Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Georg Dederer
Издательство: Bookwire
Серия: Schwerpunkte Pflichtfach
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783811492813
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nahm es dazu 1974 im sog. Solange I-Beschluss (BVerfGE 37, S. 271 ff) Stellung. Das Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. hatte gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das BVerfG angerufen und die Entscheidung darüber begehrt, ob eine in zwei Verordnungen des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften enthaltene Regelung über Ausfuhrkautionen mit dem GG vereinbar sei. Nach Meinung des Verwaltungsgerichts verstieß sie gegen Grundrechte. Im Ergebnis entschied das BVerfG, dass die Vorlage zwar zulässig sei, aber keine Grundrechtsverletzung vorliege.

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      Dabei war die Zulässigkeitsfrage mit der Vorrangfrage verwoben. Hatte das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Gestalt der EWG-Verordnungen Vorrang auch vor den deutschen Grundrechten, konnten diese Grundrechte an sich nicht den Prüfungsmaßstab für das sekundäre Gemeinschaftsrecht bilden, jenes also auch nicht Vorlagegegenstand sein. Die Unzulässigkeit der Richtervorlage konnte zusätzlich daraus folgen, dass die Grundrechte des GG gemäß Art. 1 Abs. 3 GG nur die deutsche Staatsgewalt, nicht die von der EWG ausgeübte Hoheitsgewalt binden.

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      In der Vorrangfrage ging das BVerfG davon aus, dass die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten gemäß Art. 24 Abs. 1 GG nicht grenzenlos sei. Es bestimmte die Grenzen dann aber nicht aus einer bestimmten Vorschrift des GG, insbesondere nicht aus Art. 79 Abs. 3 GG, sondern siedelte sie in der Grundstruktur der Verfassung an und konkretisierte das für den Anlassfall dahingehend (BVerfGE 37, S. 271 ff, 280):

      „Ein unaufgebbares, zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes gehörendes Essentiale der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist der Grundrechtsteil des Grundgesetzes. Ihn zu relativieren, gestattet Art. 24 GG nicht vorbehaltslos.“

      Obgleich das BVerfG die „bisher grundrechtsfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs“ ausdrücklich anerkannte, monierte es insbesondere das Fehlen eines „kodifizierten Grundrechtskatalogs“ der Europäischen Gemeinschaften. Aus seiner Sicht musste sich deshalb – jedenfalls einstweilen – „in dem unterstellten Fall einer Kollision von Gemeinschaftsrecht mit einem Teil des nationalen Verfassungsrechts, näherhin der grundgesetzlichen Grundrechtsgarantien, … die Grundrechtsgarantie des Grundgesetzes durch(setzen)“ (BVerfGE 37, S. 271 ff, 280 f).

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      Insgesamt fasste das BVerfG seine Ansicht bezüglich der Zulässigkeit von Richtervorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG und des Vorrangs in der folgenden „Solange“-Formel zusammen (BVerfGE 37, S. 271 ff, 285):

      „Das Ergebnis ist: Solange der Integrationsprozeß der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, daß das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist, ist die Vorlage eines Gerichts der Bundesrepublik Deutschland an das Bundesverfassungsgericht im Normenkontrollverfahren zulässig und geboten, wenn das Gericht die für es entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom Europäischen Gerichtshof gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert.“

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      Der Solange I-Beschluss brachte dem BVerfG heftige Kritik im In- und Ausland ein. Dieser trug das BVerfG durch den sog. Solange II-Beschluss vom 22. Oktober 1986 (BVerfGE 73, S. 339 ff) Rechnung. Dabei ging es im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des BVerwG um die Frage, ob die Nichtanrufung des EuGH gemäß Art. 177 EWGV (jetzt Art. 267 AEUV) gegen Grundrechte verstoße.

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      In diesem Beschluss wurde zunächst wiederholt, dass die Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf Grund des Art. 24 Abs. 1 GG nicht ohne verfassungsrechtliche Grenzen sei (BVerfGE 73, S. 339 ff, 375 f):

      „Die Vorschrift ermächtigt nicht dazu, im Wege der Einräumung von Hoheitsrechten für zwischenstaatliche Einrichtungen die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen aufzugeben.“

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      Sodann wurde in Anlehnung an den Solange I-Beschluss ausgeführt, dass jedenfalls die Rechtsprinzipien, die dem Grundrechtsteil des GG zugrundeliegen, unverzichtbare, zum Grundgefüge der geltenden Verfassung gehörende Essentialien darstellten (BVerfGE 73, S. 339 ff, 376):

      „Art. 24 Abs. 1 GG gestattet nicht vorbehaltlos, diese Rechtsprinzipien zu relativieren. Sofern und soweit mithin einer zwischenstaatlichen Einrichtung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsgewalt eingeräumt wird, die im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland den Wesensgehalt der vom Grundgesetz anerkannten Grundrechte zu beeinträchtigen in der Lage ist, muß, wenn damit der nach Maßgabe des Grundgesetzes bestehende Rechtsschutz entfallen soll, stattdessen eine Grundrechtsgeltung gewährleistet sein, die nach Inhalt und Wirksamkeit dem Grundrechtsschutz, wie er nach dem Grundgesetz unabdingbar ist, im wesentlichen gleichkommt.“

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      Diese Voraussetzungen seien nach der Ansicht des BVerfG mittlerweile gegeben (BVerfGE 73, S. 339 ff, 378):

      „Nach Auffassung des erkennenden Senats ist mittlerweile im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen, das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleichzuachten ist.“

      Damit gab das BVerfG seine im Solange I-Beschluss aufgestellte Forderung nach einer völligen Adäquanz des Grundrechtsschutzes ebenso auf wie die eines von einem Parlament beschlossenen, kodifizierten Grundrechtskatalogs auf Gemeinschaftsebene.

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      Dabei ging das BVerfG im Solange II-Beschluss davon aus, dass sich die Grundrechtsrechtsprechung des EuGH in der Zwischenzeit in einer Weise weiterentwickelt habe, dass ein „Mindeststandard an inhaltlichem Grundrechtsschutz“ generell gewährleistet sei, welcher „den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes prinzipiell genügt“. Um so mehr genügt diesen Anforderungen natürlich heute die GRC, die primäres Unionsrecht darstellt (s. Rn 594), womit im Übrigen auch die Forderung nach einem von einem Parlament beschlossenen, kodifizierten Grundrechtskatalog auf Gemeinschaftsebene erfüllt sein dürfte.

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      Aus dieser Entwicklung zog das BVerfG in Gestalt einer neuen „Solange“-Formel folgende Konsequenz (BVerfGE 73, S. 339 ff, 387):

      „Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG sind somit unzulässig.“

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      Das BVerfG hatte damit seine zunächst beanspruchte Gerichtsbarkeit gegenüber abgeleitetem Gemeinschaftsrecht im Bereich der Grundrechte zurückgenommen und ging bis auf weiteres davon aus, dass der durch den EuGH gewährleistete Grundrechtsschutz