Was sind nun typische Fragestellungen der Technikgeschichte an den Bereich der Mobilität und Kommunikation? Da ist einmal die Frage danach, wie sich die technischen Spezifika und Notwendigkeiten einer bestimmten Technologie gesellschaftlich niedergeschlagen haben. Nehmen wir als Beispiel den zunehmenden Einsatz der Dampfkraft im Transportwesen, der eingehender im folgenden Kapitel thematisiert wird. Zwar minderte die neue Kraftquelle die Abhängigkeit von menschlicher, tierischer oder anderweitig der Natur gewonnener Energie, gleichzeitig entstand aber eine neue Notwendigkeit der Brennstoffversorgung. Daher waren Dampfmaschinen im großen Stil zunächst nur in der Nähe von Brennstoffvorräten einsetzbar. In späterer Folge wirkte sich diese Abhängigkeit ganz massiv auf die Förderung und logistische Verteilung von fossilen Brennstoffen aus. Man denke beispielsweise an das Anlegen von Kohledepots entlang der wichtigsten Dampfschiffrouten. Solche Fragen nach den Auswirkungen technischer Abläufe in Mobilitätstechnologien interessieren die Technikgeschichte.
Sie will aber ebenso wissen, warum sich bestimmte Technologien in eine bestimmte Richtung entwickelt haben, warum sie sich durchsetzen konnten oder aber wieder verschwanden. Ein gutes Beispiel aus der Mobilitätsgeschichte findet sich diesbezüglich in der Arbeit des niederländischen Historikers Wiebe E. Bijker, der wesentlich an der Entwicklung eines sozialkonstruktivistischen Zugangs zur Technikgeschichte beteiligt war. Bijker hat sich unter anderem mit der Geschichte des Fahrrads beschäftigt und gefragt, warum sich das praktische und sichere Niederrad – also das Fahrrad, wie wir es auch heute kennen – über den Umweg des unpraktischen und unsicheren Hochrads entwickelt hat, wenn doch alle technischen Voraussetzungen für das Niederrad zuvor bereits gegeben gewesen seien. Er findet die Antwort auf seine Frage eben in der sozialen Konstruktion von Technologien, die Abwägungen der Praktikabilität und Sicherheit hier zugunsten soziokultureller Faktoren wie etwa der Unterstreichung von Mut, Männlichkeit und sozialem Status in den Hintergrund rücken lässt (siehe Kapitel III.6).[12]
Schon in diesen exemplarischen Fragestellungen aus technikhistorischer Perspektive wird deutlich, dass sich diese nicht trennscharf von anderen Erkenntnisinteressen unterscheiden lassen. Blickt man auf den Brennstoffbedarf der Dampfmaschine, so landet man ebenso schnell in der Wirtschaftsgeschichte wie in der Globalgeschichte. Fragt man nach dem Hochrad, so gibt es kein Vorbeikommen an der Kulturgeschichte. Wie bereits erwähnt, sind die genannten Zugänge daher nicht als jeweils separate Felder zu betrachten, sondern lediglich als unterschiedlich gelegte Gewichtungen.
Jürgen Osterhammel ist in seinem umfassenden Werk zur Verwandlung der Welt im langen 19. Jahrhundert auch auf die Rolle von Transport- und Kommunikationstechnologien eingegangen. Er hält im Abschnitt über die Dampfschifffahrt einleitend fest, dass „[i]n der Geschichte des Verkehrs […] oft kein Weg an einem milden technologischen Determinismus“ vorbeiführt. Neue Verkehrsmittel würden nicht auftreten, weil sie „kulturell ersehnt werden, sondern weil jemand auf die Idee kommt, sie zu bauen“.[13] Obwohl diese Auslegung des Begriffs nicht ganz dem technikhistorischen Verständnis von technologischem Determinismus entspricht, so ist Osterhammel im grundlegenden Befund wohl zuzustimmen. Angesichts der übergeordneten Vernetzungs- und Globalisierungsprozesse der Moderne, haben viele neue Transport- und Kommunikationstechnologien ihre Trägergesellschaften tatsächlich auf eine Art und Weise geprägt, die man im Sinne eines „sanften Determinismus“ interpretieren kann. Diese Idee geht auf Thomas P. Hughes zurück, der sich konzeptuell mit großen technischen Systemen auseinandergesetzt hat und schreibt: „Large systems with high momentum tend to exert a soft determinism on other systems, groups, and individuals in society.“[14] Da Mobilitäts- und Kommunikationstechnologien häufig in solchen großen, vernetzten Systemen organisiert sind, ist die Idee eines „sanften Technikdeterminismus“ in einer technikhistorischen Betrachtung von Mobilität und Kommunikation durchaus zu berücksichtigen.
[5] Heßler, S. 18.
[6] Ebd., S. 17.
[7] Edgerton, From Innovation to Use.
[8] Ebd., S. 116; ders., Shock of the Old, S. 45‒47.
[9] Ders., From Innovation to Use, S. 120f.
[10] Gleitsmann, Kunze u. Oetzel, S. 36.
[11] Heßler.
[12] Bijker, S. 19‒100.
[13] Osterhammel, Verwandlung, S. 1012.
[14] Hughes, S. 54f.
3. Wirtschaftsgeschichtliche Perspektiven
Welche Bedeutung hatte die Telegrafie für die Geschichte internationaler Finanzmärkte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts? Welche Rolle spielte der Ausbau von grenzübergreifenden Transportinfrastrukturen für den globalen Handel? In welchem Ausmaß werden Transport- und Kommunikationsmittel wie beispielsweise das Automobil oder das Mobiltelefon selbst zu wichtigen globalen Handelsgütern? Die Geschichte von Mobilität und Kommunikation ist kaum losgelöst von wirtschaftshistorischen Fragestellungen zu denken.
Menschen haben verschiedenste Bedürfnisse, manche grundlegender als andere, mit deren Befriedigung sie einen Gutteil ihres Lebens beschäftigt sind. Unter dem Begriff Wirtschaft versteht man die Gesamtheit aller Einrichtungen und Aktivitäten, die in einer Gemeinschaft auf die Herstellung und Verteilung von Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung (üblicherweise Waren oder Dienstleistungen) zielen. Diese Begriffsdefinition mag seltsam trocken und etwas artifiziell klingen. Sie hat aber den Vorteil, ganz unmittelbar klarzumachen, dass Wirtschaft nicht nur mit Fabriken und Hochfinanz, mit Banken und globalem Handel zu tun hat, sondern der Mensch als soziales Wesen immer wirtschaftet. Ähnlich wie dies auch im vorherigen Abschnitt zur Technik deutlich wurde, ist menschliches Denken und Handeln ohne ein Grundverständnis für die jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht zu verstehen. Die Wirtschaftsgeschichte ist dementsprechend ein wichtiger, seit langem fest etablierter Bereich der Geschichtswissenschaft (wie im Übrigen auch der Wirtschaftswissenschaft), dessen Ziel es ist, die Geschichte des menschlichen Wirtschaftens zu beleuchten. Sie will in diesem Zusammenhang Entwicklungslinien, Organisationsformen und Handlungslogiken verstehen und erklären und tut dies auf ganz unterschiedlichen Ebenen: zum Beispiel mit einem Fokus auf einzelne Menschen oder kleine Gruppen von Menschen, auf der Ebene von Haushalten bzw. Erwerbsgemeinschaften, auf Unternehmensebene oder auch mit Blick auf ganze Volkswirtschaften oder sogar globale Wirtschaftszusammenhänge.
In der Geschichtswissenschaft sind wirtschaftshistorische Fragestellungen seit etwa Ende des 19. Jahrhunderts wichtig geworden. Die entscheidenden Impulse kamen vor allem aus der Volkswirtschaftslehre. Insbesondere im Deutschen Bund beschäftigte sich seit Mitte des Jahrhunderts die Historische Schule der Nationalökonomie mit der Wirtschaftsgeschichte. Ihre Anhänger um Wilhelm G. Roscher (1817–1894) oder in späteren Jahren Gustav von Schmoller (1838–1917) waren davon überzeugt, dass zur Lösung aktueller wirtschaftlicher Probleme – wie zum Beispiel der so genannten „sozialen Frage“ – ein Studium der Geschichte der Wirtschaft wichtige Parameter liefern würde. Erklärtes Ziel war es, aus empirisch erhobenen historischen Daten induktiv ökonomische Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, denen man zwar nicht universelle Gültigkeit zusprach, aber an denen man sich in ähnlichen aktuellen Lagen zumindest orientieren konnte. Je