Und wer den Zusammenhang zwischen Größe von Staaten und ihrer demokratischen Qualität vertiefen möchte, der kann sich mal folgenden Titel anschauen: Jörke, D.: Die Größe der Demokratie. Über die räumliche Dimension von Herrschaft und Partizipation, Suhrkamp 2019.
Es gibt sogar sehr viele, die sich zudem mitunter widersprechen. Das ist aber aus wissenschaftlicher Sicht gar kein großes Problem. Im Gegenteil, ist ja gerade der KonfliktKonflikt und demokratische Streit um legitime Definitionen und Interpretationen der demokratischen Werte sehr zu begrüßen. Die jeweilige Definition, die über die Nennung bloßer Prinzipien wie Volkssouveränität oder von Praktiken wie der Mehrheitsentscheidung hinausgeht, hängt einmal davon ab, welchem grundlegenden Politikverständnis sie verpflichtet ist. Also ob etwa die Vorstellung einer assoziativen oder einer dissoziativen Politikvorstellung leitend ist (→ Konflikt und Konsens). Zudem ist entscheidend, welchem Modell oder welcher Theorie von Demokratie man anhängt und worauf der jeweilige Schwerpunkt gelegt wird: auf den Schutz individueller Rechte, die Formierung eines kollektiven politischen Willens, die Beratungen einer politischen Öffentlichkeit oder die Kritik exkludierender Praktiken im Namen der Demokratie? Alle Definitionen stehen dabei immer unter dem Vorbehalt, nur vorläufig und unter Berücksichtigung bestimmter Aspekte Gültigkeit beanspruchen zu können. Neben der wissenschaftlichen Position bestimmt immer auch die politische Haltung oder der zeitgeschichtliche Kontext die Definition dessen, was Demokratie genau bedeuten soll. Hinzu kommt, dass gerade die Demokratie sich dagegen sträubt, auf einen eindeutigen und letztgültigen Begriff gebracht zu werden. Als essentially contested concept ist sie normativ aufgeladen und es gibt verschiedene, sich historisch wandelnde Vorstellungen darüber, worin ihr normativer Kern besteht. Somit kann es keine letztgültige Definition geben. Vielmehr muss gerade in einer Demokratie der Wesenskern dessen, was demokratisch ist, notwendig umkämpft bleiben. Denn mit der unter Rückgriff auf Theorien und Definitionen der Demokratie erfolgenden Diskussion darüber, ob Institutionen, Praktiken, oder bestimmte Handlungen demokratisch sind oder nicht, verbindet sich immer entweder eine KritikKritik an bestehenden Institutionen oder deren Bestätigung und Stärkung. Und diese Kritik ist – gerade in Demokratien – die Voraussetzung dafür, dass eine politische oder soziale Ordnung sich weiterhin demokratisch erhält oder verändert – eben hin zu mehr Demokratie.
Für die Politikwissenschaftlerin Wendy BrownBrown, Wendy (*1955) zum Beispiel ist die Demokratie deswegen vor allem ein „leerer Signifikant“, der zwar enorm populär ist, jedoch keine inhaltliche Substanz mehr aufweise. So würden sich heutzutage alle möglichen Regime und politischen Akteur*innen weltweit und von links bis rechts als Demokratien und Demokrat*innen verstehen, ohne dies wirklich inhaltlich definieren zu können oder zu wollen. Dies befördere eine Instrumentalisierung des Demokratiebegriffs, wodurch Regierungen imperiale Bestrebungen rechtfertigen sowie den Abbau demokratischer Errungenschaften legitimieren können. Unabhängig davon bemüht sich die Wissenschaft selbstverständlich um Arbeitsdefinitionen, derer sich dann auch die politische Praxis bedient. Der Rechtsphilosoph Norberto BobbioBobbio, Noberto (1909–2004) formulierte einmal Minimalkriterien einer modernen Demokratie, auf die immer wieder zurückgegriffen wird. Diese sind die Garantie der grundlegenden Freiheitsrechte, die Existenz mehrerer, miteinander im Wettbewerb stehender Parteien, periodische Wahlen mit allgemeinem Wahlrecht sowie kollektive Entscheidungen, die auf Basis des Mehrheitsprinzips getroffen werden. Für den Soziologen und Philosophen Jürgen HabermasHabermas, Jürgen (*1929) besteht der normative Kern moderner Demokratien darin, die private Autonomie von Bürger*innen, die das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben, mit der Idee demokratischer Staatsbürger*innenschaftStaatsbürger*innenschaft, also der InklusionInklusion freier und gleicher Bürger*innen in die politische Gemeinschaft, und der Existenz einer unabhängigen politischen ÖffentlichkeitÖffentlichkeit als Sphäre der freien Meinungs- und Willensbildung zusammenzubringen. Die Politikwissenschaftler Claus OffeOffe, Claus (*1940) und Phillipe SchmitterSchmitter, Phillipe (*1936) definieren fünf Bedingungen für die Entstehung und das Forstbestehen moderner demokratischer Systeme: Die Anerkennung der Landesgrenzen und einer gemeinsamen politischen Kultur durch die jeweilige politische Gemeinschaft, religiöse Toleranz und die Ablehnung von Theokratie, die Integration verschiedener ethnischer Gruppierungen, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einer kapitalistischen Produktion und demokratisch-staatlichen Interventionen im Sinne des Großteils der Gesellschaft sowie ein entsprechend hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit, das die relevanten Gruppen und Klassen dazu motiviert, sich an die Regeln des demokratischen Miteinanders zu halten.
Die Bundeszentrale für Politische Bildung (BpB, www.bpb.de) ist zusammen mit den Landeszentralen für politische Bildung eine Bundesbehörde, die für die politische Bildung Jugendlicher und Erwachsener zuständig ist. Sie dient dazu, das demokratische Bewusstsein in der Bevölkerung zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu fördern. Dafür bietet sie zahlreiche digitale Inhalte, kostenlose bis relativ günstige Publikationen von renommierten Expert*innen zu allen politisch relevanten Sachfragen sowie Lehr- und Lernmaterialien und Fortbildungsangebote an.
Welche wissenschaftlichen Perspektiven auf die Demokratie gibt es?
Der Politikwissenschaftler Hubertus BuchsteinBuchstein, Hubertus (*1959) unterscheidet vier Typen moderner Demokratietheorien: Historische, empirische, formale und normative. Historische Demokratietheorien zeichnen entwicklungsgeschichtliche Linien nach, um markante Zäsuren identifizieren und Entwicklungen innerhalb der demokratischen Theorie und Praxis nachzeichnen zu können. Dafür befassen sie sich hauptsächlich mit Texten wichtiger Autor*innen aus der politischen Ideengeschichte der Demokratie. Hier lässt sich zum Beispiel rekonstruieren, inwiefern zwischen der antiken und der modernen Demokratie ein fundamentaler Bedeutungswandel stattgefunden oder sich das Verständnis von → FreiheitFreiheit im Laufe der Jahrtausende verändert hat. Die Teildisziplin der Politischen Ideengeschichte wird dabei nach dem Politikwissenschaftler Marcus LlanqueLlanque, Marcus (*1964) in den Funktionen des Archivs und des Arsenals gefasst. Als Archiv bewahrt sie die Traditionen des demokratischen Denkens auf, kategorisiert und sortiert sie. Als Arsenal hält sie die Argumente, Theorien, Modelle und Kritiken für die politischen Debatten und Auseinandersetzungen bereit, die von Zeit zu Zeit die Frage der Demokratie neu stellen.
Empirische Theorien verdichten empirische Befunde zu allgemeingültigen theoretischen Aussagen. Sie beschreiben Systeme, die sich Demokratie nennen und versuchen, Kausalzusammenhänge in diesen herauszuarbeiten. Dafür gehen sie unter Rückgriff auf Methoden der qualitativen und quantitativen Sozialforschung induktivinduktiv, also vom Konkreten zum Allgemeinen vor. Die empirischen Demokratietheorien interessiert meist die Form der Demokratie, die am besten dazu geeignet ist, rationale Ergebnisse hervorzubringen. Sie klassifizieren verschiedene Typen von DemokratienTypen von Demokratien, benennen deren Funktionsvoraussetzungen, messen deren Leistungsfähigkeit und analysieren die Gefährdungen der Demokratie. Die empirische Forschung unterscheidet klassisch direkte und repräsentative, föderalistische und einheitsstaatliche, parlamentarische und präsidentielle Regierungssysteme