BGH NJW 2006, 147 ff. = MDR 2006, 444 f. = NZV 2006, 78 ff. = VersR 2005, 1720 f.
OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2017, 141338.
Teil 1 Verteidigungsstrategien zur Vermeidung von Anklage und Verurteilung › VIII. Verteidigung älterer Verkehrsteilnehmer
VIII. Verteidigung älterer Verkehrsteilnehmer
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Relativ häufig werden ältere (vgl. auch Rn. 125 u. 477 ff) Kraftfahrer/innen (60 Jahre und älter)[1] beschuldigt, sich unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben. Unter ihnen ist die Zahl derer groß, die zuvor nie negativ im Straßenverkehr aufgefallen sind und somit keine Eintragungen im Bundeszentralregister und im Fahreignungsregister aufweisen. Ältere Kraftfahrer/innen fallen deswegen im Rahmen des § 142 StGB auf, weil mit zunehmendem Alter sowohl die akustische als auch die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit langsam nachlässt und die Tatsache des Unfalles oft deshalb nicht bemerkt wird bzw. darauf hindeutende Anzeichen falsch gedeutet werden.[2] Die Einschaltung eines Sachverständigen (Rn. 124 ff.) ist dann auch oft naheliegend, ggf. sogar geboten.
Die Verteidigung hat eine taktische Grundsatzentscheidung zu treffen. Soll dem/der Mandanten/in durch taktisches Verhalten die Fahrerlaubnis belassen bleiben oder soll Hilfestellung gegeben werden bei der Beendigung des Strafverfahrens und der Verhinderung eines möglichen führerscheinverwaltungsrechtlichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfahrens z.B. mit Verzicht auf die Fahrerlaubnis.
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Bei der Verteidigung von älteren Kraftfahrern/innen, die beschuldigt werden, sich nach § 142 StGB strafbar gemacht zu haben, muss Ziel sein, eine Einstellung des Strafverfahrens (vgl. Rn. 88 ff.) zu erreichen. Kommt es nämlich zur Verurteilung bzw. zu einem rechtskräftigen Strafbefehl und damit auch zur Eintragung ins Fahreignungsregister, ist die Fahrerlaubnis, auch wenn das Gericht dem/der älteren Kraftfahrer/in die Fahrerlaubnis belassen hat, wegen eines möglichen führerscheinverwaltungsrechtlichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfahrens konkret in Gefahr. Es muss dann damit gerechnet werden, dass die zuständige Fahrerlaubnisbehörde (Führerscheinstelle) auf Grund der Eintragung der Bestrafung ins Fahreignungsregister hiervon Kenntnis erlangt und dieses zum Anlass nimmt, ggf. die Fahreignungdes/der älteren Kraftfahrers/in z.B. durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung (BfF)[3], überprüfen lassen zu wollen.
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Der/die ältere Kraftfahrer/in erhält dann nach der Beendigung des Strafverfahrens oftmals eine Ordnungsverfügung mit dem Inhalt, dass man binnen einer bestimmten Zeit,
• | eine hausärztliche Bescheinigung, |
• | ein fachärztliches Gutachten, |
• | eventuell sogar eine positive medizinische und/oder psychologische Begutachtung |
vorzulegen habe, anderenfalls die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde drohe. Sollte sich eine Verurteilung nicht verhindern lassen, sollte der/die ältere Mandant/in frühzeitig in der Beratung auf diese Gefahr hingewiesen werden und parallel zur Strafverteidigung sollten Strategien empfohlen werden, bei dem älteren Mandanten z.B.
• | durch eine freiwillige fachärztliche Untersuchung, |
• | durch freiwillige Fahrstunden, |
• | die (anonyme) Fahrprüfung für ältere Kraftfahrer (z.B. beim ADAC) usw., |
die Fahreignung (wieder) herzustellen. Auch gilt es unbedingt zu bedenken, dass niemals ausgeschlossen werden kann, dass die Staatsanwaltschaft oder der Strafrichter trotz der Einstellung des Strafverfahrens dem zuständigen Straßenverkehrsamt einen Hinweis auf den Tatvorwurf gegen den älteren Kraftfahrer gibt oder eine Kopie der Ermittlungsakten zum zuständigen Straßenverkehrsamt sendet mit der Folge, dass der Mandant trotz des Erfolgs im Strafverfahren dann die Aufforderung der Fahrerlaubnisbehörde erhält, eine positive medizinische und/oder psychologische Begutachtung vorzulegen
In diesem Zusammenhang wird nochmals, vgl. Rn. 117, auf
• | § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG |
• | Nr. 45 Abs. 2 MiStra |
• | §§ 483 ff. StPO |
verwiesen, wonach die Fahrerlaubnisbehörde, unabhängig von der Beendigung des Strafverfahrens, Kenntnis von Bedenken an der Fahreignung des/der älteren Kraftfahrers/in erhalten kann.
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In der Praxis hat sich eine Übung eingestellt, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte bei älteren Kraftfahrern/innen, die eigentlich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu bestrafen wären, bei einem freiwilligen Verzicht auf die Fahrerlaubnis durch den/die Mandanten/in, selbst bei krassem Fehlverhalten, gemäß §§ 153, 153a StPO (vgl. Rn. 88 ff.) das Strafverfahren einstellen. Begründet wird dieses u.a. mit der bisherigen Unbescholtenheit, dem hohe Lebensalter, der zwischenzeitlich gewonnenen Einsicht, besser nicht mehr am Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeuges teilzunehmen und der Tatsache, dass der/die ältere Kraftfahrer/in – aus Sicht der Staatsanwaltschaft – damit auch keine potentielle Gefahr mehr im Straßenverkehr darstellt.
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Die Neigung der Staatsanwaltschaft und der Gerichte, einen bis dahin unbescholtenen älteren Menschen zu bestrafen, ist gering, wenn die nötige Einsicht besteht. Schwieriger als die Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts zu einer solchen Vorgehensweise zu erreichen, ist oftmals die zu leistende Überzeugungsarbeit der Verteidigung dem/der eigenen Mandanten/in gegenüber, dass man besser das Fahrzeug verkaufen und künftig ein Taxi oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen sollte. Auch bei zunächst erklärter Weigerung, sollte den/der älteren Mandanten/in diese Möglichkeit zumindest angeboten werden, um das meistens aufgrund des Alters sehr belastende Strafverfahren frühzeitig und einvernehmlich zu beenden und einem möglichen führerscheinverwaltungsrechtlichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfahrens (vgl. Rn. 113) zuvorzukommen.
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Die Kontaktaufnahme durch die Verteidigung im Ermittlungsverfahren: Es kann sinnvoll sein, dass der Verteidiger vor dem Absenden der Verteidigungsschrift mit dem zuständigen Staatsanwalt telefonisch Kontakt aufnimmt, den Eingang der Verteidigungsschrift ankündigt und die Verfahrensbeendigung so vorbereitet. Es ist auch denkbar, einige Tage nach Absendung einer solchen Verteidigungsschrift telefonisch mit dem zuständigen Staatsanwalt Kontakt aufzunehmen,