Liebe im neuen Jahrtausend. Can Xue 残雪. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Can Xue 残雪
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783751800549
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was Sie meinen. So reden die Frauen, an denen Wei Bo Gefallen findet. Und je öfter er behauptet, Sie wären ein braves Mädchen, desto weniger glaube ich ihm. Was hätte ein braves Mädchen an einem Ort wie diesem zu suchen?«

      Long Sixiang verdrehte beim Reden immerzu die Augen, so als müsse sie den Gedanken an etwas Widerwärtiges unterdrücken. Auf Cuilan wirkte sie zwar nicht besonders hübsch, aber sie musste zugeben, dass die Art, wie die Frau munter drauflosredete, ihren Reiz hatte.

      »Sie haben also auch ein Verhältnis mit Wei Bo?«, fragte Cuilan betont scherzhaft.

      »Schön wär’s.« Long Sixiang schüttelte bedauernd den Kopf. »Der hat nur diese Ah Si im Sinn, der alte Bulle frisst gern junges Gras. Es heißt, er hätte sich ihretwegen stark verschuldet.«

      Sie gingen ein Stück gemeinsam, bis sich ihre Wege trennten. Diese Long Sixiang war ganz nach Cuilans Geschmack, und so beschloss sie, die Frau bei Gelegenheit wiederzusehen.

      Zurück zu Hause fühlte sie sich zunehmend durcheinander. Warum plagte Wei Bos Geist sie jetzt wieder so sehr? Hatte sie sich denn nicht längst mit dem Ende ihrer Beziehung abgefunden? Sie hatte für eine kurze Weile etwas mit einem einfachen Arbeiter aus einer Seifenfabrik gehabt, dann war ihre schicksalhafte Verbindung an ihr Ende gekommen und jeder von ihnen war seiner Wege gegangen. Nichts weiter. Vor ihrem Besuch im Wellnesshotel hatte sie nicht einmal an ihn gedacht und allein die Begegnung mit diesem Antiquitätengutachter You gefürchtet. Wei Bo gehörte nicht mehr in ihre Gedanken. Und doch wollte er sie nicht loslassen, weder am helllichten Tag noch nachts in ihren Träumen. Long Sixiangs Worten zufolge war Wei Bo bei den Frauen beliebt, und er wusste offensichtlich mit ihnen umzugehen.

      Kaum dass sie Witwe geworden war, hatte eine ganze Reihe Männer sich um sie bemüht. Sie war sich selbst egoistisch vorgekommen, weil sie für keinen von ihnen bereit gewesen wäre, Opfer zu bringen. Daher war sie lieber allein geblieben. Und sie genoss ihr Singleleben, wenn es auch nicht immer ganz sorglos war. Wei Bo hatte ihr besser gefallen als andere Männer, sicher, aber auch nicht so, dass sie sich Opfergaben an seinem Grab machen sah. Sie hatte es nicht nötig, sich von jemandem abhängig zu machen. Was war nur los mit diesen Weibern von der Baumwollfabrik? Jede einzelne von ihnen wollte gern Prostituierte sein und sie alle wirkten vernarrt in Wei Bo. Er schien etwas Besonderes zu haben. Und auch Cuilans Gedanken kreisten schließlich nur um ihn.

      So aß sie zu Abend, spülte das Geschirr und stellte fest, dass es schon wieder dunkel geworden war. Unter ihrem Fenster tollten spielende Kinder herum, die Verkäufer der Garküchen boten lautstark ihre Nudelsuppen feil. Schon gingen die Straßenlaternen vor ihrem Wohnblock an, unter deren fahlem Licht sich kleine Grüppchen sammelten. Die Leute hockten dort jeden Abend, aber nicht etwa, um Mahjong zu spielen oder zu plaudern. Im Laufe der Jahre war Cuilan zu dem Schluss gekommen, dass die Leute sich einfach deshalb an den Straßenrand hockten, um nicht allein zu Hause zu sein. Sie saßen direkt gegenüber Cuilans Fenster, was sie nie sonderlich gestört hatte, sie nahm es hin, als wären sie Holzpfosten. Heute aber waren ihr die Blicke unangenehm. Sie schloss das Fenster und zog sich in ihr Schlafzimmer zurück.

      Dort ordnete sie den Inhalt ihrer Geldbörse, mehr war nicht zu tun. Zum Schlafengehen war es ihr jedoch zu früh. Ihr Blick blieb an dem Bild einer schönen Frau an der Wand hängen, der Nahaufnahme einer ihrer Lieblingsschauspielerinnen. Es kam Cuilan vor, als beobachte die Frau sie, als wende sie sogar den Kopf nach ihr. Doch wenn sie zurückstarren wollte, traf sie ihren Blick nicht.

      Sie war beinahe eingeschlafen, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss: Ob Herr You jede Einzelheit ihres Lebens kannte?

      Wei Bo war schon lange nicht mehr heimlich bei Cuilan gewesen. Vor einer Weile war er auf einer Party einem ihrer ehemaligen Liebhaber begegnet. Der hatte, woher auch immer, von Wei Bos Geheimnis gewusst und war direkt auf ihn zugekommen, um über Cuilan zu reden. Sie sei »die Ausgeburt des Bösen«, hatte der Mann behauptet, und sowieso eine, der beim Anblick von Geld die Augen aus dem Kopf fielen. Von so einer solle er besser die Finger lassen, da würde nichts Gutes bei herauskommen. Wei Bo war entsetzt über dieses Geschwätz und glaubte dem Mann zunächst kein Wort. Doch dann zog der ehemalige Liebhaber einen schmutzigen, zerknitterten Brief aus der Tasche und hielt ihm ihn unter die Nase. Es war eindeutig Cuilans Handschrift. Sie forderte den Mann darin auf, ihr umgehend zwanzigtausend Yuan auf ihr Konto zu überweisen, als »Ausgleichszahlung für meine verlorene Jugend«, gefolgt von wüsten Drohungen.

      Wei Bo nahm erst den Brief, dann den Umschlag genauer in Augenschein. Kein Zweifel, er stammte tatsächlich von Cuilan. Sein Herz zog sich zusammen. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.

      »Hast du dich deshalb von ihr getrennt?«, fragte Wei Bo.

      »Nein, das hatte ich auch nie vor. Ich habe ihr das Geld überwiesen und wollte die Beziehung fortsetzen. Und was hat sie gemacht? Sie hat mir ein Paar Mafiosi auf den Hals gehetzt, die drohten, mich umzubringen.«

      Wei Bo fiel auf, dass der Mann beim Reden nicht ganz bei der Sache war und sogar hin und wieder von einem Ohr zum anderen grinste. Ihm schien das Ganze gar nichts auszumachen. Ob er vielleicht geistesgestört war? Plötzlich packte er Wei Bos Hände. »Meinst du, es gibt noch Hoffnung für mich?«, fragte er. »Ich denke, du bist jemand, der das objektiv beurteilen kann. Darf ich noch hoffen? Ich bin bereit, ihr noch einmal zwanzigtausend zu schicken, wenn ich noch eine Chance habe.«

      Seine Hände fühlten sich kalt und klebrig an. Wei Bo versuchte, sich von ihnen zu befreien, aber es gelang ihm nicht. Nervös antwortete er: »Ich weiß es nicht. Wie soll ich das wissen? Das kannst du selbst am besten beurteilen. Ein Neffe von mir, aus der entfernten Verwandtschaft, hat einmal jemanden aus Liebe getötet. Vollkommen sinnlos, nicht wahr? Liebe ist etwas Wunderbares. Wie oft im Leben stößt einem schon so etwas Wunderbares zu, hm?«

      Seine Antwort war nicht das, was der Exfreund hören wollte. Ungehalten ließ er seine Hände los.

      Die Feier hatte im Haus eines Arbeitskollegen stattgefunden und vor der allgemeinen Geräuschkulisse hatte niemand von ihrem Gespräch Notiz genommen. Wei Bo wollte sich lieber woanders hinsetzen. Er stand auf, um ins Bad zu gehen. Doch als er zurückkam, war der Mann verschwunden. Erleichtert ließ er sich wieder auf seinen Platz fallen. Als er den Kopf hob, bemerkte er, wie ein ungeladener Gast die Tür aufstieß. Es war der Antiquitätengutachter You. Wei Bo erkannte ihn sofort, obwohl sie sich kaum je begegnet waren. You kam geradewegs auf ihn zu und setzte sich ungebeten neben ihn. Zu Wei Bos Überraschung fing You augenblicklich an, auf ihn einzureden, als wären sie alte Bekannte.

      »Das Geschäft mit der Liebe läuft schlecht in letzter Zeit, was? Alles geht den Bach runter. Das kennst du sicher. Jaja, die Frauen – ihnen haben wir alle Freuden dieser Welt zu verdanken, meinst du nicht auch?«

      Herrn Yous aufdringliches Parfüm machte Wei Bo ganz benommen.

      »Aber wo sind die Frauen? Nie sind sie zu haben! Sieh dich doch um, alles voller bezaubernder Weibsbilder, aber kaum ist die Party zu Ende, lösen sie sich in nichts auf. Manchmal wache ich mitten in der Nacht auf und gucke aus dem Fenster. Ich wohne im zweiten Stock, von wo aus ich ganze Armeen von Frauen von West nach Ost vorbeimarschieren sehe, eine verführerischer als die andere. Niu Cuilan ist eine von ihnen.«

      You entblößte beim Lachen sein abscheuliches Rindergebiss. Angewidert zog Wei Bo die Brauen zusammen.

      Die Gegenwart dieses dandyhaften Scheusals war ihm so zuwider, dass er sich bald vom Gastgeber verabschiedete und zum Gehen anschickte. Herr You ließ den Kopf hängen, als sei er zutiefst gekränkt.

      Nach jener Feier trennte sich Wei Bo von Cuilan. Mal kam ihm die Art und Weise, auf die er sich von ihr verabschiedet hatte, sehr rücksichtsvoll vor, dann wieder fand er es erbärmlich. Eins war ihm jedenfalls selbst nicht klar: War er nun wirklich von ihr getrennt oder nicht? Er hatte das dumpfe Gefühl, dass die Frage sich nicht ohne Weiteres beantworten ließ, Cuilan war nicht die Sorte Frau, von der man sich so einfach trennen konnte. Seit ihrer ersten Begegnung war er sich dessen bewusst gewesen und genau deshalb wollte er sich schon lange von ihr trennen. Er horchte in sich hinein. Wei Bo betrachtete sich selbst als einen ungewöhnlichen Mann. Er mochte es, spielerisch seine Gefühle auf die Probe zu stellen.

      Das