Sprachbewusste Gedichtanalyse. Fabian Wolbring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fabian Wolbring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846350355
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      UTB 5035

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      Fabian Wolbring

      Sprachbewusste

      Gedichtanalyse

      Eine praktische Einführung

      Vandenhoeck & Ruprecht

      Dr. Fabian Wolbring ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in der Lyrokologie, der Medientheorie und der Literaturdidaktik. Neben seiner akademischen Tätigkeit betreut und begleitete er diverse Jugendprojekte im Bereich HipHop und Rap und war außerdem schon selbst als Rapper, Blogger und Erzähler in den (Sub-)Kulturszenen des Ruhrgebiets unterwegs.

      Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

      © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

      Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

      Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

      Umschlagbild: Fotografie ©Andrea Kiesendahl

      Umschlaggestaltung: Atelier Reichert

      Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

      EPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

      Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

      UTB-Band-Nr. 5035

      ISBN 978-3-8463-5035-5

      Inhalt

       3.Sprache als Medium

       4.Mündlichkeit und Schriftlichkeit

       5.Wortgruppenbildung

       6.Sprechverhalten

       7.Erzählweise

       8.Oppositionen

       9.Sympathielenkung

       10.Metrum und Rhythmus

       11.Lautung und Reim

       12.Gedichtvergleich

       13.Literatur

      Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen1

      Mit diesem Tweet löste eine Abiturientin aus Nordrhein-Westfalen vor einiger Zeit eine bundesweite Debatte über den lebenspraktischen Wert und Unwert aktueller Unterrichtsgegenstände aus und sprach damit offenkundig vielen Menschen aus der Seele.2 Die „Gedichtsanalyse“ [sic] gilt demnach als Inbegriff des Obsoleten; als Sammelsurium kruder Praktiken wie Reimschemabestimmung oder Versfußmessung, das ausschließlich dazu dient, nicht minder kruden Texten3 vermeintliche Bedeutungen abzuringen und aufzubürden, über deren Berechtigung bzw. Richtigkeit die jeweilige Lehrkraft dann nach schleierhaften Kriterien Urteile fällt.

      Gerade in Zeiten zunehmender Standardisierung erscheint mir eine gesunde Skepsis gegenüber dem Nutzen manches Lyrikunterrichts durchaus angebracht. Statt die Lernenden für ein Gedicht und seine jeweils spezifische sprachliche Gestaltung zu sensibilisieren, werden ihnen häufig rigide schematische Lösungsmuster eingepaukt, die sie zu dem zweifellos selbstüberschätzenden Irrglauben führen, sie könnten (noch dazu in vier Sprachen) Gedichte angemessen und erschöpfend analysieren. Meine persönliche Erfahrung als Leiter zahlreicher Einführungsseminare in die Gedichtanalyse zeigt indes, dass die meisten Studierenden am Anfang ihres Studiums große Probleme oder Hemmungen haben, überhaupt etwas zu einem zuvor unbekannten Gedicht zu sagen, geschweige denn analysierende oder interpretierende Leseweisen zu entdecken, die auf sorgfältigen Textbeobachtungen basieren. Daher empfand ich es als vorderste Dozentenpflicht, meinen KursteilnehmerInnen diesbezüglich Hilfestellung zu leisten. Sie wurden angehalten, dem jeweiligen Gedicht unvoreingenommen und doch interessiert und aufgeschlossen zu begegnen, es gründlich und mehrfach zu lesen, es auf Basis des eigenen Sprachempfindens nachzuvollziehen und in seiner Wirkung zu beschreiben, sich zu wundern, Formulierungsentscheidungen zu hinterfragen und zuletzt zu versuchen, Wirkungseindrücke und Verständnishypothesen über Textbelege argumentativ zu plausibilisieren. In der Terminologie der Literaturdidaktik lassen sich diese Formen der Texterschließung unter den Begriff des textnahen Lesens subsumieren.4 In literaturwissenschaftlichen Kontexten ist hingegen von Close Readings die Rede.5

      Wie bei Gedichtanalysen üblich wurde in den Seminaren oft nach einer Gesamtbedeutung des jeweiligen Gedichtes gefragt.6 Wichtiger als die finale Interpretation war aber stets die Analyse selbst, d. h. die sorgfältige Untersuchung des jeweiligen Gedichts nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Meine Funktion bestand darin, fragenentwickelnde Kursgespräche anzuregen; über den Text, vor allem aber auch mit dem Text, da alle Fragen an diesen gerichtet und alle potentiellen Antworten, Argumente und Hypothesen aus ihm heraus generiert werden sollten. Lediglich zur Klärung unbekannter Begriffe oder offensichtlicher Anspielungen wurden sekundäre Quellen und Hilfsmittel zugelassen (etwa wenn die Loreley namentlich im Text vorkam, der Mythos aber nicht bekannt war). Eine solche Analysepraxis, bei der literaturgeschichtliches Kontextwissen zu Autor, Gattung und Epoche zunächst weitgehend ausgeklammert wird, nennt man in der Fachsprache werkimmanent. Entsprechende Informationen mögen für die tiefergehende Analyse in schriftlichen Arbeiten sicherlich unabdingbar sein; als vorschnell herbeigegoogletes Herrschaftswissen lenken sie erfahrungsgemäß aber eher von der konzentrierten Lektüre ab und verhindern nicht selten den primär angestrebten, selbstdenkenden Erschließungsprozess der Studierenden.7 Allerdings wurde zu Beginn jeder Sitzung in einem kurzen Dozentenvortrag eine Methode oder Beobachtungshinsicht vorgestellt, die als Such-Impulse fungieren sollten, d. h. als Anregungen, das jeweilige Gedicht einmal im Lichte des jeweiligen Aspekts zu untersuchen und zu „befragen“.