„Zum Glück? Was meinst du mit Glück?“
Weil er keine Antwort bekam, öffnete Loranthus den Mund, um nachzufragen. Doch in diesem Moment machte Viviane auf dem Absatz kehrt, um ihre Waffen ins Haus zu bringen. Als sie zurück in den Stall kam, stand Loranthus immer noch da. Seinem entsetzten Blick nach zu urteilen, war er gerade dabei, sich selbst eine wirklich schlimme, unerhörte Antwort zu suchen, und dabei hatte er die Doppelaxt auf ihrem Rücken noch gar nicht entdeckt. Schweigsam zäumte Viviane ihre Dina ab.
Loranthus wollte das Gleiche bei Arion tun, doch dieser wich ihm ständig aus und so schlichen sie umeinander herum, als würden sie einen komplizierten Tanz einüben.
Viviane betrachtete die Darbietung eine Weile aus den Augenwinkeln und tat sehr beschäftigt, schließlich entschied sie sich aber doch, das Stachelbeerchen zu erlösen.
Resolut nahm sie Arion am Zügel.
„Schluss damit, alle beide. Loranthus, ich sehe zwar, du weißt, was du tust, aber mein Arion hier kann es besser. Wenn er nicht will, kann er einen ganz schön zur Weißglut treiben. Ich hatte anfangs selbst redlich Mühe mit ihm. Die treue Seele hing wohl zu stark am früheren Besitzer. Wie wir zusammen aufbrechen wollten, stellte er sich ganz und gar tot. Hat alle viere von sich gestreckt! Ist ein richtiger Schelm, mein Arion! Er dachte wohl, ich würde ihm das abkaufen!“
„Wie hast du ihn wieder auf die Beine bekommen?“ Loranthus trat unauffällig weg von Arion und beäugte ihn misstrauisch von der Seite. Arion starrte zurück.
„Zuerst dachte ich wirklich, er sei krank und habe ihn untersucht. Das war recht unterhaltsam, besonders für Arion. Wahrscheinlich liebt er es, wenn ich ihn abtaste und überall mein Ohr gegen ihn drücke; jedenfalls hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich Bescheid wusste. Dann zog ich und schob und schimpfte, bis ich mit meinen Kräften und meiner Tirade am Ende war. Also habe ich ihm etwas zugeflüstert, ein Versprechen. Das hat ihn ganz schnell auf die Beine gebracht.“
Loranthus sah sie schief an. „Versprochen? Einem Pferd? Was denn?“
„Das …“ Viviane tätschelte Arion, der sie sachte stupste. „… ist unser Geheimnis.“
Loranthus starrte von Viviane zu Arion und wieder zurück, und prustete los. Er lachte und lachte und japste nach Luft, bis er sich die Seiten halten musste und sein Gesicht rot glänzte wie ein gesalzenes Radieschen.
Als er anfing, Heu, Wasser, Äpfel, einen warmen Stall, eine Extraportion Hafer … aufzuzählen, wieherten Arion und Dina um die Wette. Viviane nahm ihre Taschen, drehte sich um und ging. Sie konnte nur noch den Kopf schütteln.
Bis Loranthus wieder normal war, trug sie ihre Sachen ins Haus und wünschte sich Ohrenpfropfen, denn jedes Mal, wenn sie ein neues Gepäckstück aus dem Stall holte, wieherten dort drei Pferde, zwei mit Heu im Maul. Was für ein Radau. Es war zum Davonrennen.
Hanibu bekam von dem Lärm nichts mit. Sie lag in einem einfachen, aber sauberen Holzbett und war bis zum Kinn unter einer dicken Wolldecke verschwunden, doch sobald Viviane ihre letzte Tasche etwas zu schwungvoll auf den Boden stellte, machte sie die Augen auf und gähnte herzhaft.
„Dieses Strohpolster ist herrlich weich und riecht so gut! Ich fühle mich gleich viel wohler!“
„Unterschätze die Strapazen nicht. Du hast einen übermächtigen Gegner besiegt. Willst du mit uns ins Gasthaus kommen oder soll ich dir lieber etwas zu essen herbringen?“
„Ich komme mit.“ Hanibu streckte die Arme und schälte sich gemächlich aus der Decke.
Viviane stapelte ihre Taschen neben der Tür auf und fragte wie nebenbei: „Lässt er dich eigentlich mit am Tisch sitzen oder musst du die Reste darunter suchen?“
Mitten im Aufstehen hielt Hanibu inne, sackte auf die Bettkante zurück und sagte zu ihren nackten Füßen: „Oh nein, keine Bange. Er behandelt mich gut. Er hat mich noch nie geschlagen oder … Schlimmeres. Ich bin eigentlich bloß durch Zufall bei ihm, musst du wissen. Loranthus’ Leibsklave hatte mich auf dem Sklavenmarkt entdeckt und wohl mit jemand anderem verwechselt. Darum ist er auf den Sklavenhändler losgegangen und in dem folgenden Handgemenge wurde er erstochen. Ich stand da und konnte nichts tun.
Loranthus schrie, sie sollten aufhören, doch es nützte nichts. Es hätte auch nichts genützt, wenn er sich ins Getümmel gestürzt hätte, womöglich wäre er selbst ums Leben gekommen.“ Hanibu seufzte. „Er war damals sehr wütend. Hat den ganzen Sklavenmarkt zusammengebrüllt, er wolle keinen kostenlosen Ersatz, während der Händler ihn noch übertönte und meine Vorzüge anpries. Als Loranthus hörte, ich spräche Griechisch, wirkte er interessiert. Aber dann meinte er, wenn er mich nähme, würde ich ihn ständig an den Verlust seines Leibsklaven erinnern. Erst, als mich der Händler vor seine Augen töten wollte, weil ich die Schuld an der ganzen Misere trüge, hat Loranthus eingelenkt. Nachts, wenn er denkt, ich schlafe, weint er manchmal vor lauter Trauer, weil sich sein Leibsklave so sinnlos in den Tod gestürzt hat. Er muss ihn wohl sehr gern gehabt haben. Er ist wirklich ein guter Herr, höchst zivilisiert und sehr gebildet. Auch wenn er mich zuerst gar nicht haben wollte, so hat er mich doch von Anfang an gut behandelt. Ich meine: Er hätte mich ja an den Nächstbesten weiterverkaufen können, aber das tat er nicht. Zu meinem größten Erstaunen kaufte er mir etliche neue Kleider von bester Qualität. Mittlerweile redet er sogar mit mir, als wäre ich seine Reisebegleitung, und bringt mir noch mehr Griechisch bei. Ich bin froh, bei ihm zu sein. So kann ich mich noch als Mensch fühlen und nicht als … als Ding.“
„Mag sein“, murmelte Viviane. „Mir erscheint er dennoch nicht besonders einnehmend vom Wesen her. Na, wir werden sehen. Komm, ich habe Hunger!“ Vorsichtig half sie Hanibu auf die wackeligen Beine.
„Du bist so gut zu mir“, seufzte Hanibu wieder und ihre dunklen Augen schimmerten wie Obsidian unter Wasser. „Noch vor zwei Monden war ich frei genau wie du. In der Nacht kamen die Häscher und haben alle, die jung und kräftig waren, zusammengetrieben. Meine Brüder nahmen sie für die Bergwerke mit nach Nubien, ich kam auf das nächste Schiff nach Massalia. In ein paar Jahren werden sie wiederkommen. Dann sind die Kinder älter und die nächste Sklavenernte kann beginnen.“ Hanibu schlug die Augen nieder.
„Auch bei meinem Volk gibt es Sklaven“, flüsterte Viviane, die sah, wie sich Hanibus Fäuste ballten, und wurde lauter. „Aber ich glaube fest daran, dass diese unwürdige Behandlung der eigenen Spezies aufhören wird. Und wenn ich den Anfang dazu machen muss, soll mir das recht sein. Komm, meine schöne schwarze Perle, wir passen zusammen durch die Tür.“
Draußen wartete Loranthus und prustete bei Vivianes Anblick wieder los – er war bereits stark in Atemnot, schien sich allerdings keine Sorgen zu machen. Hanibu sah Viviane fragend an, doch er kam deren Antwort zuvor und quiekte: „Sie kann mit Pferden sprechen, das ist kurios, phänomenal, schier unglaublich!“ Krampfhaft versuchte er, mit dem Lachen aufzuhören und presste die Lippen zusammen. Dafür rollte er nun wie ein Irrer mit seinen fast schwarzen Augen.
Hanibu sah Viviane interessiert an. „Gibt es eigentlich etwas, was du nicht kannst?“
„Selbstverständlich. Ganz viel. Wahrsagen zum Beispiel, ist absolut nicht meine Stärke. Aber jetzt kommt, der Wirt wartet.“
„Da fällt mir ein – ich hätte eine Bitte“, druckste Loranthus herum. „Könnten wir ab sofort nur Griechisch reden?“
Viviane überlegte nicht lange. „Ist mir recht. So versteht Hanibu wenigstens, was wir drinnen bereden, und die anwesenden Händler verstehen es auch. Die dürften sowieso mit allen Wassern gewaschen sein.“
„Was hat das Waschen damit zu tun? Versteh ich nicht.“ Loranthus deutete zum Langhaus, vor dem ein Wasserstrahl aus einem hölzernen Rohr in eine darunter befindliche Steinrinne gen Fluss plätscherte, und runzelte die Stirn.
Viviane lachte. „‚Mit allen Wassern gewaschen‘ ist ein Sprichwort. Es bedeutet, dass man vieles weiß und kann. Ein Händler, zum Beispiel, sollte halbwegs Griechisch können, denn es gibt kaum einen Landstrich, wo nicht