Box 3.2
Definition und Bestimmung des oberirdischen Einzugsgebiets
Ein Einzugsgebiet, das auch als Wasserzustrombereich bezeichnet wird, zeichnet sich dadurch aus, dass jedes Wasserteilchen, das hier zum Abfluss wird, dieses Gebiet durch den zugehörigen Flussquerschnitt verlässt. Das Einzugsgebiet wird durch seine Wasserscheide allseitig begrenzt. Die oberirdische Wasserscheide kann anhand der Höhenlinien bzw. Isohypsen mittels topographischer Karten konstruiert werden (Abb. 3-8). Dabei wird am Flussquerschnitt begonnen und beidseitig senkrecht zu den Höhenlinien bergaufgegangen, bis jeweils der Geländehochpunkt erreicht wird. In diesem kehrt sich das Geländegefälle um, d.h. vollzieht sich der Übergang in das Nachbareinzugsgebiet. Von den beiden links- und rechtsseitigen Hochpunkten aus verläuft die Wasserscheide weiter über die Höhensättel und Berggipfel, die das Einzugsgebiet umsäumen, bis sich der links- und rechtsseitige Verlauf vereinen. Im Bereich der Höhensättel ist die Fließrichtung beidseitig der Wasserscheide genau entgegengesetzt, d.h. im Inneren in das Gebiet hineingerichtet, und außerhalb von diesem weg.
Zum Einzugsgebiet gehört nicht nur die Landoberfläche, sondern auch der gesamte Boden- und Gesteinskörper, der aus dem Wasser unterirdisch zum Flussquerschnitt fließt. Dabei ist zu beachten, dass das oberirdische Einzugsgebiet und das unterirdische Einzugsgebiet voneinander abweichen können, da die Richtung der unterirdischen Wasserbewegungen weniger von der Geländeoberfläche, sondern mehr von der Geologie anhängt. Im Gebirge ist die Struktur der Gesteinsformationen mit ihren bevorzugten Fließbahnen, im Lockergestein des Norddeutschen Tieflandes die Ausprägung der Grundwasseroberfläche, ähnlich wie die Geländeoberfläche bezüglich oberirdischer Abflussvorgänge, entscheidend.
Abb. 3-8 | Bestimmung von oberirdischen Einzugsgebieten (schwarze Linie) entlang der Wasserscheide ausgehend von einem Punkt (rotes Dreieck) entlang des Fließgewässers (blaue Linie).
Wasserbilanzen werden oft für Einzugsgebiete aufgestellt, in denen der Abfluss Q im Fließgewässer durch Pegelmessungen zur Verfügung steht (→ Kap. 8). Da ein Einzugsgebiet bei Übereinstimmung von ober- und unterirdischem Einzugsgebiet per Definition keine lateralen Zu- oder Abflüsse hat, vereinfacht sich die Wasserbilanz zu:
Merksatz: Das Einzugsgebiet ist die wichtigste räumliche Einheit in der Hydrologie.
Generell werden auch hier alle Größen in Millimeter pro Bezugszeitraum angegeben. Dazu müssen die Punktmessungen des Niederschlags und der Verdunstung auf das ganze Gebiet extrapoliert werden (vgl. → Kap. 4 & 8). Der Abfluss wird von einem Volumen in eine Abflusshöhe in Bezug zur Einzugsgebietsfläche umgerechnet. Im Vergleich zur lokalen Wasserbilanz einer Bodenschicht oder eines Sees ist die Speicheränderung ΔS des gesamten Einzugsgebiets schwierig zu bestimmen.
In der Bilanzierung in Einzugsgebieten stellt neben den Speicheränderungen die Gebietsverdunstung das Hauptproblem dar. Sie lässt sich ohne sehr aufwendige Messungen nur modellgestützt ermitteln, weshalb sie häufig die Zielgröße der Bilanzierung ist. Ihre Ermittlung ist vereinfachend aus der Differenz von Niederschlag und Abfluss dann möglich, wenn die Speicheränderungen vernachlässigt werden können. Dies trifft näherungsweise für Jahreswerte und für langjährige Mittelwerte zu. Bei Jahreswerten ist dafür eine Jahreseinteilung erforderlich, die vom Kalender abweicht.
Weiterführende Literatur
Glawion, R., Glaser, R., Saurer, H., Gaede, M. und M. Weiler (2012): Physische Geographie. 2. Auflage. Braunschweig.
Schönwiese, C. (2013): Klimatologie. 4. Auflage. Stuttgart.
Zmarsly, E., Kuttler, W. und H. Pethe (2002): Meteorologisch-klimatologisches Grundwissen. Stuttgart.
| 4Niederschlag
Uwe Haberlandt
Inhalt
4.1 Bildung und Charakterisierung des Niederschlags
Der Niederschlag ist die wichtigste Eingangsgröße für alle hydrologischen Berechnungen. In diesem Kapitel werden die komplexe Niederschlagsbildung, verschiedene Niederschlagstypen sowie die räumliche und zeitliche Variabilität des Niederschlags diskutiert. Von hoher praktischer Bedeutung sind die verschiedenen Messmethoden, die Bestimmung des Gebietsniederschlags sowie die Ermittlung von Bemessungsniederschlägen.
4.1 | Bildung und Charakterisierung des Niederschlags
Begriff des Niederschlags
Unter dem Begriff «Niederschlag» versteht man einerseits einen Prozess, d.h. «aus der Lufthülle in flüssiger oder fester Form ausgeschiedenes Wasser» (DIN 4049-1 1992), wobei das Ausscheiden an der Erdoberfläche erfolgt. Andererseits ist Niederschlag eine Wassermenge und damit Element der Wasserbilanz (Dyck und Peschke 1995).
Bei der Klassifizierung der Niederschläge werden im Wesentlichen fallende, abgesetzte und abgelagerte Niederschläge unterschieden:
▶fallende Niederschläge: Regen, Schnee, Graupel und Hagel,
▶abgesetzte Niederschläge: Tau, Reif und Nebel,
▶abgelagerte Niederschläge: Schneedecke.
Merksatz: Für die Bildung des Niederschlags in der Atmosphäre müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. ausreichender Feuchtegehalt der Luft, 2. Abkühlung der Luftmasse unter den Taupunkt (Temperatur, bei der Wasserdampfsättigung auftritt) und 3. Vorhandensein von Kondensations- bzw. Gefrierkernen.
Niederschlagsbildung
Da das maximale Aufnahmevermögen der Luft an Wasserdampf mit der Temperatur abnimmt (→ Kap. 7), wird durch Abkühlung unter die vorherrschende Taupunkttemperatur Übersättigung erreicht. Der überschüssige Wasserdampf lagert sich durch Kondensation bzw. Resublimation an winzigen Partikeln, die als Kondensations- bzw. Gefrierkerne bezeichnet werden, an. Resultat sind überwiegend Tropfen, die zunächst sehr klein sind (im μm-Bereich). Diese sind zu leicht, um aus der Wolke auszufallen. Sie müssen erst zu einer Mindestgröße heranwachsen. Dabei ist zu beachten, dass die Existenz sehr kleiner Tropfen auch bei negativen Temperaturen, so wie sie in den gemäßigten Breiten ab einer bestimmten Höhe typisch sind, möglich ist. Daraus resultiert in hochreichenden Wolken ein Nebeneinander von Tropfen und Eiskristallen. Alle Ausscheidungen von atmosphärischem Wasserdampf werden als Hydrometeore bezeichnet.
Es sind verschiedene Wachstumsprozesse von Hydrometeoren zu unterscheiden. Größere Tropfen wachsen auf Kosten kleinerer, und Eiskristalle wachsen zulasten von Tropfen. Durch die Bewegungen in der Wolke kommt es zur Vereinigung von Hydrometeoren. Dies geschieht durch Zusammenfließen, also durch Koaleszenz und Kollision von Tropfen, sowie durch Kollision und Anhaften von Tropfen an Eiskristallen bzw. von Eiskristallen untereinander. Beim Anhaften von Tropfen an Eiskristallen