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Ebenfalls kein ungerechtfertigter und damit strafbarer Vorteil sind gem. § 108e Abs. 4 S. 2 Nr. 1 „politische[. . .] Mandat[e]“ und „politische Funktion[en]“. Das können Partei-, Fraktions- oder Staatsämter sein, aber auch Wahlvorschläge und Listenplätze sowie Positionen auf der Ebene der EU oder in internationalen Organisationen.[83] Solche Positionen sind nicht selten Gegenstand politischer Absprachen, Tauschgeschäfte und „Paketlösungen“, ohne die sich die für parlamentarische Entscheidungen erforderlichen Mehrheiten häufig nicht organisieren lassen.[84] Deshalb werden sie aus dem Tatbestand des § 108e StGB ausgeklammert. Ein Mandatsträger, der sich parteiinternen politischen Positionierungen unterwirft, um sich die Aufstellung als Kandidat oder die Wahl oder Ernennung in bestimmte politische Funktionen oder Ämter zu sichern, macht sich somit nicht strafbar.[85] Entsprechendes gilt für das Anbieten von Ämtern im Rahmen von Koalitionsverhandlungen.[86] Allerdings muss es sich stets um „politische“ Mandate und Funktionen handeln, also Positionen, bei deren Besetzung politische Erwägungen überhaupt eine Rolle spielen dürfen.[87] Davon ist bei Wahlämtern oder hochpolitischen Positionen (z.B. Ministerposten[88]) regelmäßig auszugehen, nicht jedoch bei Positionen in öffentlichen Wirtschaftsunternehmen[89].
5. Sonstige „gerechtfertigter“ Vorteile
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Wie das „insbesondere“ in § 108e Abs. 4 S. 1 StGB zeigt, sind neben den drei behandelten noch weitere Kategorien „gerechtfertigter“ Vorteile denkbar.[90] Die Gesetzesmaterialein verweisen in diesem Zusammenhang ohne näherer Präzisierung auf sog. parlamentarischen Gepflogenheiten.[91] Im Hinblick auf materielle Vorteile dürfte, jedenfalls was den Bundestag angeht, angesichts der umfangreichen parlamentsrechtlichen Regelungen über den Umgang mit solchen Vorteilen (Rn. 14 ff.) für die Anwendung ungeschriebener parlamentarischer Gepflogenheiten kaum noch Raum sein. Anders ist die Situation in Bezug auf immaterielle Vorteile. Zu denken ist hier insbesondere an politische Tauschgeschäfte, bei denen die Abgeordneten der einen Seite eine ihren Überzeugungen an sich widersprechende Sachentscheidung mittragen, um dafür die Unterstützung der Gegenseite für eine ihnen wichtige Sachentscheidung in einer anderen Angelegenheit zu erlangen. Obwohl hier beide Seiten in der Regel einen immateriellen Vorteil in Gestalt der Steigerung ihres politischen Ansehens erlangen (wollen), können derartige für die Organisation parlamentarischer Mehrheiten unabdingbare und (deshalb) schon immer praktizierte politische Kompromisse nicht als strafbar angesehen werden – nicht anders als der entsprechende, ausdrücklich durch § 108e Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB legitimierte „Handel“ mit politischen Funktionen und Mandaten (Rn. 35).
III. Als Gegenleistung für eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung
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Der ungerechtfertigte Vorteil muss, wie es in § 108e Abs. 1 und 2 StGB heißt, „als Gegenleistung dafür“ gefordert, angeboten, gewährt etc. werden, dass der Mandatsträger „eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse“. Zu der Vornahme der Handlung oder auch nur zu einer entsprechenden Vereinbarung muss es nicht kommen.[92] Der objektive Tatbestand ist insoweit bereits verwirklicht, wenn der Täter (ausdrücklich oder konkludent) den Abschluss einer entsprechenden „konkreten“ oder „qualifizierten Unrechtsvereinbarung“[93] beim Fordern, Anbieten, Gewähren usw. des Vorteils anbietet.[94]
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Daran fehlt es („vornehme oder unterlasse“), wenn der Vorteil nicht mit einem künftigen Verhalten des Mandatsträgers verknüpft wird, sondern lediglich den Charakter einer im Nachhinein gewährten Belohnung hätte.[95] Darüber hinaus muss sich die Vorteilsgewährung, -annahme etc. auf ein konkretes Verhalten des Mandatsträgers beziehen und nicht nur allgemein auf die Mandatsausübung.[96] Die bloße Geneigtheit des Mandatsträgers, sein Wohlwollen genügt als Bezugspunkt des Vorteils nicht, mit der Folge, dass das, was gemeinhin als „Anfüttern“, „politische Landschaftspflege“, „Klimapflege“ oder „Stimmungspflege“ bezeichnet wird, bei Mandatsträgern nicht strafbar ist (wohl aber verboten sein kann, s. Rn. 2, 20).[97] Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den bei Amtsträgern geltenden Regelungen,[98] die nicht nur die Bestechung im engeren Sinne unter Strafe stellen (§§ 332, 334 StGB), sondern als „Vorteilsannahme“ bzw. „Vorteilsgewährung“ (§§ 331, 333 StGB) auch Vorteile „für die Dienstausübung“ und damit auch die sog. Klimapflege erfassen (1. Kap. Rn. 92 ff., 97 ff.). Bei Personen, die sowohl Amtsträger als auch Mandatsträger sind (z.B. Abgeordnete, die Parlamentarischer Staatssekretär oder Minister sind), ist deshalb genau zu prüfen, in welcher Eigenschaft sie einen Vorteil fordern, sich versprechen lassen oder annehmen bzw. in welcher Eigenschaft ihnen ein solcher angeboten, versprochen oder gewährt wird (Rn. 1, 6, 40 f.).
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Schließlich muss die angestrebte Unrechtsvereinbarung zum Ziel haben, dass der Mandatsträger die als Gegenleistung dem Vorteil gegenüberstehende Handlung „im Auftrag oder auf Weisung“ vornimmt oder unterlässt. Hieran soll es fehlen, wenn in der Vornahme oder Unterlassung der Handlung keine Unterwerfung unter fremde Interessen läge, sondern lediglich ein Verhalten, das ohnehin im Einklang mit den politischen Überzeugungen des Mandatsträgers stünde.[99] Zu beachten ist jedoch, dass es dabei nicht auf die (unter Umständen geheim gehaltene) tatsächliche politische Überzeugung des Mandatsträgers ankommt, sondern auf das, was der Täter beim Anbieten, Versprechen, Gewähren, Fordern, Sich-Versprechen-Lassen oder Annehmen des Vorteils objektiv (ausdrücklich oder konkludent) erklärt.[100] Ein Mandatsträger, der für einen Vorteil die Vornahme einer konkreten mandatsbezogenen Handlung in Aussicht stellt, die in Wirklichkeit seinen (geheim gehaltenen) inneren Überzeugungen entspricht, von der er aber (konkludent oder ausdrücklich) das Gegenteil behauptet, erfüllt also den Tatbestand des § 108e Abs. 1 StGB.[101] Umgekehrt erfüllt den Tatbestand des § 108e Abs. 2 StGB, wer von einem Mandatsträger für einen Vorteil die Vornahme einer Handlung verlangt, von der er (irrigerweise) annimmt, dass sie dessen inneren Überzeugungen widerspricht. „Entscheidend sind“, wie es der BGH ausdrückt, „nicht innere Vorbehalte, sondern der vom Vorsatz umfasste äußere Erklärungswert des Verhaltens.“[102]
IV. Bei der „Wahrnehmung des Mandats“
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Während die alte Fassung des § 108e StGB nur den Kauf und Verkauf der Stimme des Mandatsträgers erfasste,[103] genügt es nach der geltenden Fassung, dass das dem Vorteil als Gegenleistung gegenüberstehende Verhalten des Mandatsträgers zur „Wahrnehmung des Mandats“ gehört. Der Umfang des Mandats ergibt sich aus den Regelungen, welche die Kompetenzen des jeweiligen Mandatsträgers festlegen. Im Falle von Bundestagsabgeordneten gehört nicht nur das Verhalten im Parlament und seinen Untergliederungen (z.B. Ausschüsse, Kommissionen, Ältestenrat, Fraktionen und ihre Arbeitskreise) zur Wahrnehmung des Mandats, sondern auch das außerhalb, insbesondere die Wahlkreisbetreuung und die Öffentlichkeitsarbeit (vgl. nur § 12 Abs. 2 Nr. 4, § 47 Abs. 3 AbgG). Die als Gegenleistung für den