibel antwortet': »Welcher Narr wollte denn dienen, wenn er nicht hoffen darf, durch sein Wohlverhalten befördert, und also um seine getreuen Dienst belohnt zu werden: Der Teufel hol solchen Krieg! Auf diese Weis gilts gleich, ob sich einer wohl hält oder nicht. Ich hab von unserm alten Obristen vielmals gehört, dass er keinen Soldaten unter sein Regiment begehre, der sich nicht festiglich einbilde, durch Wohlverhalten ein General zu werden. So muss auch alle Welt bekennen, dass diejenigen Nationen, so gemeinen aber doch rechtschaffenen Soldaten forthelfen und ihre Tapferkeit bedenken, gemeiniglich victorisieren, welches man an den Persern und Türken wohl siehet. Es heißt:

      Die Lampe leucht dir fein, doch musst du sie auch laben

      Mit fett Oliven-Saft, die Flamm sonst bald verlischt:

      Getreuer