II. Leistungsort (§ 269)
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Fall 25:
A kauft bei B zwei Kaninchen und bezahlt diese sofort.
1. Variante: Beide vereinbaren, dass B die Kaninchen dem A bringen soll.
2. Variante: Beide vereinbaren, dass B die Kaninchen dem A schicken soll.
3. Variante: Beide vereinbaren gar nichts.
Frage: Was muss B jeweils tun, um seiner Verpflichtung aus dem Kaufvertrag nachzukommen?
Fall 26 (nach OLG Hamm, NJW-RR 2016, 177): A hat bei der Privatperson B ein Auto in Coesfeld gekauft. Da B allerdings in den Fahrzeugpapieren absichtlich eine zu geringe Laufleistung angegeben hat, erklärt A umgehend den Rücktritt vom Kaufvertrag, als er dies zuhause in Detmold herausfindet. Er fordert B auf, ihm den Kaufpreis in Detmold zurückzuzahlen – Zug um Zug gegen Rückgabe des Autos. Kann B die Rückzahlung des Kaufpreises in Detmold verlangen? Lösung Rn 313
1. Begriff des Leistungsorts
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Mit „Leistungsort“ iSd § 269 ist der Ort der Leistungshandlung gemeint, also der Ort, an dem der Schuldner seine letzte Handlung zur Erfüllung seiner Pflicht vornehmen muss. Dieser Ort wird in den §§ 447 Abs. 1, 448 Abs. 1 und 644 Abs. 2 auch als „Erfüllungsort“ bezeichnet. Nur, wenn der Schuldner seine Leistung am richtigen Ort erbringt, kann er von seiner Leistungspflicht frei werden. Wenn der Schuldner seine Leistung an einem anderen Ort anbietet, kann der Gläubiger sie zurückweisen, ohne in Annahmeverzug (§§ 293 ff) zu geraten. Der Erfüllungsort ist auch für den Schuldnerverzug[18] und für die Konkretisierung von Gattungsschulden gem. § 243 Abs. 2[19] relevant.
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§ 269 Abs. 1 ist auf alle Schuldverhältnisse anzuwenden. Bis heute umstritten ist das für den Erfüllungsort der Nacherfüllungspflicht des Verkäufers aus §§ 437 Nr 1, 439. Für die gelebte Praxis des Rechts hat der BGH diesen Streit aber inzwischen weitgehend geklärt: Auch für die Nacherfüllungspflicht des Verkäufers ist § 269 der maßgebliche Regelungsort.[20]
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Der Leistungsort (bzw. Erfüllungsort) ist von dem Erfolgsort zu unterscheiden. Mit Erfolgsort ist der Ort gemeint, an dem der geschuldete Leistungserfolg eintritt. Der Erfolgsort ist auch für den Gerichtsstand aus § 29 ZPO relevant.
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Erfolgsort ist etwa für die Pflicht des Verkäufers aus § 433 Abs. 1 S. 1 der Ort, an dem die Übergabe und Übereignung der Kaufsache erfolgt. An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass die Terminologie des Gesetzes nicht ganz glücklich ist: Denn der Erfolgsort ist der Ort, an dem die Erfüllung (hier Übergabe und Übereignung) eintritt. Als „Erfüllungsort“ wird aber der Leistungsort bezeichnet, bei dem es gerade auf die Leistungshandlung und nicht den Leistungserfolg ankommt.[21] Die Unterscheidung zwischen Leistungs- und Erfolgsort ist wichtig, da beide nicht immer zusammenfallen. Bei der Holschuld und der Bringschuld stimmen Erfolgsort und Leistungsort jeweils überein. Dagegen fallen die beiden Orte bei der Schickschuld auseinander: Wenn Schuldner S aus Münster den per eBay an Gläubiger G aus Hamburg verkauften Fernseher vereinbarungsgemäß in Münster verpackt und zur Post bringt, ist Leistungsort Münster, weil S dort die letzte von ihm geschuldete Handlung vornimmt. Erfolgsort ist aber Hamburg, weil G dort den Fernseher in Empfang nimmt. Übergabe und Übereignung erfolgen erst dort.
a) Holschuld, Bringschuld und Schickschuld
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Bei einer Holschuld fallen Erfolgsort und Leistungsort zusammen: Beide Orte liegen beim Schuldner, der Gläubiger muss sich die Leistung „beim Schuldner holen“. Der Schuldner muss den Leistungsgegenstand (oder die Leistung) also lediglich bereithalten und ggf. den Gläubiger benachrichtigen. Von einer Holschuld ist auch nach der Zweifelsregel des § 269 Abs. 1 auszugehen, wenn sich weder aus der Parteivereinbarung, noch aus den Umständen etwas anderes ergibt. Die Holschuld ist insofern der gesetzliche Regelfall.
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In Fall 25 Variante 3 ist also mangels vertraglicher Vereinbarung gem. § 269 Abs. 1 von einer Holschuld auszugehen. B muss die Kaninchen also nur bereithalten und den A uU auffordern, sie zum vereinbarten Zeitpunkt abzuholen.
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Bei einer Bringschuld liegen Erfolgsort und Leistungsort beim Gläubiger – der Schuldner muss die Leistung eben „zum Gläubiger bringen“. Eine Bringschuld liegt etwa häufig vor, wenn ein Kaufvertrag über Möbel mit einer Montageverpflichtung des Verkäufers einhergeht: Dann ist oft vereinbart, dass der Verkäufer die Möbel zum Käufer bringt und sie gleich vor Ort montiert. Allerdings genügt nach der Auslegungsregel des § 269 Abs. 3 für die Annahme einer Bringschuld nicht, dass der Gläubiger die Transportkosten übernimmt. In diesen Fällen liegt vielmehr oft eine Schickschuld vor. Das gilt auch für den Versandhandel: Hier liegen regelmäßig keine Bringschulden vor, sondern Schickschulden.[22]
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Ein Beispiel für eine Bringschuld bietet Fall 25 Variante 1. B muss die Kaninchen also aussondern und A vorbeibringen, im Zweifel zu dessen Heimatadresse.
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Bei der Schickschuld fallen Leistungsort und Erfolgsort auseinander. Der Schuldner muss die Leistung lediglich auf den Weg zum Gläubiger bringen, sie also ordnungsgemäß verpacken und an den Gläubiger schicken. Der Leistungsort liegt in diesen Fällen beim Schuldner. Der Erfolgsort liegt dagegen beim Gläubiger, denn erst dort tritt Erfüllung ein. Wichtigstes Beispiel für eine Schickschuld ist der Versendungskauf (vgl § 447). Die Gegenleistungsgefahr (Preisgefahr) trägt beim Versendungskauf gem. § 447 Abs. 1 grundsätzlich der Käufer; anders liegt es in aller Regel beim Verbrauchsgüterkauf, weil dann § 447 Abs. 1 gem. § 475 Abs. 2 nur in einer praktisch seltenen Ausnahmekonstellation anwendbar ist. Auch Geldschulden sind Schickschulden; allerdings sind Verlust- und Verzögerungsrisiko bei Geldschulden besonders verteilt.[23]
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Fall 25 Variante 2 bildet ein Beispiel für eine Schickschuld. B ist hier angehalten, die zwei Kaninchen auszusondern, tiergerecht zu verpacken und an eine geeignete Transportperson zu übergeben.
b) Vorrangigkeit der Parteivereinbarung
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Der Leistungsort wird, wenn keine zwingende Bestimmung des Leistungsorts (wie etwa für den Hinterlegungsort in § 374) vorliegt, vorrangig durch die Parteivereinbarung bestimmt. Das folgt aus dem Wortlaut des § 269 Abs. 1. Wenn Sie eine Klempnerin beauftragen, einen Wasserschaden in Ihrer Küche zu reparieren, haben Sie auch eine Vereinbarung über den Erfüllungsort getroffen: Er liegt in Ihrer Küche