Wenn jemand eine Reise tut, dann … Dann ist es bequem, im Zug zu sitzen, aus dem Fenster zu schauen und die Landschaft zu genießen. Fernsehen live. Etwas ganz Anderes ist es, zu Fuß einen Dreitausender zu erklimmen oder sich im Amazonasgebiet durch das Dickicht zu schlagen. So ist es auch beim Durchqueren von Sprachlandschaften. Manche Orte erreicht man leicht, andere Wege sind schwierig und man muss einige Mühen auf sich nehmen. Aber am Ende wird man immer durch neue Erfahrungen und Erkenntnisse belohnt.
Die kleine Reise folgt einer inneren Logik und die Reiseroute ist gut begründet. Dennoch können einzelne Reiseziele und Orte ohne Kenntnis der anderen besucht werden. Gelegentlich jedoch ist es hilfreich, erst einen Ort aufzusuchen und anschließend einen anderen, Hinweisschilder (s. Kap. X) helfen hier weiter. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei Ihrer Entdeckungsreise durch die Welt der Sprache. Und für einen längeren Aufenthalt in unbekannten Sprachregionen empfehle ich Ihnen, den Rucksack mit Handwerkszeug Deskriptive Linguistik. Grundlagen und Methoden (Dürr/Schlobinski 2006) mitzunehmen.
Zunächst jedoch noch einige vorbereitende Hinweise, bevor Sie mit der Lektüre beginnen. Wenn Ihnen Fachbegriffe nicht bekannt sind, dann hilft das Register weiter, in dem wichtige Begriffe erklärt und Verweise auf die relevanten Stellen im Buch gegeben sind. Der Schwierigkeitsgrad der einzelnen Kapitel ist unterschiedlich. Manche Teilbereiche sind theoretisch anspruchsvoller, andere erscheinen wegen der Beispiele aus uns fremden Sprachen schwierig. Als Hilfe für die Analyse von Sprachbeispielen werden diese mit einer Glossierung versehen. Ein Sprachbeispiel mit sog. Interlinearglossierung besteht in der Regel aus drei Zeilen:
Italienisch | Englisch | Chinesisch | Nahuatl |
cant-er-ó | car-s | yī zhāng zh | ni-mits-miktia |
sing-FutI-1s | Auto-p | ein KL Papier | Subj.1s-dO.2s-töten |
ich werde singen | Autos | ein Stück Papier | ich töte dich |
In dem Beleg aus dem Chinesischen steht das Beispiel in standardisierter Alphabetschrift (Pīnyīn), in der dritten Zeile kursiv die Übersetzung. Bei Sprachen ohne Schriftsystem steht das Beispiel in Lautschrift. In der zweiten Zeile, der eigentlichen Glossierung, werden die Wortstämme bzw. Grundwörter auf Deutsch gegeben und abgekürzt Kategorien und grammatische Funktionen. Im italienischen Beispiel steht FutI für ›Futur I‹ und 1s für ›1. Person Singular‹, im englischen steht p für ›Plural‹ und im chinesischen steht KL für ›Klassifikator‹. In dem Beispiel aus dem Nahuatl, einer in Mexiko von ca. eineinhalb Millionen Menschen gesprochenen Sprache, steht Subj.1s für ›Subjekt, 1. Person Singular‹ und do.2s für ›direktes Objekt, 2. Person Singular‹. Die Glossierung ist möglichst einfach gehalten und auf die relevanten Punkte beschränkt, sie hilft bei einer dem Leser unbekannten Sprache, die Strukturen in den Belegen zu erkennen. Die für die Glossierung gewählten Abkürzungen und Konventionen finden sich im nachfolgenden Abkürzungsverzeichnis.
Im Buch sind zahlreiche Arbeiten verarbeitet, auf die nicht im Einzelnen verwiesen wird. Das Literaturverzeichnis gibt die zugrunde liegende Literatur wieder. Die für einzelne Kapitel wichtige Literatur wird im Literaturverzeichnis durch spitze Klammer < > angegeben. Wenn Sie also zu den in den einzelnen Kapiteln behandelten Themen grundlegende Literatur suchen, dann können Sie diese einfach über den Klammer-Index erschließen.
Es ist immer eine schwierige Aufgabe, einerseits möglichst fachlich genau, andererseits verständlich und einfach zu schreiben. Schwierige und komplexe Sachverhalte können nicht immer auf ein einfaches Niveau heruntergebrochen werden, ohne völlig trivialisiert zu werden. So habe ich den Spagat zwischen fachlicher Angemessenheit und Allgemeinverständlichkeit versucht in der Hoffnung, dass viele Studienanfänger das Buch mit Gewinn lesen und die Fachkollegen mir nicht gram sind.
Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise möchte ich mich bei Dr. Ulrike Gießmann-Bindewald, Dr. Olaf Krause, Alexa Mathias, Dr. Gernot Mathias und Dr. Katerina Stathi herzlich bedanken. Mein besonderer Dank für viele anregende Gespräche über linguistische und nicht-linguistische Fragen und Probleme gilt meinem Freund und Kollegen Prof. Dr. Michael Dürr. Und last, not least: Im Text verwende ich grundsätzlich das generische Maskulinum (s. hierzu Kap. 82).
Konventionen, Symbole und Abkürzungen
* | ungrammatisch; z.B. *Buch das auf liegt Tisch dem. |
* | rekonstruierte Protoform; z.B. idg.*psќé ›fragen‹ |
→ | wird realisiert als; z.B. d → t ›d wird ausgesprochen als t‹ (so in Fahrrad) |
← | leitet sich ab von; z.B. Auto ← Automobil |
[ ] | Laut, z.B. [f] wie in für oder [v] wie in Wald |
/ / | Phoneme, ›Laute mit bedeutungsunterscheidender Funktion‹, z.B. /h/ (/has/ vs. /mas/) |
< > | Grapheme |
1, 2, 3 | 1., 2., 3. Person [ich, du, er/sie/es] |
Akk | Akkusativ [ihn] |
ART | Artikel [der, ein] |
Dat | Dativ [ihm] |
dO | direktes Objekt [Er schreibt ein Buch.] |
exkl | exklusiv [wir beide vs. wir alle] |
Fut | Futur [sie wird schreiben] |
Ind | Indikativ [ich komme vs. ich käme] |
KL | Klassifikator [ein Stück Brot] |
N | Nomen [Michael, Schrank] |
NP | Nominalphrase [der alte Turm] |
neutr | Neutrum [das Buch] |
Nom | Nominativ [er] |
Obj/O | Objekt |
p | Plural [Häuser vs. Haus] |
P | Präposition [auf] |
PART | Partikel [halt, ja, so] |
Perf | Perfektiv [›abgeschlossene Handlung‹] |
PP | Präpositionalphrase [auf dem Tisch] |
Prät | Präteritum [ich sagte] |
s | Singular [Haus vs. Häuser] |
Subj | Subjekt [Er sieht ihn.] |
Temp | Tempus |
TOP | Topik(partikel) |
Sprachen
ahd. | althochdeutsch |
altgr. | altgriechisch |
chin. | chinesisch |
dt. | deutsch |
engl. | englisch |
frz. | französisch |
gr. | griechisch |
idg. | indogermanisch |
ital. | italienisch |
jap. | japanisch |
lat. | lateinisch |
mhd. | mittelhochdeutsch |
mlat. | mittellateinisch |
nd. | niederdeutsch |
ndl. | niederländisch |
nhd. | neuhochdeutsch |
omd. | ostmitteldeutsch |
poln. | polnisch |
port. | portugiesisch |
span. | spanisch |
ung. | ungarisch |
ugs. | umgangssprachlich |
1 Was ist/macht eigentlich ein Sprachwissenschaftler?
Führte man eine Umfrage durch und stellte die Frage ›Was ist ein Sprachwissenschaftler?‹,