Ich wischte mir die Hände an einem Küchenhandtuch trocken und legte mir das Handy richtig ans Ohr. „Ja? Wer ist da bitte?“
„Ich bin es, Noah, von dem Bewerbungsgespräch gestern.“
He-Man Noah!
„Oh, Hallo.“ Ich lächelte. Das war aber nett von ihm, mich persönlich über die Absage zu informieren, statt nie mehr etwas von sich hören zu lassen. „Wie geht es dir?“
„Gut, danke der Nachfrage.“ Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. „Ich rufe nur an, um dich etwas zu fragen.“
„Oh?“ Ich runzelte die Stirn. Ich dachte, wir hätten gestern alles Nötige besprochen. „Und das wäre?“
Noah machte eine kleine dramatische Pause. „Bist du bereit?“
Mein Herz machte keinen Satz, sondern stellte das Schlagen komplett ein. Ich ließ das Handtuch fallen.
„Wie bitte?“
Er klang leicht amüsiert. „Du hast den Job, Emily. Wenn du ihn willst, gehört er dir.“
Ich konnte es nicht glauben, lehnte mich an die Arbeitsplatte hinter mir und schluckte hart. Dann fragte ich langsam und ungläubig: „Sind die anderen Bewerber alle gestorben oder so was?“
Noah lachte. Laut und lange. „Äh, nein, sie leben noch.“ Sein Gelächter kam endlich zum Versiegen. „Wie ist deine Antwort, Emily?“
Was würde ich wohl sagen? War er verrückt geworden? „Ja“, wisperte ich. Ich legte die Hand vor den Mund und fing an zu lachen. Ich hob den Kopf und sah zur Decke, dann ließ ich die Hand sinken und stellte mich aufrecht hin. „Ja. Ich will den Job.“
Als Noah mir eröffnete, was ich verdienen würde, fiel ich fast in Ohnmacht. Ich erstickte beinahe an meiner eigenen Zunge und lachte leicht hysterisch auf. Oh Gott. Ich konnte endlich wieder frei atmen. Meine Geldsorgen waren vorüber. Ich würde Nanna fürchterlich vermissen, aber dieser Job war ein Segen.
Als Erstes rief ich im St. Judes an.
Kapitel 2
Suspicious Minds
Emily
Ich musste dreimal umsteigen und brauchte den ganzen Vormittag, um zu der Adresse gelangen, die Noah mir gegeben hatte. Mir taten die Füße weh, aber das war mir egal. Dennoch erinnerte mich das leichte Stechen beim Laufen daran, dass ich mir ein paar neue Turnschuhe kaufen müsste. Die hier waren alt und die Sohlen abgelaufen. Ehrlich gesagt, hätte ich mir längst neue gekauft, wenn ich das Geld gehabt hätte. Ich schätzte aber, dass das Leben eben so war.
Egal, wie sehr mir die Füße schmerzten, innerlich strahlte ich. Okay, vielleicht auch äußerlich. Ich konnte nicht anders. Irgendwie fing alles an, sich zu fügen und ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Es war aufregend, in Los Angeles zu sein. Ich hatte noch nie etwas in West Hollywood zu tun gehabt, aber hier war ich nun. Lief über den Strip. Es war wie im Film. Mit den Daumen unter den Rucksackgurten eingehakt bestaunte ich alles um mich herum. Leider hatte ich nur ein altes Handy. Ich wollte schon gern ein Smartphone haben, aber die waren so teuer, deswegen sah ich den Nutzen nie ein. Und wirklich, die kosteten ein Vermögen. Also standen mir keine digitalen Karten zur Verfügung. Aber ich hatte einen Stadtplan, den ich mir am Busbahnhof gekauft hatte, und der tat es auch.
Nach fünfzehn Minuten Fußmarsch war ich endlich am Ziel. Das Gebäude war sehr groß, hatte drei Stockwerke und als ich auf das hohe Tor zuging und den Knopf der Gegensprechanlage drückte, atmete ich tief durch, um mich zu sammeln.
„Ja?“
„Ähm …“ Aus irgendeinem Grund lehnte ich mich näher an das kleine schwarze Gerät. „Ich habe einen Termin bei Micah.“
„Emily?“
„Ja“, rief ich viel zu laut in die Gegensprechanlage.
Ich hätte schwören können, dass der Mensch am anderen Ende lachte.
„Ich lass dich rein. Drück richtig fest gegen das Tor, okay?“
Das Tor sah schwer aus. „Okay.“
Ich hörte die Entriegelung und drückte, so fest ich konnte. Das Tor bewegte sich kaum, aber nach einem kleinen Kampf damit schaffte ich es, mich durch die schmale Lücke zu quetschen, die ich aufgedrückt hatte. Als ich das Tor losließ, knallte es laut zu und ich machte einen erschrockenen Satz. Mit der Hand auf der Brust und dem Blick auf das Tor hatte ich die Person hinter mir nicht kommen hören.
„Hallo.“
Erneut machte ich einen Satz und mir entglitt ein überraschtes Quietschen, als ich mich umdrehte und Noah dort stehen sah. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und grinste mich an. Ich wurde knallrot und lächelte.
„Hallo.“
Er trug schwarze Jeans, weiße Turnschuhe und ein anthrazitfarbenes T-Shirt. Sein Grinsen wurde breiter und in seinen Wangen kamen Grübchen zum Vorschein. Er legte die Hand vor den Mund und hüstelte lachend.
„Ich wollte dich nicht erschrecken.“
Ich mochte Noah. Mit einem Biss auf die Lippe gab ich zögerlich zu: „Dazu braucht es nicht viel, befürchte ich.“
Sein kehliges Lachen zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht und als er eine Weile nichts sagte, blickte ich in seine braunen Augen und sah, dass er auch lächelte. Er atmete aus und fuhr mit der Hand über sein kurz geschorenes Haar.
„Bereit, dein Leben zu verkaufen?“
Klang er absichtlich so Unheil verkündend?
„Klar.“ Mein Magen verkrampfte sich und mein Lächeln erstarb ein wenig. „Wo muss ich hin?“
Als wir das Gebäude betraten, war ich verblüfft. Ich sah mich um. Die Einrichtung entsprach nicht dem, was ich erwartet hatte. Das war nicht einfach nur ein Gebäude. Es war ein Haus. Ein Zuhause. An den Wänden hingen gerahmte Fotos, doch bevor ich sie mir ansehen konnte, kam eine hübsche, hochschwangere Frau barfuß die Treppen herunter. Sie trug ein langes, weites Kleid und umfasste ihren Bauch.
„Oh. Mein. Gott.“ Sie sah zu Noah hinüber. „Ist das Emily?“
Noahs Blick lag weiterhin auf mir. „Das ist Emily.“
„Du lieber Gott.“ Die langen, glatten, blonden Haare gingen ihr bis zum Gesäß. Sie sah mich von oben bis unten an und lächelte breit. „Du bist ja absolut bezaubernd.“ Sie erreichte die unteren Stufen und Noah ging zu ihr, um ihr an der Hand herunterzuhelfen. Ihre blauen Augen strahlten. „Ist sie nicht hinreißend?“
Noah versuchte, nicht zu lachen. „Absolut.“
Warte, war das Noahs Ehefrau? Sie kam auf mich zu, hielt mir die Hände entgegen und ohne darüber nachzudenken, legte ich meine in ihre. Sie umschloss meine Hände und zog mich näher, wobei sie mich genau betrachtete. Ihre Stimme war leise, aber liebenswürdig.
„Du bist so winzig. Wie groß bist du?“
„Eins … sechzig“, stotterte ich. Es klang wie eine Frage.
„Diese Klamotten. Diese Brille. Oh, dieser Rucksack!“ Sie keuchte auf, bevor sie mich an ihre Seite zog. „Ich liebe sie. Darf ich sie behalten?“
„Amber.“ Noah sah die nette Dame tadelnd an. „Sie ist kein Haustier.“
Amber hielt mich noch fester. „Ich werde sie gut behandeln, Noah. Ich schwöre.“
Noah drückte sich mit Daumen und Zeigefinger gegen die Nasenwurzel, aber er grinste. „Herr im Himmel.“
In dem Augenblick kam Micah die Treppen herab. „Liebling“, sagte er vorsichtig. „Warum erwürgst