Ich hoffe, dass das Buch weiterhin gute Dienste leisten wird, indem es Studienanfängern/-innen verschiedener Fachgebiete erste Schritte in die Entwicklungspsychologie ermöglichen und hoffentlich auch Interesse und Freude am Thema wecken kann.
Luzern, Juli 2015 | Werner Wicki |
Vorwort
Als ich in den 1980er Jahren in Zürich Psychologie studierte und auch entwicklungspsychologische Vorlesungen besuchte, waren erst wenige deutschsprachige Lehrbücher auf dem Markt, die mir als Studienanfänger einen Überblick über die Entwicklungspsychologie hätten verschaffen können. Und die wenigen Lehrbücher, die es damals gab, wurden uns Studierenden nicht empfohlen – jedenfalls nicht in Zürich.
Daher kam es, dass ich erst einige Jahre später, als Assistent von Prof. August Flammer in Bern, die ganze Breite des Gebietes realisierte und erkannte, dass verschiedene theoretische Ansätze (relativ unberührt!) nebeneinander stehen.
Noch etwas später – als Dozent – wurde mir die ungeheure Fülle der empirischen Befunde gewisser entwicklungspsychologischer Forschungsbereiche bewusst. Ein Blick in die elektronischen Datenbanken ergibt beispielsweise für die Bindungsforschung der letzten 40 Jahre rund 7.000 (!) Publikationen in Fachzeitschriften.
Wie kann man da noch den Überblick behalten? Und wie kann man sogar ein Kurzlehrbuch über das gesamte Gebiet vorlegen wollen, wenn doch schon die Einzelgebiete so umfangreich sind? Das war in der Tat – neben der Zeit – die größte Herausforderung für mich. Und doch auch eine, die für all jene nützlich sein kann, die zuerst einmal die großen Linien, die elementaren Befunde kennen lernen möchten, bevor sie in die vielen Verästelungen eintauchen, die sich anbieten. Das sind auf der einen Seite die Studienanfänger in Psychologie und Pädagogik, auf der anderen Seite Studierende weiterer Fachbereiche, wie Lehrberufe, Soziale Arbeit etc., für die wissenschaftlich fundierte Grundlagen der menschlichen Entwicklung wichtig sind.
Viele haben zu diesem Buch beigetragen: Meine eigenen Kinder, die mich viel über Entwicklung gelehrt haben, meine Frau Andrea Bütikofer, die mich in dieser Arbeit mit Rat und Tat unterstützt hat, meine Studierenden mit ihren Fragen und dem Anspruch auf gute (oder wenigstens unterhaltsame) Vorlesungen und mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten sowie meine früheren und gegenwärtigen Mitarbeitenden in empirischen Forschungsarbeiten.
Luzern, Dezember 2009 | Werner Wicki |
1.1 | Wozu dient dieses Buch?
Dieses Lehrbuch gibt Studienanfängern in Psychologie, Pädagogik und weiteren Disziplinen einen ersten Einblick in den aktuellen Stand der Entwicklungspsychologie. Fortgeschrittenen Studierenden kann es auch als Repetitorium im Hinblick auf Prüfungen dienen.
Entlang der vorgestellten zentralen psychomotorischen, kognitiven und sozioemotionalen Entwicklungsphänomene von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter werden auch die jeweiligen Entwicklungsvoraussetzungen und -bedingungen diskutiert. Damit soll die menschliche Entwicklung nicht nur nachvollziehbar, sondern auch verständlich werden.
Als kompaktes Lehrmittel will das Buch sowohl dem Bedürfnis der Studierenden als auch dem der Dozierenden nach einer Einführung entgegenkommen, die sich auf die wesentlichsten bis heute gültigen Erkenntnisse – eben die „Basics“ – der Entwicklungspsychologie beschränkt.
1.2 | Was das Buch leistet
Nach einer kurzen theoretischen Einführung (→ Kap. 2) orientiert sich die weitere Gliederung des Buches an den bekannten Entwicklungsquerschnitten. Die vorgeburtliche Entwicklung wird im, die ersten drei Lebensjahre umfassenden, Kapitel 3 (Frühe Kindheit) mitbehandelt. Das Kapitel 4 (Mittlere Kindheit) bezieht sich auf die Zeitspanne vom vierten bis zum 10. Lebensjahr, das Kapitel 5 (Adoleszenz) auf das zweite Lebensjahrzehnt und das Kapitel 6 (Erwachsenenalter) auf die weitere Entwicklung bis ins hohe Alter.
Innerhalb der einzelnen Kapitel orientiert sich die Darstellung aus didaktischen Gründen an den bekannten Funktionslängsschnitten (Wahrnehmung, Denken, Problemlösen, Gedächtnis, Bindung, soziale Entwicklung etc.), die soweit möglich immer wieder aufeinander bezogen werden, da eine isolierte Betrachtung von Funktionen ein ganzheitliches Verständnis der menschlichen Entwicklung verhindert.
Die selbstauferlegte inhaltliche Beschränkung dieses Buches auf die wichtigsten entwicklungspsychologischen Erkenntnisse birgt natürlich die Gefahr einer unzulässigen Verkürzung und Vereinfachung der dargestellten Inhalte in sich. Die Leserinnen und Leser werden deshalb an verschiedenen Stellen auf mögliche Vertiefungspfade hingewiesen: auf Untersuchungen, grundlegende Experimente und vor allem auf weiterführende Literatur, die für das weitere Studium des Fachs hilfreich ist.
2 | Theorien und Methoden der Entwicklungspsychologie
Inhalt
Dieses Kapitel beginnt mit einigen theoretischen Annahmen der modernen Entwicklungspsychologie und bietet einen Überblick über die aktuellen Theoriefamilien.
Zwei Theorien werden in diesem Kapitel näher vorgestellt: die ökologische Entwicklungstheorie und die dynamische Systemtheorie. Weitere Theorien (z.B. die Bindungstheorie) werden im Rahmen der Altersquerschnitte (→ Kap. 3–6) skizziert.
Der erste Teil des Kapitels schließt mit einigen Bemerkungen zum Verhältnis von Anlage (Genen) und Umwelt. Der zweite Teil des Kapitels enthält eine knappe Darstellung der wichtigsten Forschungsmethoden, was nicht zuletzt das Verständnis der in diesem Buch referierten Forschungsbefunde unterstützen soll.
2.1 Theorien der modernen Entwicklungspsychologie
2.1.2 Ökologische Entwicklungstheorie
2.1.3 Dynamische Systemtheorie
2.1 | Theorien der modernen Entwicklungspsychologie
Definition
Die Entwicklungspsychologie befasst sich mit den psychologischen Veränderungen (und Stabilitäten) im Lebenslauf.
Sofern die individuelle Entwicklung gemeint ist, spricht man von Ontogenese, der Begriff Phylogenese bezieht sich hingegen auf die Stammesgeschichte,