Allgemeingültigkeit – Einzigartigkeit | | 2.3.6 |
nomothetisch: gesetzgebend, gesetzesfindend ideografisch: das Einzelne beschreibend
Merksatz
Eine Beschreibung der psychischen Beschaffenheit des Menschen erfordert sowohl generalisierende als auch spezifizierende Vorgehensweisen.
Sind alle Menschen gleichartig strukturiert, sodass sich für alle allgemeinpsychologische Gesetze formulieren lassen, oder sind Menschen hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, ihrer Einstellungen und ihrer Denkweise so unterschiedlich, dass für jede Person ein eigenes theoretisches Modell erstellt werden muss? Die erste Annahme entspricht eher der nomothetischen, die zweite der ideografischen Betrachtungsweise in der psychologischen Forschung, wobei die erste eher für die naturwissenschaftliche und die zweite eher für die geisteswissenschaftliche Richtung steht. Bortz und Döring (1995, 274) meinen allerdings: „Diese Begriffsbestimmung gilt heute als wenig hilfreich, da rein ideografisches Arbeiten nicht als wissenschaftlich bezeichnet werden kann“ (wegen des geringen Grads an Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse). Umgekehrt kann man in der Psychologie auch nicht auf den ideografischen Aspekt verzichten, weil man sonst etwa in der Beratung oder in der Therapie den konkreten Menschen zu verlieren droht. Zum Beispiel sind Diagnosen, Gutachten und Behandlungsprogramme ideografische „Produkte“, die allerdings unter Zuhilfenahme nomothetischer Kenntnisse entworfen werden.
Wertfreiheit – Wertbekenntnis | | 2.3.7 |
Die Diskussion der Wertfreiheit in der Wissenschaft hat mit dem sogenannten „Werturteilsstreit“ in der Soziologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingesetzt und erfuhr eine Weiterführung in den späten Sechzigerjahren mit dem „Positivismusstreit“ zwischen Anhängern der kritisch-rationalen und der kritisch-dialektischen Wissenschaftstheorie.
Die positivistische Haltung postuliert, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur Sachfragen aufgreifen und diese „ideologiefrei“ beantworten sollen. Werturteile würden sich einer empirischen Begründung entziehen, die wissenschaftliche Objektivität verletzen und der Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Aussagen schaden.
Merksatz
Die Meinung, Wissenschaft könne wertfrei betrieben werden („Wertneutralität“), wird heute kaum mehr ernsthaft verfochten, weshalb Forscherinnen und Forscher ihre Forschungsinteressen und Werthaltungen möglichst klar offenlegen und nach größtmöglicher Objektivität ihrer Erkenntnisse streben sollten.
Demgegenüber betonte man in der Kritischen Psychologie dialektisch-marxistischer Herkunft die Selbstbestimmung des Menschen und seine Fähigkeit, den bestehenden ungerechten „Herrschafts- und Produktionsverhältnissen“ „emanzipatorisch“ entgegenzuwirken. Obwohl die Kritische Psychologie das zweckrationale Vorgehen, die gesellschaftliche Instrumentalisierbarkeit und das experimentellstatistische Vorgehen der sogenannten „Bürgerlichen Psychologie“ heftig kritisierte, gelang es ihr nicht, den positivistisch ausgerichteten „Mainstream“ der Psychologie zu verdrängen. Dennoch darf sie als erfolgreich gelten hinsichtlich einer Sensibilisierung der Psychologie für weltanschauliche und gesellschaftliche Einflüsse auf das Wissenschaftstreiben, wie sie etwa von Kuhn (1976) in seiner Analyse der Entstehung und Entwicklung von Wissenschaften näher beschrieben wurden. Als ebenfalls stark wertorientiert dürfen die Humanistische Psychologie (Maslow, 1943) und die Positive Psychologie (Seligmann & Csikszentmihalyi, 2000) gelten.
2.3.8 | | Objektivität – Subjektivität |
Merksatz
Der Gefahr, psychologische Phänomene „reduktionistisch“ zu beschreiben, d.h., sie nur durch die Brille der jeweils vertretenen Theorie zu betrachten, sollte man durch wiederholte Versuche einer unmittelbaren, möglichst unvoreingenommenen Konfrontation mit den Phänomenen begegnen.
Besonders die Phänomenologie – eine Philosophieströmung, in der eine unvoreingenommene, durch Denkgewohnheiten möglichst unverfälschte Herangehensweise an Erkenntnisobjekte gefordert wird – weist kritisch auf die Künstlichkeit der Subjekt-Objekt-Trennung in vielen human- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen hin (s. Slunecko, 2002). Die Kritik am Objektivitätsideal richtet sich auch hier wieder gegen die oft implizierte Annahme, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur als „reine“ Beobachtende auftreten könnten, die den untersuchten Prozess nicht beeinflussten, und somit keine Artefakte erzeugten (s. auch 2.2.1).
Zergliederung – Ganzheitlichkeit | | 2.3.9 |
Hier geht es um die prinzipielle Frage, ob zur Aufklärung psychischer Phänomene diese in Einzelheiten zerlegt werden dürfen (z.B. Wahrnehmungen, Vorstellungen, Einstellungen, Emotionen, Motive) oder ob man den psychischen Phänomenen nur dann gerecht wird, wenn man sich ihnen ganzheitlich nähert, wie z.B. vonseiten der Gestaltpsychologie argumentiert wird.
Es ist kaum zu bestreiten, dass mit der ersten, der analytischen Methode, in der Physik, Chemie, Biologie, aber auch in der Biologischen Psychologie, Wahrnehmungspsychologie, Lernpsychologie und Denkpsychologie bahnbrechende Leistungen erzielt wurden (s. etwa Anderson, 1996). Eine zergliedernde Forschungsmethodik scheint sich in der Psychologie immer dann zu bewähren, wenn Systeme untersucht werden, die in weitgehend autonome Untersysteme unterteilbar sind, welche miteinander entweder parallel oder seriell interagieren.
Merksatz
Ob eher eine zergliedernde („atomistische“) oder ganzheitliche („integrative“) Herangehensweise an Forschungsphänomene angebracht ist, hängt vom Ausmaß ihrer Vernetzung bzw. Modularität ab.
Wenn man allerdings in der Forschung mit Phänomenen konfrontiert ist, in denen zahlreiche Wechselwirkungen und Rückkoppelungen wirksam sind („autopoietische Realität“ nach Schülein & Reitze, 2002), dann wird man kaum ohne Modelle auskommen können, die in stärkerem Ausmaß ganzheitlich orientiert sind. Man muss dabei allerdings nicht unbedingt den geisteswissenschaftlichen Weg mit dem Einsatz qualitativer Untersuchungsmethoden beschreiten (Phänomenologie, Hermeneutik etc.), sondern kann sich unter Verwendung entsprechender Computerprogramme auch einer kybernetischen Analyse psychischer Prozesse bedienen („Kognitive Modellierung“; PSI-Programm, Dörner, 1999; ACTModell, Anderson & Lebiere, 1998; Sun, 2009).
Statik – Dynamik | | 2.3.10 |
Merksatz
Phänomene der Psychologie lassen sich sowohl hinsichtlich ihrer Merkmalsstruktur als auch hinsichtlich ihrer Merkmalsdynamik untersuchen.
Grundsätzlich können sich Gesetzmäßigkeiten auf strukturelle Zusammenhänge oder auf zeitliche Abläufe beziehen. Deshalb können auch psychologische Phänomene auf zweierlei Art analysiert werden: Einerseits lassen sich darüber Informationen an verschiedenen Sachverhalten sammeln (wie z.B. durch einmalige Vorgabe eines Intelligenztests bei verschiedenen Personen) und andererseits an einzelnen Sachverhalten mehrmals zu verschiedenen Zeiten (wie z.B. bei der kontinuierlichen Ableitung von Gehirnströmen im Schlaf einzelner Personen). Im ersten Fall – bei Querschnittanalysen – erfährt man Näheres über das gesetzmäßige Nebeneinander der Merkmale von Phänomenen (z.B. über die Struktur von Intelligenzmerkmalen), während im zweiten Fall – bei Längsschnittanalysen – mehr das gesetzmäßige Nacheinander der Zustände von Phänomenen zu erforschen ist (z.B. die Aufeinanderfolge von Schlafphasen oder Entwicklungsstadien).
2.3.11 | | Quantitativ – qualitativ |
Auch die Kontroverse zwischen den Befürworterinnen und Befürwortern einer quantitativen Erfassung von psychischen Phänomenen einerseits und jenen einer qualitativen, d.h. in diesem Zusammenhang einer nicht auf Quantitäten basierenden Erfassung andererseits, lässt sich in der Psychologie über mindestens hundert Jahre zurückverfolgen. Sie mündet in der Grundsatzfrage, ob sich psychische Phänomene überhaupt quantifizieren oder nur sprachlich beschreiben lassen. Dass in bestimmten Bereichen, wie etwa der Wahrnehmung, eine Quantifizierung gelingt, hat bereits Fechner (1860) mit seinen Ergebnissen zur „Psychophysik“ bewiesen. In welchem Ausmaß aber auch komplexe kognitive Prozesse