6 jedenfalls dann problematisch ist, wenn dadurch das durch
Art. 9 intendierte Schutzniveau gesenkt würde.[55]
Art. 9 sperrt insofern die Anwendung von
Art. 6 Abs. 1 lit. f und damit einen Rückgriff auf die allgemeine Interessenabwägungsklausel im Rahmen der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten.[56] Zum Verhältnis von
Art. 6 und
9 im Rahmen der Videoüberwachung vgl.
Rn. 81. Ebenso kann eine Weiterverarbeitung sensibler Daten nicht ohne Weiteres nach
Art. 6 Abs. 4 zulässig sein.[57] Indem
Art. 9 somit eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt, lässt sich die Systematik daher so deuten, dass
Art. 6 Mindestvoraussetzungen normiert und
Art. 9 dabei eine konkretisierende Vorschrift für die Verarbeitung sensibler Daten darstellt.[58] Um aber das hohe Schutzniveau des
Art. 9 nicht zu unterlaufen, darf
Art. 6 Abs. 4 keinesfalls dazu missbraucht werden, Datenverarbeitungen zu rechtfertigen, die zu einer Aushöhlung von
Art. 9 führen.[59] Dabei lässt sich aus der Nennung von
Art. 9 im Rahmen von
Art. 6 Abs. 4 keine Aussage dahingehend entnehmen, dass eine Zweckänderung im Rahmen sensibler Daten nach
Art. 6 Abs. 4 zulässig sein soll, weil die Erwähnung von
Art. 9 im Rahmen der Abwägung auch ein Ausschlusskriterium im Rahmen der Vereinbarkeitsprüfung darstellen kann.[60] Der fehlende Verweis in
Art. 9 auf Art. 6 stützt diese Annahme.[61] Für ein restriktives Verständnis spricht zudem ErwG 51 S. 4, der postuliert, dass eine Verarbeitung sensibler Daten nur unter den besonderen Voraussetzungen des
Art. 9 zulässig sein soll.[62] Folglich sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten sowohl die Voraussetzungen von
Art. 6 als auch von
Art. 9 zu beachten. Hinsichtlich der Zulässigkeit einer zweckändernden Weiterverarbeitung verdrängt
Art. 9 als speziellere Norm
Art. 6 Abs. 4 jedenfalls dann, wenn dadurch das Schutzniveau von
Art. 9 gefährdet würde.[63] In diesem Fall kann eine Verarbeitung sensibler Daten nicht ausschließlich über
Art. 6 Abs. 4 gerechtfertigt werden.[64] Hinzutreten muss stets ein Erlaubnistatbestand aus
Art. 9. Dies hat insbesondere Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Auswertung besonderer Kategorien personenbezogener Daten bei Big Data-Anwendungen, da
Art. 6 Abs. 4 die Verarbeitung sensibler Daten nicht eigenständig rechtfertigen kann. Die Zulässigkeit der Verarbeitung richtet sich im Ausgangspunkt nach
Art. 9.[65] Eine Anwendung von
Art. 6 Abs. 4 kommt damit nur dann in Betracht, wenn für die ursprüngliche Datenverarbeitung ein Erlaubnistatbestand nach
Art. 9 vorliegt. Der Weg über
Art. 6 Abs. 4 ist allerdings dann versperrt, wenn sich die Datenverarbeitung auf eine Einwilligung der betroffenen Person nach
Art. 9 Abs. 2 lit. a stützt. Dies geht aus dem Wortlaut von
Art. 6 Abs. 4 hervor.
Art. 6 Abs. 4 kann daher nur im Rahmen von
Art. 9 Abs. 2 lit. b–j herangezogen werden.[66]
B. Kommentierung zu Art. 9
I. Allgemeines und Regelungszweck
23
Art. 9 schafft für sensible Datenkategorien einen erhöhten Schutz, indem er besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen und damit erhöhte Rechtmäßigkeitsanforderungen normiert. [67]
24
Der hauptsächliche Schutzzweck von Art. 9 besteht somit ausweislich des ErwG 51 S. 1 in dem Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten, insbesondere dem Grundrecht auf Datenschutz aus Art. 7 und 8 GRCh sowie dem Schutz vor Diskriminierungen nach Art. 21 GRCh (vgl. Art. 14 EMRK, Art. 3 Abs. 3 GG).[68] Vom Schutz nach Art. 9 werden aber nicht alle rechtlich geschützten Diskriminierungsmerkmale erfasst, insbesondere nicht die in §§ 1, 8 und 10 AGG genannten Daten über das Alter und das Geschlecht.[69]
25
Das besondere Schutzregime dient auch dem Schutz spezifischer Grundrechte, so etwa der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 10 GRCh) sowie der freien politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung (Art. 11 und 12 GRCh, Art. 5 und 9 GG).[70]
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Art. 9 unterscheidet zwei Kategorien sensibler Daten. Zum einen schützt Art. 9 die Verarbeitung von Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen. Ausreichend ist also, dass sich das sensible Datum mittelbar aus anderen Inhaltsdaten ergibt. Zum anderen schützt Art. 9 genetische und biometrische Daten sowie Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung als solche.[71] Insofern schützt Art. 9 nicht nur Daten, die ausdrücklich im Katalog des Art. 9 Abs. 1 genannt sind, sondern es werden auch mittelbare Hinweise auf diese Merkmale dem besonderen Schutz unterworfen.[72] Es kommt dabei auf den vermittelten Informationsgehalt an, nicht auf die Art und Weise der Darstellung und Bezeichnung. Abzustellen ist dabei auf den Verständnis- und Interpretationshorizont des durchschnittlichen Empfängers im jeweiligen Verarbeitungskontext.[73] Problematisch im Hinblick auf mittelbare Hinweise zu Merkmalen i.S.d. Art. 9 ist dabei insbesondere das Verhältnis