Nach dem BVerfG muss die inländische Fluchtalternative aber dem Schutzsuchenden auch zumutbar sein[31]. Das heißt, in den inländischen Zufluchtsgebieten muss ein Leben unter solchen Umständen zumutbar sein, die ihrerseits nicht asylbegründend wirken würden.
Beispiel
Nehmen wir das Beispiel von gerade eben und unterstellen, dass in den anderen Teilen des Landes Krieg herrscht oder eine Hungersnot das gesamte restliche Land bedroht. Unter diesen Umständen käme eine Flucht in ein anderes Land durchaus in Betracht.
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Eine ausländische Fluchtalternative liegt vor, wenn der Schutzsuchende bereits in einem anderen Staat Sicherheit vor Verfolgung gefunden hat oder hätte finden können.[32]
Eine anderweitige Sicherheit vor Verfolgung liegt vor, wenn der Verfolgte im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt in einem dritten Staat Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder eben hätte finden können (objektives Merkmal der Schutzbedürftigkeit).[33]
2. Nachfluchtgründe
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Wissen Sie noch wann ein asylerhebliches Merkmal vorliegt? Wiederholen Sie eventuell die Ausführungen unter Rn 67.
Neben den Fluchtalternativen stellen auch die sogenannte Nachfluchtgründe ungeschriebene Einschränkungen des Asylrechts dar. Einschränkungen deshalb, da Nachfluchtgründe lediglich Ausnahmen von der grundsätzlichen Einschränkung ermöglichen können. Auf Grund von Nachfluchtgründen kann ein Asylrecht auch dann noch begründet werden, wenn der Schutzsuchende seinen Heimatstaat bereits verlassen hat. Unter Umständen kann sich ein Nachfluchtgrund sogar dann noch ergeben, wenn der Betroffene bereits im Zielstaat angekommen ist. Als Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit von Nachfluchtgründen sieht das BVerfG einen kausalen Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Flucht als erforderlich an.[34] Konsequenz dieses Kausalzusammenhangs ist, dass prinzipiell nur solche Gründe als Nachfluchtgründe angesehen werden können, die auch dem Telos des Art. 16a Abs. 1 GG entsprechen, mithin also asylerhebliche Merkmale darstellen. Hierbei wird zwischen objektiven und subjektiven Nachfluchtgründen unterschieden.
Objektive Nachfluchtgründe sind externe Faktoren die vom Betroffenen erfahren werden, ohne hierauf eine Einflussmöglichkeit zu haben.[35]
Die Objektiven Nachfluchtgründe sind demnach von der Person des Schutzsuchenden unabhängige asylerhebliche Merkmale und genügen allein deshalb bereits als Nachfluchtgrund aus.
Beispiel
Befindet sich eine Person bereits in Deutschland, ohne tatsächlich politisch verfolgt zu werden, so ist sein Asylantrag relativ aussichtslos. Ergibt es sich in dieser Situation nun aber, dass in seinem Herkunftsstaat das Regime wechselt und dieses neue Regime eine religiöse Minderheit verfolgt, der der Betroffene angehört, so stellt dies einen objektiven Nachfluchtgrund dar, der den Asylantrag rechtfertigen könnte.
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Beachten Sie die Parallelität zur Drei-Stufen-Theorie i.R.d. Art. 12 Abs. 1 GG.
Demgegenüber sind subjektive Nachfluchtgründe solche, die der Betroffene selbst herbeigeführt hat.[36]
Diese reichen für die Begründung von Asyl nur ausnahmsweise aus. Dies nämlich nur dann, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen, mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigenen Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung erscheinen.[37]
Hinweis
Hierbei ist zu beachten, dass nach Art. 5 Abs. 2 der Qualifikations-RL eine „Bestätigung“ im Sinne der eben aufgeführten Definition nicht erforderlich ist. Die nationale Auslegung dieses Sachverhaltes ist demnach enger als der europäische.[38]
Beispiel
Von der Rechtsprechung anerkannte subjektive Nachfluchtgründe sind zum Beispiel die exilpolitische Betätigung und ein Religionswechsel.[39] Wandert also ein oppositionell aktiver Bürger aus seinem Heimatland aus und betreibt diese politische Aktivität im Ausland weiter fort, so stellt dies einen subjektiven Nachfluchtgrund dar.
3. Teil Das materielle Asylrecht › B. Asylrecht für politisch Verfolgte › VI. Eingriff und Schranken
VI. Eingriff und Schranken
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Hinsichtlich der Prüfung des Eingriffs in das Asylgrundrecht ergeben sich insoweit keine Besonderheiten im Vergleich zur Prüfung anderer Abwehrrechte. Klassische Eingriffe in das Asylgrundrecht sind die Verweigerung der Einreise, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Rücknahme und Widerruf einer Anerkennung als Asylberechtigter oder Beschränkungen der Freizügigkeit.
Bezüglich der Schranken des Asylgrundrechts haben wir gesehen, dass dieses grundsätzlich schrankenlos gewährt wird. Jedoch sind wie auch sonst üblich vor allem die verfassungsimmanenten Schranken zu beachten. Stellt der zu prüfende Sachverhalt auf eine Länderliste nach Abs. 2 oder 3 ab, so stellt diese Liste ein einfaches Gesetz dar, welches auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen ist.
3. Teil Das materielle Asylrecht › B. Asylrecht für politisch Verfolgte › VII. Übungsfall Nr. 1
VII. Übungsfall Nr. 1
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„Der Widerstandskämpfer“
Der S ist afghanischer Staatsbürger und gehört einer dort lebenden religiösen Minderheit an. Diese Minderheit ist bereits seit längerem einer landesweiten systematischen Diskriminierung durch die Regierung ausgesetzt. Die unterdrückte Minderheit reagiert hierauf teils mit separatistischen Bestrebungen und Anschlägen auf staatliche Institutionen.
Die Regierung reagierte auf die Aktionen der Minderheit immer wieder mit Verschärfungen des Strafrechts. Darüber hinaus erfolgten vor allem im Norden des Landes, wo die meisten Anhänger der Minderheit leben ethnische Säuberungen.
Der S trat in der Folge einer Widerstandsbewegung bei, deren Ziel es war, für die Gleichberechtigung der Minderheit zu kämpfen. Im Auftrag der Bewegung klebte er Plakate und warb für deren Aktionen. Zunächst wegen der Organisation von Streiks, später im Zusammenhang mit Überfällen, die man der Widerstandsbewegung angelastet hat, wurde S mehrfach verhaftet und jeweils für mehrere Wochen festgehalten. Während der Inhaftierung kam es auch immer wieder zu körperlichen Misshandlungen.
Nachdem er seine letzte Gefängnisstrafe