Tiere und Pflanzen sterben aus und wissen nichts davon. Wir Menschen haben als einzige Lebewesen ein Bewusstsein für Vergangenheit und Zukunft. Wir kennen im Großen und Ganzen die Katastrophen unserer Vergangenheit. Deshalb sagte die große Mehrheit der Deutschen nach 1945: »Nie wieder Krieg«.
An Weihnachten 2004 erlebte ich als Fernsehreporter die Ausmaße des Tsunami in Südindien. Über 200.000 Menschen starben an den Küsten des Indischen Ozeans, Millionen wurden obdachlos. Nur zwei Jahre später war ich für Fernsehaufnahmen wieder in Südindien. Neues Leben wuchs aus den Ruinen. Die Katastrophen der Menschheitsgeschichte waren in den letzten Jahrtausenden zum Teil furchtbar, aber meist blickten die Betroffenen nach einigen Jahren wieder nach vorn. Immer wieder wuchs Hoffnung auf Zukunft.
Zudem wurden nach 2004 rund um den Indischen Ozean wieder großflächig Mangrovenwälder gepflanzt, weil man gelernt hat, dass sie auch Menschenleben schützen.
Doch die heute absehbaren Katastrophen könnten ganz andere historische Dimensionen haben. Ein Atomkrieg könnte ebenso zum Ende unserer Zivilisation führen wie eine globale Klimakatastrophe. Es ist denkbar, dass es nach diesen Katastrophen nicht nur keine Gegenwart und keine Zukunft mehr gäbe, sondern auch keine Vergangenheit mehr, weil es niemand mehr gäbe, der noch wissen könnte, dass es jemals eine menschliche Vergangenheit gab oder eine Zukunft geben wird.
Peter Ustinov hat einmal gesagt: »Wenn sich die Welt selbst in die Luft jagen sollte, dann wird das letzte Geräusch die Stimme eines Experten sein, der ruft, dass dies eigentlich nicht hätte passieren können.«
Das Wohlbefinden ist für viele Menschen mit einem suffizienten Lebensstil verbunden. »Suffizienz« kommt vom lateinischen Verb sufficere und heißt »genügsam leben«. Ludwig Erhard sprach von »maßhalten« und wurde vor 60 Jahren dafür verlacht und verspottet. Heute fordern das Millionen und leben auch danach. Es ist wissenschaftlich längst erwiesen, dass immer mehr materieller Wohlstand nicht zu mehr Lebenszufriedenheit oder gar zu immer mehr Glück führt.
Viel Panisches wuchert, aber es wächst das Rettende auch. Es gibt immer Alternativen. Alle Probleme, die von Menschen geschaffen wurden, können auch von Menschen gelöst werden. Der menschengemachte Klimawandel kann auch von Menschen gestoppt werden. Die von Menschen erfundenen Atombomben können auch von Menschen abgeschafft werden. Die alles entscheidende Frage heißt freilich, ob wir rechtzeitig umdenken und rechtzeitig um-handeln. Sowohl bei der Klimaerhitzung, beim großen Massensterben wie auch bei einem möglichen Atomkrieg könnte das Umdenken und Umhandeln zu spät sein. Wir müssen freilich immer mit bedenken, was die Waffe der Vertreter der alten Ordnungen ist. Es ist ihre Behauptung, dass es zum real existierenden System keine Alternativen gebe. Maggie Thatcher sagte es so: »There is no alternative.«
Wir wissen schon lange, dass Abrüstung ein Impfstoff für den Frieden sein könnte und erneuerbare Energien ein Impfstoff gegen die Klimaerhitzung. Wir wissen auch schon lange, was wir tun, aber wir tun nicht, was wir wissen. Lässt sich dieses Dilemma überwinden? Und wie?
Brauchen wir erst noch größere Katastrophen um aufzuwachen, vielleicht noch mehr Pandemien, um lernfähig zu werden? Sind wir wirklich nur begrenzt lernfähig? Mit der Klimaerhitzung und dem atomaren Wettrüsten führen wir den verrücktesten Kampf der Geschichte: wir gegen uns.
Die Corona-Pandemie, die Klimaerhitzung und das Artensterben hängen eng zusammen. Das Virus hat uns gelehrt, dass wir eine biologische Art unter biologischen Arten sind und dass auch wir mit allen anderen Arten verbunden sind. Es zeugt von der Verwandtschaft alles Lebendigen, dass Corona Menschen, Nerze und Fledermäuse befällt.
Ökologisch stehen wir bereits am Abgrund: Die Erde hat Fieber. Das Eis schmilzt. Das Massensterben scheint unaufhaltsam. Die Wälder brennen. Der Meeresspiegel steigt. Die Ozeane sterben. Regenfälle werden stärker und Hitzewellen extremer. Wir rasen »mit Vollgas in die Klimakatastrophe«, schreibt der renommierte Meeresbiologe und Klimaforscher Mojib Latif. Jedes Jahr sterben über sieben Millionen Menschen an der Luftverschmutzung, darunter über eine halbe Million Babys schon im Mutterleib, berichtet der »State of Global Air 2020 Report«. Den dritten Weltkrieg führen wir gegen die Natur und damit gegen uns selbst, denn wir sind ein Teil der Natur. Sind wir überhaupt noch zu retten?
Ist die derzeitige Klimaerhitzung tatsächlich eine Situation, die wir noch nie hatten? »Klimaveränderung gab es doch schon immer«, ist das populärste Argument der Klimawandel-Skeptiker. Das ist auch grundsätzlich richtig. Während der Eiszeit stieg die Temperatur um ein Grad in 1000 Jahren – und wir haben die Eiszeit überlebt. Doch dieselbe Veränderung haben wir in den letzten 100 Jahren erlebt und in den nächsten Jahrzehnten werden noch drei bis vier Grad oder mehr dazukommen, wenn wir alles verbrennen, was heute noch an fossilen Rohstoffen im Boden ist. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu früheren Temperaturveränderungen. Noch nie in der Geschichte wurde das Klima so rasch und so gründlich verändert wie zu unserer Zeit. Deshalb scheint mir Klimaerhitzung das treffendere Wort zu sein als das harmlos klingende »Klimawandel«.
Die meist älteren Klimawandel-Skeptiker verdrängen die Zeitbombe »Klimaerhitzung« und drücken die Augen zu vor diesem Zeitzünder, der in unserer Gegenwart abbrennt. Im Lärm der Zeit überhören sie das leise Ticken der Bombe. Sie wollen die Dinge, wie sie wirklich sind, einfach nicht zur Kenntnis nehmen, auch mithilfe von Verschwörungstheorien.
Viele junge Menschen, die »Fridays for Future«-Bewegung vor allem, sehen sich wegen der Klimaerhitzung schon heute als Generation ohne Zukunft. Sie haben ja so recht, wenn sie rufen: »Wir sind hier, und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.« Uns Älteren stellt sich diese Frage: Sind wir die Generation, welche die Erderhitzung zu verantworten hat, oder die Generation, welche die Erderhitzung noch stoppen konnte?
Wenn wir den Klimawandel nicht stoppen, dann wird die Arktis in 15 Jahren eisfrei sein. Klimaerhitzung heißt: Erst verlieren die Eisbären den Boden unter den Füßen, dann wir Menschen. Der dritte Weltkrieg, den wir heute gegen die Natur führen, ist ein Krieg der Menschen gegen alle anderen Arten – und gegen uns selbst.
Der frühere US-Vizepräsident Al Gore schrieb schon 2008 in seinem Bestseller »Eine unbequeme Wahrheit«: »Die Wissenschaft ist sich einig: Wir sind der Grund für die globale Erwärmung.« Aber 2021 sitzt im Deutschen Bundestag eine Partei, die noch immer bestreitet, dass der Klimawandel etwas mit dem menschlichen Verhalten zu tun hat. Die AfD ist wissenschaftsblind und zukunftsvergessen. Erwartet uns ein Ende mit Schrecken oder eher ein Schrecken ohne Ende? Die Antwort auf diese Fragen kann möglicherweise entscheidend sein für das Fortbestehen der Menschheit und ihrer Zivilisation. Die Frage aller Fragen heißt jetzt: Wie wird die Welt klimaneutral, und wie bleibt sie lebenswert?
3. Die Grenzen des Wachstums
1972 veröffentlichte der renommierte Wissenschaftsklub »Club of Rome« seine berühmten »Grenzen des Wachstums«. 30 Millionen Mal wurde dieses wichtige Buch gekauft. Darin heißt es: »Wenn man sich entscheidet, nichts zu tun, entscheidet man sich in Wirklichkeit, die Gefahren des Zusammenbruchs zu vergrößern.« Die Kernthese des »Club of Rome«: Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Sonst wachsen wir uns zu Tode. In unserer materiellen Welt wächst nur der Krebs ewig. Oder aktuell: Eine Gesellschaft, welche die Grenzen des Wachstums nicht beachtet, bekommt Corona.
Damit aber Technik und Ethik zusammenfinden, bedarf der »Club of Rome« vielleicht der Ergänzung durch einen »Club of Pope« und seine zeitkritischen Enzykliken. Der energetische Imperativ bedarf des energethischen Imperativs, um erfolgreich zu werden.
Wachstumswirtschaft ist also eine Krebswirtschaft. 45 Jahre später publiziert der damalige Präsident des »Club of Rome«, Ernst Ulrich von Weizsäcker, das Buch »Wir sind dran« und schreibt: »Heute, eigentlich erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts, leben wir in einer vollen Welt. Die Grenzen sind greifbar, fühlbar in allem, was wir tun. Und doch, … verfolgt die Welt immer noch eine Wachstumspolitik, als ob wir in der leeren Welt lebten.« 2019 erklärt die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, bekannt geworden durch ihren »Schulstreik für das Klima«, vor den verblüfften Repräsentanten beim UNO-Gipfel in New York: