Aus Sicht der Transaktionsanalyse ist die Einstellung des Redners zum andern und zu sich selbst letztlich fast digital: o.k. oder nicht o.k. (vgl. Harris, S. 54ff.). Daraus resultieren vier grundsätzliche Lebensanschauungen/-einstellungen, die auch die Kommunikation zutiefst prägen (man spricht auch von den sogenannten emotionalen Kernpositionen):
1 Ich bin o.k. – du bist o.k.
2 Ich bin o.k. – du bist nicht o.k.
3 Ich bin nicht o.k. – du bist o.k.
4 Ich bin nicht o.k. – du bist nicht o.k.
Man muss kein studierter Psychologe sein, um zu wissen, dass die tendenzielle persönliche Einstellung zu sich selbst und die persönliche emotionale Kernposition zum anderen die Kommunikation und damit auch eine Rede enorm beeinflussen kann. Dabei kann gerade der „nicht o.k.“-Modus des Selbst von Minderwertigkeitsgefühlen bis hin zur Selbstaggression reichen (vgl. Harris unter Bezug auf Alfred Adler, S. 62f.). Natürlich muss das in der Rede nicht offenkundig sein. Wir wissen und wir werden noch weiter kennen lernen, wie hervorragend das bewusste System 2 auch schauspielern und täuschen kann. Nicht umsonst heißt das Hauptwerk von Eric Berne, dem Begründer der Transaktionsanalyse, „Spiele der Erwachsenen“.
Egal wie gut Sie Ihr System 2 im Griff haben: Das unbewusste System 1 arbeitet währenddessen auf der Grundlage dieser „emotionalen Basisverdrahtung“ in den Abermillionen seiner neuronalen Verknüpfungen permanent im „o.k. – nicht o.k.“-Modus und generiert so auch die Vorlagen für das bewusste Sprechen. Damit generiert es auch die Vorlagen für das Verstehen! Beides geschieht folglich durch einen positiven oder negativen Filter. Für den Redner heißt das: Beeinflusse die Beziehung zum Zuschauer in Richtung „ich bin o.k. – du bist o.k.“. Dieser Maxime entspricht die (rhetorische …) Frage des Rhetorik-Trainers: „Meinen Sie, Sie können mit einer negativen Selbstausstrahlung oder einem erkennbar negativen Selbstbild andere positiv rhetorisch lenken?“ Und ebenso: „Meinen Sie, Sie können mit einer negativen Bewertung von Zuhörer und Publikum dieses positiv rhetorisch lenken?“
Daher ein wichtiger Hinweis für die Fans von „World of Warcraft“ und Liebhaber des gepflegten Ego-Shootings: Wer glaubt, nach 150 virtuellen Tötungen habe das unbewusste Denksystem 1 einen Betriebsmodus des „du bist o.k.“ – der wird die bittere Erfahrung machen, dass dem nicht so ist: Er ist schlichtweg schon auf einen negativen Wert des Fremdsubjekts im wahrsten Sinn „geankert“.
Mit der Grundprogrammierung auf „o.k. – nicht o.k.“ verbunden ist die andere zentrale Entdeckung der Transaktionsanalyse. Unser unbewusstes System 1 vereinigt in sich grundsätzlich drei relativ eigenständige Denkweisen: das Eltern-Ich, das Erwachsenen-Ich und das Kindheits-Ich. Das macht Reden und Kommunikation nicht unbedingt leichter, wie sich der Leser jetzt denken kann. Nur: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass unsere Neuronen und Synapsen so arbeiten und schalten, und zwar in einem noch lange nicht vollends entschlüsselten Prozess, der die Menschheit seit Millionen von Jahren prägt. Was dies auch für die Rhetorik bedeutet, müssen wir uns im Folgenden vergegenwärtigen und daher diese drei Denkmodi kennen lernen, die jeder in sich trägt:
a) Das Eltern-Ich
Am Anfang unseres menschlichen Erlebens und damit auch Denkens stehen alle Erfahrungen der ersten sechs Lebensjahre, alle Regeln, Bewertungen und sonstigen Erfahrungen, die ein Mensch von seinen Eltern oder (den wenigen) vergleichbaren prägenden Personen übernimmt. Diese erworbenen Denk- und Verhaltensmodelle haben unbedingten Vorbildcharakter, weil all das, was ein Kind in diesem Stadium aufgenommen hat, von diesem Kind als Wahrheit wahrgenommen wird (vgl. Harris, S. 35). Aus der Sicht der Evolutionsbiologie ist dieses Verhalten elementar: Nur so kann ein Kind die Verhaltensmuster erwerben, die für das eigene Überleben unabdingbar waren und sind. Dieser „Eltern-Ich-Kodex“ wird mit Hunderten, ja Tausenden einfacher Lebensregeln aufgefüllt. Dazu zählen insbesondere solche, die mit den elterlich gesetzten Imperativen „du darfst nie/du musst immer/vergiss nie/pass auf wenn“ eingetrichtert werden. Unser unbewusst arbeitendes System 1 greift auf diese tief gespeicherten Eindrücke, Regeln und Werte automatisch zurück (s. dazu auch eingehend Eagleman, S. 220ff., S. 129ff.).
Für die Rhetorik hat die Entdeckung dieses Eltern-Ichs eine unmittelbare inhaltliche Auswirkung. Es gibt eine Fülle solcher Imperative, die für die überwältigende Mehrzahl aller Kinder und damit jetzt auch aller Zuhörer in gleicher Weise gesetzt wurden! Sie spielen also immer noch eine zentrale Rolle für das unbewusste Verstehen und Denken der meisten Zuhörer. Wer einen Anker mit einem solchen Imperativ in seiner Rede setzen oder seine Priming-Strategie auf diese Weise verstärken kann, der kann sich beinahe blind darauf verlassen, dass dieser Effekt seine Aussage nachhaltig kognitiv und emotional unterstützt. Dies geschieht tief im Unterbewusstsein, auf eine Weise, die das bewusste System 2 gar nicht mitbekommt.
Eine dramatische, sicher auch traurige Rolle spielt in der aktuellen politischen Diskussion hier etwa der zentrale Erziehungssatz, der wohl jedem von uns von den Eltern definitiv eingetrichtert wurde: „Pass auf vor einem Fremden, du weißt nicht, ob er böse ist; sei vorsichtig, geh auf keinen Fall mit ihm.“ Auch wenn in jeder seriösen Diskussion zur Flüchtlingspolitik die Angst vor Überfremdung relativiert und die Notwendigkeit der Integration mit sachlichen Argumenten belegt werden kann: Man muss kein Psychologe sein, um den unbewussten Einfluss dieser zentralen abgespeicherten Aussagen und damit Verhaltensvorgaben des Eltern-Ichs bei tendenziell fremdenfeindlichen Reden als Anker-Phrase gewärtigen zu müssen.
Ein weiteres wirksames Ankern ist etwa der Verweis auf Übungen und Gewohnheiten, die unsere Eltern traditionell praktizierten und die wir derart tradiert auch in eine Rede einpflegen. Der Satz „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ ist beispielsweise als Zitat schon eine Autorität – aber als Anker verstärkt er sich noch mehr, wenn es etwa um die Frage von Disziplin und Ordnung in einem Redebeitrag geht.
b) Das Kindheits-Ich
Spiegelbildlich zu den „Wahrheiten“ der Eltern, die man vermittelt bekommt, speichert jedes Kind im unbewussten Erinnern die innere Wahrnehmung und Empfindung dessen, was es sieht, hört oder spürt. Es ist nicht verwunderlich, dass dieses Erleben aus unmittelbaren Gefühlen besteht, an die ein Kind teilweise ein Leben lang zurückdenkt – und vorher natürlich auch zurückfühlt! Ganz gleich ob mit Freude oder – wohl häufiger – mit negativen Gefühlen wie Schmerz, Zurückweisung, Frustration (vgl. Harris, S. 40ff.). Damit ist klar, dass Erfahrungen, die mit dem Kindheits-Ich verknüpft sind, ebenfalls eine mächtige Rolle für die Bewertung von Sachverhalten spielen und damit rhetorisch nutzbar gemacht werden können. Auch sie stellen ein wesentliches Fundament der emotionalen und bewertenden „Schaltungen“ im unbewusst arbeitenden System 1 dar.
Beispiel: In einer Diskussion über die Rechtfertigung von Kündigungen setzte ein Diskussionsteilnehmer einen wirkungsvollen Anker mit dem Satz „Wer nicht hören will, muss fühlen“, als er die Bedeutung von verhaltensbedingten Kündigungen auch wegen kleiner Verfehlungen verteidigte. Welcher Zuhörer hatte diesen Satz nicht schon dutzendmal in sein Kindheits-Ich eingebläut bekommen?
c) Das Erwachsenen-Ich
Die Entwicklungspsychologie hat herausgearbeitet, dass ein Kind ab dem 10. Lebensmonat die Fähigkeit besitzt, ein eigenständiges Bewusstsein und Denken zu entwickeln. Thomas Harris liefert dazu eine prägnante Beschreibung:
Das Erwachsenen-Ich füllt