Humanbiologie. Hynek Burda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hynek Burda
Издательство: Bookwire
Серия: utb basics
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783846341308
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Genome ist es gelungen, ca. 20% des ursprünglichen Neandertaler-Genoms zu rekonstruieren. Die Verteilung seiner Fragmente in unserem Genom ist uneben und wir finden hier sowohl extrem ausgeweitete „Wüsten“ ohne Neandertaler-Sequenzen wie auch Orte, wo 60–70% der Mitglieder einiger gegenwärtiger Populationen Eurasiens die Neandertaler-Version tragen. Wir haben weder Neandertaler-Mitochondrien-DNA noch Neandertaler-Chromosom Y. Das Fehlen des Neandertaler-Y-Chromosoms ist wahrscheinlich das Ergebnis intensiver Selektion gegen einige Neandertalergene. Die biologische Inkompatibilität zwischen unseren Spezies hat somit die Entstehung von Hybriden nicht verhindert, aber wahrscheinlich hat sie die Fruchtbarkeit der männlichen Hybriden sehr eingeschränkt.

      Obwohl die Hybridisierung zwischen den Neandertalern und modernen Menschen nicht sehr erfolgreich war, wurde ein erheblicher Anteil der Neandertalergene in Genomabschnitten gefunden, die die Bildung von Keratin steuern und somit die Eigenschaften der Haut und ihrer Derivate (Haare), was sicherlich die Vielfalt und Anpassungen der außerafrikanischen Menschheit beeinflusst hat. Von Neandertalern haben wir wahrscheinlich auch einen Teil von Chromosom 3 erworben, der unter anderem ein spezifisches Allel des Gens HYAL2 enthält, das die zelluläre Antwort auf UV-Strahlung beeinflusst. Dieser Abschnitt kommt vor allem in Ostasien vor, wo er offensichtlich positiv selektiert wird, wobei das Ausmaß der Selektion mit der geografischen Breite korreliert. Gene neandertaler Herkunft haben dort möglicherweise die Besiedlung arktischer Gebiete ermöglicht. Aber es gibt nicht nur positive Nachrichten: Auch einige Allele, die das Risiko von Diabetes Typ 2, Morbus Crohn (entzündliche Darmerkrankung) sowie einiger Autoimmunerkrankungen erhöhen, sind wahrscheinlich neandertaler Herkunft.

      Darüber hinaus, geht es nicht nur um die Neandertaler: Auch durch eine Kreuzung mit „Denisovanern“ sind auffällig archaische Allele der Gene des humanen Leukozytenantigen-System (HLA) in den Genpool der eurasiatischen Populationen gelangt. Dies wäre ein ziemlich besonderes Beispiel, dass wir durch die Kreuzung mit archaischen Populationen nutzvolle Allele bekommen haben. Auf dem Weg aus Afrika sind wir Leuten begegnet, die bereits 200000 Jahre in Eurasien gelebt und sich an die hiesigen Pathogene angepasst hatten.

      Man kann also zusammenfassen, dass die Theorie „Out-of-Africa“ in ihrer klassischen (und extremen) Form tot ist. H.sapiens ist wahrscheinlich in Afrika entstanden, aber zusätzlich hat er einige Gene auch außerhalb von Afrika gewonnen. Die genetische Zusammensetzung des gegenwärtigen Menschen entpuppt sich als zunehmend komplexer und man kann nicht ausschließen, dass es zur Wiederbelebung der multiregionalen Hypothese kommt, allerdings in einer modifizierten Form, als eine Hypothese einer langfristigen, kontinuierlichen Vermischung, die nicht isoliert und punktuell, aber entlang der ganzen Route der Ausbreitung von Afrika nach Eurasien stattgefunden hat.

      Die Ergebnisse aller genetischen Analysen stimmen darin überein, dass die tiefste Differenzierung der menschlichen Populationen auf dem afrikanischen Kontinent stattgefunden hat (dort, wo auch die größte gegenwärtige genetische Diversität vorliegt). Die gegenwärtige Menschheit teilt sich genetisch primär in eine afrikanische und außerafrikanische Großgruppe auf, wobei Nordafrika genetisch zum westlichen Eurasien gehört. Weiterhin kann man im Bereich des Subsahara-Afrikas mehrere genetische Grundtypen unterscheiden:

       Jäger und Sammler in Süd- und Ostafrika, die insbesondere mit den Sprachen der Khoisan-Familie sprechen.

       Bantu und ihnen verwandte landwirtschaftliche und Hirtengruppen aus Westafrika (niger-kordofanische Sprachfamilie), die sich durch die Bantu-Invasion ost- und südwärts bis zur Südspitze Afrikas erweitert haben.

       Ostafrikanischer Typ, vor allem die Hirtenlinie, die mit den nilosaharanischen Sprachen und zum Teil mit afroasiatischen Sprachen spricht.

      Die Korrelation zwischen den sprachlichen, genetischen und ökonomischen Typen afrikanischer Populationen ist außerordentlich hoch. Die auffälligste Ausnahme bilden Pygmäen, zentralafrikanische Urwaldjäger und Sammler, die mit Bantu-Sprachen sprechen, aber anthropologisch, genetisch und kulturell eine eigenständige Linie repräsentieren. Phylogenetisch sind sie entweder nah mit der Khoisan-Familie verwandt oder eine Schwestergruppe aller anderen afrikanischen, Nichtkhoisan Populationen. Die Situation wird weiter verkompliziert durch die tiefe Differenzierung der westlichen (Baka) und östlichen (Mbuti und Twa) Pygmäen, die bestimmt älter zu datieren ist als die Ankunft der Bantu-Landwirte in dieser Region und damit eher ökologisch und klimatisch determiniert ist.

      Die grundlegende Einteilung der afrikanischen Menschheit auf die Khoisan- (oder Khoisan-Pygmäen) Linie und die restlichen Afrikaner ist sehr alt – heute schätzt man ihre Divergenz auf 250–300 tya (vergleichen wir dies mit der 500 tya alten Divergenz Neandertaler – moderner Mensch!). Auch die sonstigen grundlegenden genetischen Divergenzen in Afrika sind wahrscheinlich dem Wegzug einer Linie moderner Menschen aus Afrika nach Eurasien vorausgegangen. Denn die Afrikaner bilden keine einheitliche Evolutionsgruppe, die man als Schwestergruppe der Nichtafrikaner betrachten könnte, sondern einen „Kamm“ eigenständiger Linien, die der nichtafrikanischen Menschheit unterschiedlich nahestehen.

      Wie bereits erwähnt, wurde das klassische Modell einer nichtafrikanischen Menschheit, die von einer einzigen kleinen (ost)afrikanischen Population abstammt und keine Gene sonstiger nichtafrikanischer menschlicher Arten trägt, in den letzten Jahren widerlegt. Es ist aber klar, dass die meisten unserer „nichtafrikanischen“ Gene letztendlich auch afrikanischer Herkunft sind. Die Wege aus Afrika waren mindestens zwei:

       Die alte (vor mehr als 100 tya) Migration führte über den nördlichen Weg über den Sinai in das heutige Levante und wurde für einen isolierten und erfolglosen „Versuch“ gehalten, bis kürzlich gleichaltrige Reste einer „nubischen“ (also nordostafrikanischen) Industrie im Süden der Arabischen Halbinsel gefunden wurden. Diese Funde weisen auf die Existenz einer umfangreichen außerafrikanischen Population hin, deren Beziehung zur heutigen Menschheit allerdings unklar ist (Abb. 3.9). (Alte DNA weist darauf hin, dass wir die Spuren dieser Population im Genom heutiger Südeuropäer finden können, wohin sie über alte europäische Landwirte nahöstlicher Herkunft gelangt sind.)

       Eine neue (ca. 80–90 tya) Migration über den südlichen Weg von Ostafrika über Bab al-Mandab in den Süden der Arabischen Halbinsel und von dort aus weiter über die „Strandroute“ an den Küsten des Indischen Ozeans entlang nach Indien, China und Australien (Abb. 3.9). (Man muss darauf aufmerksam machen, dass sich die Form der Kontinente damals deutlich von der heutigen unterschied, denn in den Glazialzeiten war ein großer Teil des Wassers in Gletschern gebunden, was einen bedeutenden Teil des Kontinentalschelfs enthüllt hat – der Küstenweg von Indien nach China führte damals unter anderem über Borneo, Abb. 3.10).

      Abb. 3.9: Die Auswanderung des modernen Menschen aus Afrika und die Ausbreitung über die Welt. Bezeichnet sind die Wanderrouten, die Orte der wichtigen archäologischen Funde und ihre Datierung. 1. Blonbos Caves, (RSA, 75–65 tya); 2. Klasies River (RSA, 90–65 tya); 3. Singa (Sudan, 155 tya); 4. Omo Kibish (Äthiopien, 195 tya); 5. Herto (Äthiopien, 160 tya); 6. Taforalt (Marokko, 82 tya); 7. Oued Djebbana (Algerien, 35 tya); 8. „Lagar Velho boy” (Portugal, 35 tya); 9. Skhul und Qafzeh (Israel, 120–90 tya); 10. Pestera cu Oase (Rumänien, 40 tya); 11. Fa Hien Cave und Batadomba Lena Cave (Sri Lanka, 35 tya); 12. Niah Caves (Sarawak, 45 tya); 13. Tianyuan (China, 40 tya); 14. Lake Mungo (Australien, 46 tya); 15. Wally’s Beach (USA, 13 tya); 16. Arlington Springs (USA, 13 tya); 17. Cactus Hill (USA, 20–17 tya); 18. Quebrada Jaguay (Peru, 13 tya); 19. Monte Verde (Chile, 15 tya). Die Zahlen in orange Kreisen (65k etc.) sind die geschätzten Zeiten (in tya), wann die jeweiligen „Wanderetappen“ stattfanden.

      Genomische Studien zeigen, dass die außerafrikanische Menschheit in drei Evolutionslinien eingeteilt werden kann: „Europide“ (Europa, Naher Osten, Nordafrika, Indien), „Mongolide“ (Ostasien, Amerika) und „Australide“ (Neuguinea, Melanesien, Australien) (Abb. 3.9 und 3.10). Evolutionäre Beziehungen untereinander sind unklar. Der Geografie der Südroute entspricht die grundlegende West-Ost-Einteilung am besten (d.h. „Europide“