Seit dem Aufbau der NATO-Strukturen hat sich innerhalb der Atlantischen Allianz ein umfangreiches, weit verzweigtes institutionelles und organisatorisches Geflecht entwickelt. Zum Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs arbeiteten 32.000 Militärs in NATO-Strukturen (plus 500-1.000 Zivilist*innen, NATO 2018d). 2019 beläuft sich diese Zahl nach Wandelprozessen auf ca. 10.500 Beschäftigte – eine Zahl, die bis 2021 angesichts aktueller sicherheitspolitischer Herausforderungen auf 12.000 ansteigen soll.
2.3.1 Politische Führung und Komitees
Als Militärallianz von meist liberalLiberalismusen Demokratien1 herrscht in der NATO trotz des hohen Grades militärischer Integration ein Primat der Politik gegenüber dem Militär. Dieses Primat reicht bis zum Kern der Allianz, dem BeistandsartikelBündnisfall, der nur durch eine einstimmige politische Entscheidung des NordatlantikratNordatlantikrat (NAC)s ausgerufen werden kann (Michel 2014, 107ff.; NATO 2017g; Pouliot 2016, 90). Der NACNordatlantikrat (NAC) ist das einzige Organ, das explizit im Text des Nordatlantikpakts erwähnt wird (Art. 11) und dem es freisteht, weitere Organe einzusetzen. Es gibt keine formalen Regelungen zum Abstimmungsverhalten. Lord IsmayLord Ismay schreibt hierzu:
„The Council have no written rules of procedure; nor has the need for such rules ever been felt. […] Decisions are unanimous; there is no voting. When governments hold divergent views, negotiation continues until unanimous agreement has been attained. There is no question of, say, ten nations forcing four to do what they do not want to do. The Council are no supranationalSupranationalismus body; their members are representatives of sovereign states. It is true that unanimity is not always achieved without considerable patience and a good deal of give and take; but it has always been reached in the end. That is because the interests and objectives of all NATO countries are fundamentally the same, and because the habit of thinking alike and acting alike for the common good is growing daily.“ (Ismay 1955, 60).
Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird die folgende Darstellung den heutigen Stand der NATO-Strukturen wiedergeben. Dort, wo es notwendig ist, werden bedeutende historische Aspekte angesprochen.
Politische Struktur der NATO (Quelle: NATO (2017a, 2018i), eigene Darstellung)
Der GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär weist in dieser Beobachtung zum einen auf die Erleichterung von Kooperation durch gemeinsame Interessen hin und spricht zum anderen die Existenz von SozialisationSozialisationsmechanismen an (Michel 2014, 107ff.), die im Verlauf des Buches weiter thematisiert werden.
Die Zusammensetzung und Tagungsweise des Rats hat sich seit der Gründung gewandelt, heute finden Sitzungen in vier Formaten statt, nämlich als Zusammenkünfte
der ansässigen NATO-Botschafter (permanent representatives, wöchentlich mind. 1x inoffiziell2 und 1x offiziell);
der Außenminister (2x jährlich);
der Verteidigungsminister (3x jährlich);
der Staats- und Regierungschefs im Gipfelformat (i.d.R. 1x jährlich, s. NATO 2017g).
Der Nordatlantikrat spiegelt somit die Struktur der NATO als intergouvernementale Institution wider, in der alle MachtMacht von den Mitgliedstaaten ausgeht. Daher ist der Austausch enorm wichtig, um gegenseitiges Verständnis über nationale Positionen herzustellen und diese in gemeinsame Politiken zu transformieren, bei denen sich alle Staaten mitgenommen fühlen.
Dieser zentrale Bündniskoordinationsprozess im NACNordatlantikrat (NAC) wird durch 20 sektorale Komitees (s. Abb. 3), an denen nationale Delegationsmitglieder sowie Mitarbeiter*innen des International StaffInternational Staff (IS, NATO) (ISInternational Staff (IS, NATO)) teilnehmen, den GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär (s. u.) und die Militärstruktur unterstützt. In den Komitees werden ähnlich dem Ausschusswesen in Parlamenten Fachthemen besprochen, sodass daraus gemeinsame Politiken hervorgehen. Durch die Zusammenarbeit von nationalen Delegierten mit internationalen Mitarbeiter*innen werden in den Komitees die Mitglieder- und die institutionelle Ebene verschränkt, wodurch für inhaltliche Kohärenz und Wissenstransfer gesorgt sowie nationalen Positionen Rechnung getragen wird. Auch transaktional sind die Komitees wichtig, da Politiken durch ständige Strukturen einfacher umgesetzt werden können, als das bei ad hoc-Zusammenarbeit möglich wäre. Genau wie der NACNordatlantikrat (NAC) funktionieren diese Komitees und alle anderen untergeordneten Arbeitsgruppen nach dem Konsensprinzip (NATO 2017a).
Der NACNordatlantikrat (NAC) nimmt also im Handeln der Allianz eine zentrale Rolle ein, weil er für politische Direktion auf Basis nationaler Interessen der Mitgliedstaaten sorgt und daraus Leitlinien für gemeinsames Handeln beschließt. Diese werden dann von den Hauptquartieren umgesetzt. Das einzige Gremium, das auf einer ähnlichen Ebene wie der NACNordatlantikrat (NAC) angesiedelt ist, ist die Nuclear Planning Group (NPGNuclear Planning Group (NPG)). Die NPGNuclear Planning Group (NPG) ist für Fragen zur nuklearen Verteidigung, die Koordination der Nuklearpolitiken der Mitglieder mit AtomwaffenAtomwaffen (USA, Frankreich, Großbritannien), sowie AbrüstungAbrüstung und RüstungskontrollRüstungskontrollee zuständig (NATO 2019n). Der NACNordatlantikrat (NAC) hat nuklearstrategische Diskussionen komplett in die NPGNuclear Planning Group (NPG) verschoben.3
2.3.2 Das Generalsekretariat und der International Staff
Der NATO-GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär – eine Funktion, die bisherInternational Staff (IS, NATO) ausschließlich von Männern ausgeübt wurde – steht im Zentrum des Politikprozesses der Allianz zwischen nationalen Regierungen, International StaffInternational Staff (IS, NATO) (ISInternational Staff (IS, NATO)) und Militärstruktur. Nach den ersten militärischen Integrationsschritten wurde deutlich, dass es einer umfangreicheren politischen Koordination der Allianzmitglieder bedurfte. Daher wurde 1952 das GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatariat geschaffen. Es ist mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, um sicherzustellen, dass Entscheidungen der Allianz umgesetzt werden, oder um neue Politiken und Prozesse anzustoßen, hat aber nur eine begrenzte formale MachtMacht (Hendrickson 2010, 52). Damit ist der GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär de facto das Gesicht und der Sprecher der NATO nach außen und ihr oberster politischer Beamter nach innen, der dem ISInternational Staff (IS, NATO) vorsteht (NATO 2016b). Um die regionale Balance zu wahren, wird das GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatariat durch einen Europäer bekleidet, während der Posten des obersten Militärbefehlshabers (SACEURSACEUR) – in Personalunion ist dies der Kommandeur des strategischen1 Kommandos Allied Command OperationsSHAPE/ACO (ACOSHAPE/ACO) in Mons (Belgien) – durch einen US-Amerikaner besetzt wird (s. auch Ismay 1955, Kap. 6). Bis heute gab es 13 GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatäre und 17 Stellvertretende GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär*innen. GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatäre sollen nach heutiger Praxis zuvor wichtige nationale Posten (ab Ministerebene) bekleidet haben, um die nötige Versiertheit mit dem Thema und vor allem diplomatische Erfahrungen und Kontakte zu haben.
GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär | Nat. | Amtszeit | Stellvertretende/r GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär*in | Nat. | Amtszeit | |
Jens StoltenbergStoltenberg, Jens | NOR | 2014 – ~ | Mircea Geoană | ROU |
2019 – ~
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