Die NATO. Falk Ostermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Falk Ostermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783846354414
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      „Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. […]“ (NATO 1949a, Artikel 5)

      Dieser Artikel beinhaltet zwei deutliche Formulierungen: zum einen die Formel, dass ein Angriff auf ein Mitglied als ein Angriff auf alle Mitglieder zu zählen ist und zum anderen die Verpflichtung zum militärischen Beistand. Gleichwie ist dies nicht als Beistandsautomatismus misszuverstehen (Grosser 1986, 96f.; von Gersdorff 2009, 436ff.). Der Antrag auf Ausrufung des BündnisfallBündnisfalls bedarf des einstimmigen Votums der Mitglieder. Seine Akzeptanz präjudiziert nicht die automatische Entsendung von Truppen (Georgantzis 1998, 31; Raflik 2011, 210). Er impliziert jedoch indirekt genau das (Kaplan 1984, 26). Staaten entscheiden in Übereinstimmung mit ihren verfassungsgemäßen Bestimmungen über die konkrete Art der Reaktion und Form der Hilfe (ibid., 84ff., 113ff.). Lord IsmayLord Ismay (1955, Kap. 2) weist zudem darauf hin, dass schon in den Verhandlungen klar war, dass Alliierte unterschiedliche (militärische, wirtschaftliche, logistische) Beiträge zur „gegenseitigen Unterstützung“ (Art. 3) leisten würden, je nach ihren eigenen ökonomischen FähigkeitenKapazitäten (militärische) und geografischen Gegebenheiten. Art. 9 führt weiter aus, dass Entscheidungen eines Rats bedürfen, der später den Namen NordatlantikratNordatlantikrat (NAC) (NACNordatlantikrat (NAC)) erhielt und seit 1952 wöchentlich tagt – i.d.R. auf Botschafter/ Permanente Repräsentanten-Niveau sowie zweimal jährlich mit Außenministern, dreimal mit Verteidigungsministern und bei Bedarf (i.d.R. einmal jährlich als Gipfeltreffen) mit den Staats- und Regierungschefs (NATO 2017g).2 Obgleich kürzer als beim Brüsseler VertragBrüsseler Vertrag (s. Kaplan 1984, 118f.), legt Art. 13 eine mindestens zwanzigjährige Vertragsdauer fest.

      Mit der Unterzeichnung des NordatlantikvertragNordatlantikvertrags konstituierte sich somit vier Jahre nach dem Ende des Zweiten WeltkriegZweiter Weltkriegs eine neue europäische Sicherheitsordnung. Im westlichen Block waren die demokratisch-liberalLiberalismusen Staaten vereinigt, während die Länder des Ostblocks vor allem kommunistischKommunismus geprägt waren, der Sowjetunion angehörten oder ihre abhängigen Satellitenstaaten waren. Diese Blockbildung sollte bis zur Zeitenwende 1989-1991 eine der bestimmenden Größen der Weltpolitik sein und auch Konflikte in anderen Teilen der Welt durch den ideologiIdeologieschen Gegensatz der beiden Blöcke und ihren Kampf um eine jeweilige Vormachtstellung beeinflussen.

      Bald nach der Unterzeichnung wurde den Vertragsstaaten jedoch bewusst, dass zur Erreichung des Vertragszwecks ein vertraglich vorgesehener gemeinsamer Rat und Verteidigungsausschuss nicht ausreichen würden und weitere Integrationsschritte gegangen werden mussten. Das Jahr 1950 stand somit am Beginn des Aufbaus gemeinsamer Planungs-, Trainings- und KommandostrukturMilitärstrukturen der Allianz, die vorsahen, dass die Staaten ihre Truppen unter das Kommando international bestimmter Militärs stellten. Lord IsmayLord Ismay erklärt, dass „diese Allianzprinzipien niemals in der Geschichte zu FriedenFriedenszeiten auf so eine Stufe gebracht wurden“ (Ismay 1955, 14). Mindestens genauso zentral war aber die Organisation der Militärhilfe und die Erstellung von Plänen zum Aufbau der nationalen Armeen (Kaplan 1984, Kap. 7; von Gersdorff 2009, 229ff.).

      Bereits seit Ende 1949 liefen amerikanische Waffenlieferungen für europäische Vertragsstaaten, um die Verteidigungsfähigkeit der Alliierten zu erhöhen. Auf seinem ersten Zusammentreffen am 17. September 1949 beschloss der NACNordatlantikrat (NAC) zudem die Einrichtung eines Verteidigungskomitees, eines Militärkomitees, regionaler Verteidigungsplanungsgruppen und einer Standing Group der Vertreter der Stabschefs von Frankreich, Großbritannien und der USA, die permanent in Washington angesiedelt war. Die Gründung weiterer technischer Komitees folgte, die in London angesiedelt wurden. Diese Schritte führten zum ersten Strategischen Konzept von 1949 (s. Kap. 3.2) und Aktivitäten zur Bestandsaufnahme von VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) sowie Ressourcenmanagement. Da dieser dezentrale Prozess sehr schleppend lief, beschlossen die Alliierten bald, ein permanentes ziviles Hauptquartier einzurichten, in dem die Aktivitäten durch politische Vertreter besser koordiniert werden sollten (Kaplan 1984, 139ff.). Dies geschah mit einem Gefühl der Dringlichkeit, da die russischen Kräfte östlich der Elbe weit stärker und einheitlicher organisiert waren, als die der Alliierten, bei denen nicht einmal eine Verteidigungslinie an der deutsch-deutschen Grenze bestand (ibid., 142f.; ähnlich Ismay 1955, Kap. 3).

      Der Ausbruch des KoreakriegKoreakriegs am 25. Juni 1950 hatte zwei Effekte auf die NATO: Zum einen zeigte er durch die Intervention der USA und anderer Alliierter zugunsten Südkoreas, dass liberalLiberalismuse Staaten füreinander einstehen konnten. Die Vertrauenssache Artikel 5 erhielt somit indirekt Substanz. Zum anderen bestätigte der Angriff Nordkoreas die Gefahr, die von einem nicht-eingegrenzten KommunismusKommunismus ausging. Ein Dominoeffekt wurde gefürchtet, der Pläne zum Aufbau der gemeinsamen Verteidigung beschleunigte (Kaplan 1984, 145ff., 150ff.; Schöllgen 2013b, 35f.). Der NACNordatlantikrat (NAC) beschloss daher, dass eine integrierte KommandostrukturMilitärstruktur unter einem gemeinsamen Truppenkommandeur geschaffen werden sollte, um einer möglichen sowjetischen Aggression besser begegnen zu können.

      Abbildung 1:

      NATO-Strukturen 1950 (Quelle: Pedlow (1997), eigene Darstellung)

      Als erster gemeinsamer Kommandeur – den Supreme Allied Commander Europe, oder SACEURSACEUR – wurde der hoch-dekorierte US-Armeegeneral und Oberbefehlshaber der Befreiung Europas, Dwight D. EisenhowerEisenhower, Dwight D. bestimmt, der den Respekt aller Alliierten genoss3 und am 2. April 1951 sein Amt antrat. EisenhowerEisenhower, Dwight D. erhielt daraufhin den Oberbefehl über alliierte Einheiten in Europa, z. B. auch der drei französischen Divisionen in Deutschland (Ismay 1955, Kap. 4), und baute in der Folge das neue militärische NATO-Hauptquartier zuerst in Paris und dann in Versailles auf, das Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE).

      Mit der Etablierung von SHAPE nahm die InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierung der NATO als Militärallianz ihren Lauf. Sie wurde über die Jahre mit einer Intensität durchgeführt, die in der modernen Militärgeschichte ihres Gleichen sucht. Kapitel 2.3 wird sich hiermit genauer befassen, während wir uns jetzt zunächst der weiteren Mitgliederentwicklung der NATO widmen.

      2.2.2 Beitritte in den 1950ern: Griechenland, Türkei, Deutschland und die Pariser Verträge 1954/55: Kampf dem Kommunismus

      DiePariser Verträge bereits währendKommunismus der Gründung der NATO geführten Diskussionen zum Umfang der Mitgliedschaft (s. von Gersdorff 2009, 326ff.) wurden auch nach der Aufnahme der täglichen Arbeit durch das Bündnis weitergeführt. Verhandlungen ab 1951 führten zum Beitritt Griechenlands und der Türkei am 18. Februar 1952, um so die antikommunistischKommunismuse Zone in Europa auszuweiten. Die USA hatten den beiden Ländern bereits in den 1940er Jahren wirtschaftliche und militärische Unterstützung zukommen lassen, um sie an den Westen zu binden, sodass der NATO-Beitritt eine logische Konsequenz war, um die Südflanke der Allianz militärisch und politisch abzusichern (CSIA European Security Working Group 1978; McGhee 1990). Verschiedene bilaterale Abkommen der USA mit Alliierten sorgten zudem für eine erhöhte und konsolidierte Truppenpräsenz der US-Amerikaner*innen. 1952 waren so bereits 400.000 US-amerikanische Soldat*innen in Europa stationiert und auch Kanada entsandte Truppen (Ismay 1955, Kap. 5).

      Um die Koordination in den NATO-Strukturen weiter zu verbessern, wurden die verschiedenen Komitees unter der Ägide des NordatlantikratNordatlantikrat (NAC)s neu organisiert, sodass seit Mai 1951 der Rat auch die Verteidigungs- und Finanzminister sowie bei Bedarf weitere Vertreter einschloss. Die Permanenten Stellvertreter/ Botschafter wurden das Rückgrat der zivilen Organisationsstruktur (Ismay 1955, 41). Ein wichtiger Beschluss