Greta Thunberg redete den Mächtigen dieser Welt mit einer Radikalität ins Gewissen wie sonst noch niemand: »Wir stehen vor einer Katastrophe unaussprechlichen Leidens für eine riesige Anzahl von Menschen. Und jetzt ist nicht die Zeit, um höflich zu sprechen oder sich darauf zu fokussieren, was wir sagen oder nicht sagen können. Jetzt ist die Zeit, um Klartext zu reden. Die Klimakrise zu lösen, ist die größte und komplexeste Herausforderung, vor der homo sapiens je stand. Die wichtigste Lösung aber ist so einfach, dass selbst ein kleines Kind sie verstehen kann. Wir müssen die Treibhausgas-Emissionen stoppen. Und entweder wir machen das, oder wir machen es nicht …
Wir müssen in unseren gegenwärtigen Gesellschaften fast alles ändern. Je größer euer CO2-Fußabdruck, desto größer eure moralische Verpflichtung … Erwachsene sagen immer wieder: »Wir schulden es den jungen Menschen, ihnen Hoffnung zu geben.« Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr Panik habt. Ich will, dass ihr die gleiche Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Und dann will ich, dass ihr handelt. Ich will, dass ihr handelt, wie ihr es in einer Krise tun würdet. Ich will, dass ihr handelt, als stünde euer Haus in Flammen. Denn das tut es.«
Die Wut-Rede der jungen Schwedin erinnert mich an den Slogan der Umweltbewegungen in den Achtzigern, der sich angeblich auf Häuptling Seattle bezieht: »When the last tree is cut down, the last fish eaten, and the last stream poisoned, you will realize that you cannot eat money.« – »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fisch gegessen, der letzte Fluss vergiftet ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.«
Panik ist wenig hilfreich, sie lähmt eher. Mit Panik legen wir kein einziges Kohlekraftwerk still. Aber in allem anderen, liebe Greta Thunberg, stimme ich Ihnen völlig zu, gerade deshalb, weil Sie auch emotional argumentieren.
Greta Thunberg und ihrer »Fridays for Future«-Bewegung wird oft vorgeworfen, viel zu emotional zu argumentieren. Warum eigentlich?
Als die junge Frau diese Rede hielt, wussten wir noch nichts von Corona. In der Corona-Krise mussten die Politiker auf der ganzen Welt dann tatsächlich so handeln, als stünde unser gemeinsames Haus, die Welt, in Flammen. Und sie taten es wirklich. Sofort.
4. Die Vorgängerin von Greta heißt Angela
Greta Thunberg hatte eine Vorgängerin. Ihr Name: Angela Merkel. Die spätere Kanzlerin hat 21 Jahre bevor Greta vor dem schwedischen Reichstag ihre Klimaproteste begann, das Buch publiziert »Der Preis des Überlebens«, in dem sie als Umweltministerin mehr Klimaschutz als Überlebensfrage der Menschheit anmahnte. Das klang damals beinahe so radikal wie Greta Thunberg heute.
Angela Merkel erklärte 1997 den Klimawandel zu einer Sache von Leben und Tod. Der jungen Schwedin wird heute ein alarmistischer Ton vorgeworfen, wenn sie dasselbe sagt. Dabei wiederholt sie nur, was die deutsche Umweltministerin lange zuvor schon geschrieben und gefordert hatte. Merkels Forderungen damals:
eine CO2-Steuer;
Klimaschutz sei nicht zum Nulltarif zu haben;
eine weltweite Aufforstung als Mittel, um CO2 zukompensieren;
Förderung des öffentlichen Verkehrs.
Angela Merkels Gedanken und Gespräche über zukünftige Aufgaben der Umweltpolitik
Schon 1995 hatte ich Angela Merkel 750.000 Unterschriften übergeben, welche die deutschen Umweltverbände in der Aktion »Globaler ökologischer Marshallplan« gesammelt hatten. Eine unserer Forderungen hieß Flugbenzinsteuer. Angela Merkel dazu wörtlich: »Da stimme ich Ihnen voll zu.«
Angela Merkel 1995 mit dem Autor
© bundesregierung.de /Guido Bergmann
Also: Schon zwei Jahrzehnte, bevor Greta Thunberg ihren berühmtesten Satz sagte: »Unser Haus brennt«, war Klimaschutz für Angela Merkel eine Frage des Überlebens. O-Ton Merkel damals: »International wird es nur möglich sein, andere Länder zum Handeln zu bewegen, wenn wir in den Industriestaaten wirklich an unserem Lebensstil etwas ändern.« Vor 23 Jahren wollte Merkel eine CO2-Steuer. Doch bis vor Kurzem stand im CDU-Klimakonzept: »Eine CO2-Steuer lehnen wir ab.«
1997 schrieb Angela Merkel: Wenn man beim Klimaschutz zu lange abwartet, »kann es eines Tages unter Umständen zu spät sein«. Schon 1997 lagen alle wichtigen Klimadaten auf dem Tisch; die Klimawissenschaft hatte gut gearbeitet. Und heute? Sicher ist, dass die Bundesregierung mit dem jetzigen Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien das Paris-Ziel grandios verfehlen wird. Wenn also heute die Bundeskanzlerin noch als »Klimakanzlerin« bezeichnet wird, dann immer mit dem Zusatz »a.D.«.
Dennoch haben sich Angela Merkel und Ursula von der Leyen mehrmals mit Greta Thunberg und ihrem deutschen Pendant Luisa Neubauer zum gemeinsamen Thema Klima getroffen. Ob Angela Merkel sich dabei an ihr damaliges Buch erinnert hat? Wächst zwischen den vier Frauen doch noch etwas zusammen?, hat »Die Zeit« gefragt. Es klang wie eine ganz vage Hoffnung. Wie zu hören war, ist der Respekt der vier Frauen voreinander gewachsen. Und es soll weitere Treffen geben. Immerhin – europäische Macht und europäisches Gewissen reden miteinander. Und die Gesetze der Politik und die der Physik streiten wohl auch miteinander. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Unser Haus brennt tatsächlich. Fritz Habekuss dazu in »Die Zeit«: »Die Menschheit steht am Anfang eines pandemischen Zeitalters, in dem Sars-CoV-2 die Warnung dafür ist, dass die Belastungsgrenzen des Planeten überschritten wurden.«
Wir Menschen können viel. Und vieles ist anzupacken. Am schwersten fällt uns aber das Nichtstun, das jetzt ansteht: Wälder einfach Wälder sein lassen, statt sie weiter abzuholzen; Meere in Ruhe lassen, statt sie zu überfischen; Moore sich regenerieren lassen, damit sie wieder CO2-Senken werden können. Für Fritz Habekuss sind die Antworten auf diese Fragen entscheidend: »Können sich Tierpopulationen erholen? Wachsen mehr Wälder? Hört das Artensterben auf? Darf Wildnis wild bleiben?« Die Pandemie hat uns vor allem eines gelehrt: Die Natur braucht uns nicht, wir aber sie.
Auch in der Klimapolitik stimmt es, dass »unser Haus brennt«. Und zwar schon heute. Doch die deutsche Politik beschließt den Kohleausstieg für 2038, bestellt also die Feuerwehr für das Jahr 2038. Welchen Sinn macht das denn? Wie intelligent soll das sein? Das ist etwa so, als hätte die deutsche Politik den Impfstoff gegen Corona für das Jahr 2038 bestellt. Das Urteil über diese Politik, liebe Leserinnen und Leser, überlasse ich Ihnen.
Was aber ist nun mit den Grenzen des Wachstums? Brauchen wir eine Wende zum Weniger? Viele afrikanische Staaten brauchen noch viel Wachstum, um der Hunger- und Armutsfalle zu entkommen. Die Industriestaaten brauchen für die solare Energiewende viel Wachstum bei erneuerbaren Energien, und die ganze Welt braucht viel geistiges Wachstum. Wenn die Schulden eines Landes viel schneller wachsen als die Wirtschaft, dann ist dies künstliches Wachstum und nicht nachhaltig. Ich plädiere also für einen differenzierten Wachstumsbegriff.
Viel wichtiger als die ewigen Diskussionen um mehr oder weniger oder gar kein Wachstum scheinen mir also die Themen: Wachstum wofür und die Gerechtigkeitsdiskussion zu sein. Es geht dabei nicht nur um einen Mindestwohlstand, sondern auch um einen Maximalbesitz an Natur oder Immobilien. Auf neue Fragen werden wir neue Antworten finden müssen. Weit wichtiger als die Frage nach den Grenzen des Wachstums scheint mir eine Antwort auf die Notwendigkeit eines anderen Wirtschaftens zu sein, die Antwort auf die Frage: Was heißt eigentlich nachhaltig wirtschaften? Dafür brauchen wir neue Perspektiven, neue Energie und neue Kreativität.
Der ökologische Untergang wird nun schon seit über 50 Jahren prognostiziert. Wir brauchen weniger Angst und mehr Vertrauen in die menschliche