Merksatz
Im theoretischen System werden anhand von Fällen Relationen zwischen Variablen gesucht, funktional zusammenhängende Relationen zu Modellen zusammengefasst und thematisch verwandte Modelle zu einer Theorie integriert.
Zu einem Fall des theoretischen Systems wird eine Tatsache dann, wenn die erfassten Eigenschaften der Indikatoren in Ausprägungen von Variablen umgewandelt werden. Ein Fall ist somit durch eine bestimmte Konfiguration von (empirischen) Variablen, genauer durch deren jeweilige Ausprägungen, definiert. Mittels statistischer Auswertungsverfahren werden auf Basis der zur Verfügung stehenden Fälle zwischen den Variablen entweder hypothetische Relationen (Funktionen, Beziehungen etc.) geprüft oder unbekannte Relationen gesucht. Hypothesen sind Annahmen über Relationen zwischen mindestens zwei (empirischen) Variablen. Wenn eine hypothetische Relation zufriedenstellend oft in verschiedenen, wissenschaftlich seriösen Untersuchungen empirisch bestätigt wurde, spricht man von einem Gesetz. Mehrere Gesetze (oder Hypothesen), die ein logisch konsistentes Erklärungsgerüst für ein bestimmtes Phänomen darstellen, werden zusammenfassend als Modell bezeichnet (z.B. Wahrnehmungs-, Lern-, Gedächtnis- und Handlungsmodelle). Der Übergang von Modellen zu Theorien ist fließend. Eine Theorie ist ein System von zusammenhängenden Gesetzen, die maximal abstrakt formuliert sind.
Merksatz
Konstrukte sind speziell definierte, nicht direkt beobachtbare Begriffe einer psychologischen Theorie (z.B. Intelligenz, Motivation, Aggression), für die Operationalisierungen vorhanden sind oder entwickelt werden müssen.
Um die Realität in Form von Gesetzen oder Theorien abbilden zu können, müssen Begriffe (Konzepte) zur Klassifikation empirischer Phänomene entweder vorhanden sein (Alltagsbegriffe) oder neu entwickelt werden (Fachbegriffe bzw. Termini). Diese Konzeptionalisierung („Konzeptspezifikation“; Schnell, Hill & Esser, 1993) der Wahrnehmungs- oder Erlebenswelt darf weder zu fein noch zu grob ausfallen, damit ein adäquater Auflösungsgrad für die untersuchten Phänomene gegeben ist. Für neu eingeführte theoretische Fachbegriffe, sogenannte Konstrukte (d.h. theoretische Konstruktionen), ist die konkrete Bedeutung in der Welt unserer Erfahrungen mittels Operationalisierungen klarzulegen. Als solche Interpretationshilfen für theoretische Fachbegriffe können spezielle Beobachtungen, Testverfahren, Teile von Fragebögen oder sonstige Datenerfassungsverfahren herangezogen
Merksatz
Bedeutungsinterpretierende Zuordnung beobachtbarer Sachverhalte zu einem theoretischen Begriff bezeichnet man als dessen Operationalisierung.
werden. Mögliche Operationalisierungen von „Angst“ sind etwa bei einem Versuchstier der körperliche Zustand in Erwartung elektrischer Schläge, die gemessene Herzfrequenz oder die motorische Unruhe. „Intelligenz“ kann durch die Leistungen in einem bestimmten Intelligenztest, und „Glück“ durch die Beantwortung von Fragen in einem Befindlichkeitstest operationalisiert werden. Das Korrespondenzsystem mit einschlägigen Konzeptualisierungen und Operationalisierungen ist Bestandteil des jeweiligen wissenschaftlichen Paradigmas (s. auch Maderthaner, 2003).
Fälle und Variablen | | 3.3 |
Als empirische Einheiten kommen in der Psychologie beliebige statische oder dynamische Systeme infrage (z.B. Personen, Gruppen, Situationen, Abläufe), in denen sich psychische Gesetzmäßigkeiten äußern. Wie bereits erwähnt, wird die Beschreibung (Protokoll) eines Phänomens auf gesetzesrelevante Merkmale (Indikatoren) reduziert, sodass zuletzt nur mehr ein sogenannter „Fall“ mit phänomencharakteristischen Variablen übrig bleibt. Fälle sind also die – im Sinne einer wissenschaftlichen Fragestellung – maximal informationsreduzierten empirischen Einheiten, anhand derer Gesetze verifiziert oder falsifiziert werden sollen.
Merksatz
In sozialwissenschaftlichen Untersuchungen werden anhand von Fällen (Stichprobe) Gesetze gewonnen, welche auf ähnliche Sachverhalte (Population, Geltungsbereich der Gesetze) hin verallgemeinert werden.
Da es in der Psychologie nur selten möglich ist, die gesamte Population bzw. Grundgesamtheit empirischer Einheiten zu erfassen, für die ein Gesetz gelten soll, beschränkt man sich in der Forschung auf eine Stichprobe (engl. sample), deren Zusammensetzung in den gesetzesrelevanten Eigenschaften jener der Population möglichst ähnlich sein sollte, damit die auf Basis der Stichprobe gewonnenen Erkenntnisse berechtigt verallgemeinert werden können. Der Schluss von der Stichprobe auf die Population ist am ehesten dann gerechtfertigt, wenn die Stichprobe nach dem Zufallsprinzip aus der Grundgesamtheit ausgewählt wird (Randomisierung) und die Stichprobe entsprechend groß ist (s. auch Schnell et al., 1993).
| Abb 3.2
Ein Beispiel für eine einfache, aber prägnante Charakterisierung von Personen (Fällen) ist jene nach Persönlichkeitsfaktoren (Variablen). Das Profil in der Abbildung kennzeichnet eine Person in den sogenannten „Big-Five-Faktoren“ („NEO Five-Factor Inventory“ von Costa & McGrae, 1992; Becker, 2004).
Wenn die Ausprägungen relevanter Untersuchungsvariablen in einer Stichprobe mit jenen der Population annähernd übereinstimmen, darf von Repräsentativität der Stichprobe gesprochen werden. Im Forschungsalltag ist Repräsentativität aufgrund verschiedenster Forschungshemmnisse nur selten vollständig erreichbar (Kostenbegrenzung, Unerreichbarkeit von Personen, Teilnahmeverweigerung etc.), sodass häufig nur Gelegenheitsstichproben (z.B. Studierendensamples) zur Verfügung stehen oder die Stichprobenselektion eher mittels Quotaverfahren (Vergleichbarkeit der Stichprobe mit der Population hinsichtlich der Verteilung einiger wichtiger Merkmale wie Geschlecht, Bildung, Beruf usw.), mittels Schneeballverfahren (Probandinnen und Probanden vermitteln selbst wieder weitere Probandinnen und Probanden) oder mittels Klumpenverfahren erfolgt („cluster sampling“: Cluster von Fällen, z.B. Unternehmen, Organisationen, Branchen, werden zufällig ausgewählt und hierin alle Mitglieder untersucht). Leider erhöhen die letztgenannten Auswahlverfahren die Fehleranfälligkeit und mindern den Grad an Verallgemeinerbarkeit.
In der Mathematik sind Variablen („Platzhalter“, „Leerstellen“) jene Zeichen in Formeln, die für einzelne Elemente aus einer Menge möglicher Zahlen oder Symbole stehen. Die verschiedenen Belegungen von Variablen nennt man ihre Ausprägungen- oder – wenn diese aus Zahlen bestehen – ihre Werte. Als Wertebereich einer Variablen bezeichnet man alle Zahlen vom Minimalbis zum Maximalwert. Variablen charakterisieren Fälle hinsichtlich ihrer untersuchungsrelevanten Merkmale. In psychologischen Untersuchungen können diese äußerst vielfältig sein und schließen Beschreibungsmerkmale, Testergebnisse, Prozentschätzungen, physiologische Messwerte und andere Aspekte mit ein (Abb. 3.2).
Während in der Mathematik Zahlen definitionsgemäß eine quantitative Bedeutung haben, das heißt, dass bestimmte Rechenoperationen mit ihnen durchgeführt werden können (Addition, Multiplikation, Potenzierung etc.), kann dies bei Variablenwerten der psychologischen Empirie nicht vorausgesetzt werden. Hier können Zahlen zum Beispiel für Benennungen herangezogen werden (z.B. Abzählung von Personen in einer Gruppe), sie können eine Rangordnung symbolisieren (z.B. der 1., 2. oder 3. in einem Wettkampf) oder sie können ein Vielfaches von Grundeinheiten darstellen (z.B. Häufigkeiten). Aus diesem Grund werden die Ausprägungen von Variablen in der Psychologie hinsichtlich ihrer sogenannten Skalenqualität unterschieden, wovon insbesondere die Anwendbarkeit statistischer Auswertungsverfahren abhängt.
Merksatz
Hypothetische Ursachen werden in empirischen Untersuchungen mittels unabhängiger Variablen charakterisiert und hypothetische Wirkungen mittels abhängiger Variablen.
Faktoren, denen innerhalb von Phänomenen ein Einfluss zugeschrieben wird, heißen in den empirischen Sozialwissenschaften (so wie in der Mathematik bei Funktionsgleichungen) unabhängige Variablen (UV), während jene Faktoren, welche die Auswirkungen des Einflusses symbolisieren, als abhängige Variablen (AV) bezeichnet werden. In einer wissenschaftlichen Kausalhypothese (s. 3.4) stellt der Wenn-Teil