8
Seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, sog. „Montanunion“) 1951 und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG, sog. „EURATOM“) 1957 hat der europäische Einigungsprozess teils tiefgreifende Wandlungen durchlaufen. Das hat sich in vielfachen Novellierungen und Reformen bis hin zu Neufassungen der vertraglichen Grundlagen der europäischen Integration niedergeschlagen. Der ursprüngliche Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG; später umbenannt in Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EG) wurde hinsichtlich seiner Artikelnummerierung sowohl durch den Vertrag von Amsterdam (in Kraft getreten 1999) als auch durch den Vertrag von Lissabon (in Kraft getreten 2009) geändert. Dasselbe gilt für den durch den Vertrag von Maastricht geschaffenen Vertrag über die Europäische Union (in Kraft getreten 1993). Beide Verträge existieren daher in dreifacher, die Artikelnummerierung betreffender Fassung. Bei der Arbeit mit den Verträgen und sonstigen Dokumenten, wie zB dem Amtsblatt der Europäischen Union oder der Rechtsprechungssammlung des Gerichtshofs der Europäischen Union stellt sich jeweils die Frage nach der geltenden Nummerierung der dort zitierten Artikel. Dazu finden sich in den Verträgen zwei Übereinstimmungstabellen (ABl. 2016, C-202, S. 1 ff, 363 ff [konsolidierte Fassung]). Diese für die Arbeit mit dem Europarecht unerlässlichen Tabellen wurden zusammengefasst, ergänzt und auf S. XXIII ff abgedruckt.
§ 1 Begriffsbestimmung
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Begriffsbestimmung › A. Völkerrecht
A. Völkerrecht
9
Fall 1:
Im Jahre 1939 schloss der Sheikh des Staates Abu Dhabi mit der britischen Firma Petroleum Development einen Ölkonzessionsvertrag. Als es im Jahre 1949 zu Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Vertrags kam, rief die Firma einen im Konzessionsvertrag vorgesehenen Schiedsrichter an. Dieser hatte vorab zu klären, ob er seine Entscheidung auf der Basis des Völkerrechts oder einer anderen Rechtsordnung zu treffen habe. Der Vertrag selbst enthielt darüber keine Aussage. Wie musste der Schiedsrichter entscheiden?
Lösung: Rn 18
§ 1 Begriffsbestimmung › A. Völkerrecht › I. Begriff
I. Begriff
10
Das Völkerrecht wird in weitestgehender Übereinstimmung definiert als die Summe der Rechtsnormen, welche die Beziehungen der Völkerrechtssubjekte untereinander regeln und nicht der inneren Rechtsordnung eines dieser Völkerrechtssubjekte angehören.
11
Zu den Völkerrechtssubjekten (s. Rn 1034 ff) zählen in erster Linie die Staaten als die – historisch gesehen – „klassischen“ Völkerrechtssubjekte. Im 20. Jahrhundert ist die Gruppe der internationalen Organisationen hinzugekommen, welche die Staaten mittlerweile an Zahl weit übertreffen. Daneben gibt es eine Gruppe von Völkerrechtssubjekten, die für die Rechtsordnung des Völkerrechts atypisch (sui generis) und nur historisch erklärbar sind. Das sind der Heilige Stuhl, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und der Malteser-Ritter-Orden. Zum Kreis der Völkerrechtssubjekte wird heute immer mehr auch der einzelne Mensch gezählt. Noch weitgehend ungeklärt und umstritten ist demgegenüber die Frage der Völkerrechtssubjektivität juristischer Personen des nationalen Rechts, zB von NGOs oder transnational tätigen Unternehmen.
12
Das Völkerrecht ist im Vergleich zu einer nationalen Rechtsordnung strukturell schwächer ausgebildet. Das hängt damit zusammen, dass es keine Zentralinstanzen gibt, die Recht für alle verbindlich setzen und durchsetzen können. Rechtsnormen des Völkerrechts entstehen prinzipiell nur durch Zusammenwirken der Völkerrechtssubjekte. Daher spricht man von einem Recht mit Koordinationscharakter bzw mit einem „genossenschaftlichen oder horizontalen Charakter“ (Geiger, S. 8). Rechtsnormen des Völkerrechts haben ihre Grundlage daher üblicherweise in bilateralen oder multilateralen Verträgen oder im Gewohnheitsrecht, das auf übereinstimmender, von Rechtsüberzeugung getragener Übung basiert. Das bedingt, dass nur die Vertragsparteien oder die an der Entstehung von Gewohnheitsrecht beteiligten Völkerrechtssubjekte an die so geschaffenen Rechtsnormen gebunden sind. Diese gelten (im Gegensatz zum innerstaatlichen Gesetz, das – von Sonderfällen abgesehen – allgemeine Geltung beansprucht) daher nur relativ. Deshalb spricht