Martin Laube
Freiheit
Mohr Siebeck GmbH & Co. KG
|1|Einführung
Martin Laube
Freiheit als Thema der Theologie
1. Freiheit als Signatur von Christentum und Moderne
»Freiheit ist unser und der Gottheit Höchstes« (Schelling, Urfassung der Philosophie der Offenbarung 79) – in diesem emphatischen Leitspruch aus der Feder des idealistischen Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling bündelt sich das Selbstverständnis der modernen Welt und Gesellschaft. Die Freiheit des Einzelnen, sein Recht zur individuellen Gestaltung des eigenen Lebens, gilt ihr als stolze Errungenschaft und höchster Wert gleichermaßen. In der politischen Arena wird um die angemessene Verwirklichung dieser Freiheit gestritten: Jede demokratische Partei schreibt sich den entschlossenen Einsatz für sie auf die Fahnen – sei es durch Maßnahmen zu ihrer rechtlichen Sicherung, sei es durch Schaffung der notwendigen sozial-ökonomischen Grundlagen, um sie für alle zugänglich zu machen. Nicht nur die aktuellen ethischen Debatten stehen im Bann des Ideals individueller Autonomie und Selbstbestimmung; jeder Einzelne nimmt geradezu selbstverständlich für sich in Anspruch, sein Leben selbst führen und gestalten zu können. Das schließt die Übernahme ethischer Werthaltungen und Bindungen nicht aus, wohl aber müssen diese als Ausdruck von statt als Widerspruch zu eigenen Einstellungen und Entscheidungen verstanden werden können. Ob schließlich im Feuilleton, in der Werbung oder auf dem Boulevard – die gleichsam ubiquitäre Imaginierung und Inszenierung der Freiheit im Großen und der Freiheiten im Kleinen prägt den kulturellen Lebensstil der Bürger, Kunden und Konsumenten. Über alle Unterschiede und Gräben |2|hinweg findet die westliche Moderne im Symbol der Freiheit ihr charakteristisches Identitätsmerkmal. Dazu gehört nicht zuletzt die Deutung der eigenen Geschichte als religiöse, politische und soziale Freiheitsgeschichte: »Nur im Westen«, so nimmt der Soziologe Orlando Patterson die Losung Schellings auf, »stieg das Wort zu den kostbarsten Ausdrücken der ganzen Sprache auf, vergleichbar allenfalls noch mit dem Namen Gottes« (Patterson 2005: 168).
Der religiöse Oberton ist dabei alles andere als zufällig. Denn so sehr die Moderne als Zeitalter der Freiheit gilt, so sehr versteht sich nun zugleich das Christentum als Religion der Freiheit. Bereits im Alten Testament nimmt das Freiheitsmotiv eine zentrale Stellung ein. Die Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten bildet das Grunddatum der Geschichte Israels. Im Spiegel der Erinnerung an diese Rettungstat erscheint Israel als das von Jahwe erwählte und zur Freiheit berufene Gottesvolk. Das Neue Testament führt diese Linie fort. Hier ist es vor allem Paulus, der das in Christus vollbrachte Heil als ein Befreiungsgeschehen beschreibt: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit« (Gal 5,1). Der Glaube versetzt den Menschen aus der Knechtschaft des Gesetzes in die Freiheit der Kinder Gottes (vgl. Röm 8,21); er erhält darin Anteil an der von Christus erwirkten Befreiung von den Mächten der Sünde und des Todes.
Die paulinische Hochschätzung der Freiheit übt nicht nur auf die altkirchliche Theologie einen maßgeblichen Einfluss aus; mit dem abendländischen Siegeszug des Christentums findet sie zudem Eingang in die institutionellen Fundamente der mittelalterlichen Kultur und Gesellschaft. Die Reformation markiert sodann eine neue Epoche in der Geschichte des christlichen Freiheitsgedankens. Sie erklärt die libertas christiana – die in Gott begründete Freiheit eines Christenmenschen – zum zentralen Kennzeichen des christlichen Glaubens. Dabei schreibt sie dieser Freiheit zugleich einen kritisch-emanzipativen Richtungssinn ein. »Der Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Der Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan« (Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen 239) – in diese berühmte Doppelthese bündelt Martin Luther das Leitmotiv christlicher Freiheit, im Glauben allen irdischen, auch kirchlichen Autoritäten enthoben und dadurch zu selbständig |3|verantworteter Wahrnehmung des Christlichen im Dienst am Nächsten befreit zu sein. Die reformatorische Entdeckung, dass Religion und Freiheit elementar zusammengehören, prägt in der Folge das Selbstverständnis des Protestantismus auf seinem Weg in die Moderne. Dabei kann der Siegeszug des neuzeitlichen Autonomiegedankens ebenso nachdrücklich als Verwirklichung der christlichen Freiheit gefeiert wie umgekehrt als deren heillose Verkehrung gebrandmarkt werden. Über alle solchen Differenzen und Spaltungen hinweg ist es jedoch die gemeinsame Berufung auf die libertas christiana, welche das entscheidende Identitätsmerkmal des protestantischen Christentums ausmacht.
2. Zur Debattenlage um Begriff und Wirklichkeit der Freiheit
Doch so unbestritten der Freiheitsbegriff im Mittelpunkt von Moderne und Christentum steht, so umstritten ist zugleich, was daraus folgt – und was überhaupt jeweils unter Freiheit soll verstanden werden können. Auch wenn der Ruf nach Freiheit eine geradezu unwiderstehliche Faszinationskraft ausübt, bieten die zahlreichen und weitverzweigten Debatten um Begriff und Wirklichkeit der Freiheit ein irritierend unübersichtliches Bild.
Davon zeugt zum Ersten die schillernde und nur schwer greifbare Vieldeutigkeit des Freiheitsbegriffs selbst: Ob Unabhängigkeit, Spontaneität, Emanzipation oder Selbstbestimmung – er führt eine ganze Palette von Synonymen mit sich, die auf seine inhaltliche Mehrdimensionalität verweisen und zugleich je unterschiedliche Akzente setzen. So hat er seine geschichtlichen Wurzeln im politisch-sozialen Bereich. Erwachsen aus der elementaren Erfahrung von Unfreiheit und Unterdrückung, bezeichnet Freiheit zunächst die Unabhängigkeit von äußerem Zwang und das Recht zur individuellen Selbstbestimmung, das zugleich eine mögliche Beteiligung an der politischen Willensbildung einschließt. In diesem Sinne ist frei, wer tatsächlich tun kann, was er tun will. Die subjektiv-praktische Dimension des Freiheitsbegriffs verlagert den Blick demgegenüber nach innen. Nun geht es nicht mehr um die äußere, institutionell geordnete und rechtlich gesicherte Ebene der |4|Handlungsfreiheit, sondern um die innere, nur dem Selbstverhältnis zugängliche Ebene der Willensfreiheit. In Frage steht nicht mehr das Können, sondern vielmehr das Wollen: Frei ist, wer tatsächlich tun will, was er tun kann. Entsprechend wird Freiheit hier als Fähigkeit zur praktischen Selbstbestimmung gefasst. Sie kann ihren Niederschlag in einer inneren Unabhängigkeit gegenüber äußeren Ansprüchen und Zwängen finden. Vor allem aber wird sie überall dort sichtbar, wo sich der Einzelne als verantwortlicher Urheber seines Tuns begreift – und mithin zurechnet, aus freiem Willen und eigenem Entschluss heraus gehandelt zu haben. Die Frage nach dem Grund solcher Freiheit leitet schließlich zur transzendentalen Dimension des Freiheitsbegriffs über. Hier geht es darum, ob und in welcher Weise es des Rückgangs auf einen absoluten Grund bedarf, um die freie Willensentscheidung eines Menschen von deterministischem Zwang und zufälliger Willkür gleichermaßen unterscheiden zu können.
Erschwerend kommt zweitens hinzu, dass die Freiheit von einer elementaren Grundspannung durchzogen ist. Sie steht in der Gefahr permanenter Selbstverfehlung; im Zuge ihrer Verwirklichung kehrt sie sich gleichsam gegen sich selbst. So kann von Freiheit nur dort die Rede sein, wo ein Spektrum alternativer Handlungsoptionen offensteht. Zugleich gewinnt sie erst dann Gestalt, wenn eine dieser Optionen ergriffen und damit die anfängliche Auswahlmöglichkeit faktisch widerrufen wird. Anders formuliert: Freiheit setzt Alternativen voraus, realisiert sich aber gerade durch den Ausschluss von Alternativen. Das mag zunächst trivial erscheinen, verweist jedoch auf eine grundlegende Ambivalenz: Offenkundig trägt die Freiheit den Keim in sich, jederzeit in Unfreiheit umschlagen zu können. Der Ruf nach Verwirklichung und das Risiko der Verfehlung liegen eng beieinander. In der Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit findet diese Ambivalenz ihren sichtbaren Ausdruck: Während sich die negative Freiheit von auf die bloße Abwesenheit äußerer und innerer Zwänge beschränkt – und insofern völlig inhaltsleer bleibt –, umfasst die positive Freiheit zu die Fähigkeit zur Umsetzung bestimmter Ziele und Interessen. Was dabei zunächst wie zwei einander ergänzende Aspekte des Freiheitsbegriffs erscheint – dort die Möglichkeit, hier die Wirklichkeit von Freiheit –, erweist sich |5|bei genauerem Hinsehen als gegenläufiges Spannungsverhältnis. Die negative Freiheit bezeichnet