Eine Flucht i.S.d. der GFK und damit auch des Art. 16a Abs. 1 GG liegt vor, wenn der Betroffene auf Grund der politischen Verfolgung sein Herkunftsland verlässt, um im Zielstaat Schutz zu suchen. Es bedarf also eines Kausalzusammenhangs zwischen Ausreise und Schutzsuche. Herkunftsland ist dabei dasjenige Land, welches für den Schutzsuchenden eigentlich staatsrechtlich verantwortlich wäre.
g) Verfolgungsprognose
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In der Regel stellt ein Betroffener gerade auf Grund einer politischen Verfolgung in seinem Herkunftsland einen Asylantrag. Allerdings ist zu beachten, dass eine solche tatsächliche Verfolgung nicht zwingend nötig ist. Dies würde dem Schutzzweck des Asylrechts widersprechen. Denn einem Betroffenem kann es nicht zugemutet werden, eine Verfolgung erst zu erdulden, um im Anschluss Asyl zu erhalten. Aus diesem Grund genügt bereits eine gegenwärtig drohende Verfolgung.[17] Damit einher geht aber das Erfordernis einer Prognoseentscheidung durch die zuständigen Stellen und daran anschließend eine eventuelle gerichtliche Überprüfung. Demnach ist im Einzelfall zu untersuchen, ob im hypothetischen Falle der Rückkehr der Betroffene Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG zu erwarten hat. Es kommt also darauf an, ob bei Würdigung aller Umstände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Herkunftsstaat droht und deshalb die Rückkehr nicht zumutbar ist.
3. Teil Das materielle Asylrecht › B. Asylrecht für politisch Verfolgte › IV. Gesetzliche Einschränkungen
IV. Gesetzliche Einschränkungen
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Nutzen Sie diese Gelegenheit und wiederholen die Grundsätze zur Beschränkbarkeit von Grundrechten.
In der Anwendung des Art. 16a Abs. 1 GG ist zu beachten, dass dieser geschriebenen (Abs. 2 und 3) sowie ungeschriebenen verfassungsimmanenten Einschränkungen unterliegt. Zu beachten ist nicht nur die genaue Terminologie, sondern auch die inhaltliche Unterscheidung. Es handelt sich gerade nicht um verfassungsimmanente Schranken, also Regeln zur Einschränkbarkeit des Grundrechtsschutzes auf Grund eines zunächst eröffneten Schutzbereichs. Vielmehr handelt es sich hierbei um Einschränkungen bereits auf Schutzbereichsebene bzw. einer Modifizierung des verwaltungsrechtlichen Verfahrens.[18]
1. Die Drittstaatenregelung
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Nach Art. 16a Abs. 2 GG sind bereits einige Schutzsuchende vom Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 1 GG ausgenommen, wenn sie aus einem bestimmten (normierten) Drittstaat eingereist sind. Hierbei wird unterschieden zwischen einer Einreise aus anderen EU-Ländern (Abs. 2 S. 1 Alt. 1) und anderen Ländern (Abs. 2 S. 1 Alt. 2). Da es sich bei der Herkunft aus einem solchen Land um ein in der Person des Schutzsuchenden liegenden Merkmals handelt, ist bei Vorliegen dieser Einschränkung bereits der persönliche Schutzbereich nicht eröffnet.[19]
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Dieser Regelung liegt die Idee zu Grunde, dass der Betroffene in dem (sicheren Dritt-) Staat Schutz suchen soll, den er bereits vor der Bundesrepublik betreten hat. Insofern gibt es dann keinen Grund für eine (weitere) Flucht nach Deutschland. Allerdings muss gewährleistet sein, dass der entsprechende Staat ein gewisses Minimum an Sicherheit bieten kann. Dieses Minimum ist in diesem Fall eine Gewährleistung der Rechte, die sich aus der GFK und der EMRK ergeben. Ist dies im entsprechenden Staat nicht der Fall, kann eine weitere Flucht nach Deutschland legitim sein. Von diesem Grundsatz kann sich nach Art. 16a Abs. 5 GG auch eine Ausnahme ergeben. Nämlich dann, wenn sich die Zuständigkeit Deutschlands auf Grund von Völkerrecht ergibt. Hierzu zählen auch die sog. Dublin-VOen, auf die wir später noch vertiefend eingehen werden.
Ein sicherer Drittstaat liegt demnach vor, wenn die Rechte der GFK und EMRK anerkannt und auch in der Verwaltungspraxis angewendet werden (bei EU-Staaten unterstellt) bzw. wenn der Staat in der Länderliste nach Art. 16a Abs. 2 S. 2 GG aufgeführt ist.
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Mit Berufung auf Art. 16a Abs. 2 GG kann einem Ausländer bereits die Einreise an der Landesgrenze verweigert werden. In diesem Fall hat er keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Der Grundrechtsschutz des Art. 16a Abs. 1 GG ist in diesem Fall auf ein absolutes Minimum verkürzt. So sieht es jedenfalls die Rechtsprechung, die ein entsprechendes Verhalten der zuständigen Behörde grundsätzlich toleriert, sofern die Einreise tatsächlich aus einem Drittstaat i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG erfolgte.[20]
Hinweis
Aus der Drittstaatenregelung folgt, dass das Asylgrundrecht lediglich noch für die Fälle Relevanz hat, in denen der Ausländer über den Luft- oder Seeweg direkt nach Deutschland gelangt, ohne zuvor das Territorium eines anderen Landes der EU zu betreten.
a) Drittstaat
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Bleibt allerdings die Frage offen, was denn nun ein Drittstaat i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG genau ist. Ein sicherer Drittstaat ist zunächst jeder Mitgliedstaat der EU. Eine tiefere Überprüfung (auch anderer Normen, wie solche der GFK oder EMRK) ist hierbei nicht nötig, da es sich um eine gesetzliche Vermutung handelt. Ausnahmsweise kann von der Einschränkung abgesehen werden, wenn das Schutzniveau im Einzelfall unter den europäisch bzw. völkerrechtlich gesicherten Standard abrutscht.[21] Dann nämlich könnte eine Verletzung von Menschenrechten, nicht nur nach dem Grundgesetz, sondern auch nach Art. 3 und 13 EMRK gegeben sein, die wiederum ein Asylrecht begründen könnten.
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Andere Drittstaaten i.S.d. Abs. 2 S. 1 Alt. 2 sind solche, in der die GFK und EMRK Anwendung finden. Dies ist der Fall, wenn die Abkommen nicht nur ratifiziert wurden, sondern darüber hinaus auch eine der völkerrechtlichen Verpflichtung entsprechende Verwaltungspraxis vorherrscht. Dies ist wiederum der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, ein Schutzgesuch zu stellen und dieses in einem nachprüfbaren Verfahren bearbeitet und beschieden wird.[22]
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Als eine dritte Variante kann ein sicherer Drittstaat auch nach Art. 16a Abs. 2 S. 2 GG vorliegen. Nach dieser Norm können per Bundesgesetz, mit Zustimmung des Bundesrates, Länder bestimmt werden, die den Anforderungen eines sicheren Drittstaates gerecht werden. Diese Länderliste ist dem AsylG als Anlage I beigefügt.
Zu beachten ist aber die rechtliche Wirkung dieser Normierung. In Abgrenzung zur Drittstaatenklausel nach Abs. 2 S. 1, bei der es sich um eine Beschränkung des persönlichen Schutzbereichs handelt, liegt hier eine grundgesetzliche Schranke vor. Das Bundesgesetz muss sich an den Vorgaben des Grundgesetzes messen lassen. Allerdings ist zu beachten, dass den Gesetzgeber bei der Erstellung und Änderung der Länderliste ein Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum zur Verfügung steht. Das BVerfG hat hierzu entschieden, dass objektiv nachvollziehbare Erwägungen genügen, um einen Staat als sicher zu qualifizieren.[23] Objektive Gründe sind vor allem die Anwendung der GFK und EMRK im Drittstaat sowie eine grundsätzliche Gewährleistung der Rechtmäßigkeit der Verwaltung. So lange keine Hinweise vorliegen, dass dies nicht der Fall wäre, genügt dies als Annahme eines sicheren Drittstaates.
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