Die weise Schlange. Petra Wagner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Wagner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783959665964
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und nickte ihnen sehr freundlich zu. „Verzeiht mir meine harschen Worte und nehmt mir nichts übel. Normalerweise benehme ich mich nicht wie eine Furie. Also, meine lieben Gastgeber, nehmt ihr meine Entschuldigung an?“

      „Selbstverständlich! Selbstverständlich!“, riefen die Dorfbewohner mehr als erleichtert und wuchsen zusehends in die Höhe.

      „Sehr gut. Und natürlich möchte ich mich auch bei euch bedanken für die Arbeit, die ihr hier geleistet habt. Diese Haarnetze sind wirklich eine geniale Idee. Ich würde mir gerne mal die Knüpftechnik zeigen lassen, aber vorher will ich meine dritte Frage beantwortet haben.“

      „Ja, die Knüpfarbeit ist wirklich sehenswert.“ Merdin legte einen Arm um Viviane und führte sie aus dem Langhaus. „Bei der Gelegenheit zeig ich dir gleich, was die Leute noch alles schaffen, wenn der Winter lang ist.“ Glucksend riss sich Merdin den Helm vom Kopf und stülpte ihn Viviane über.

      „Wir haben auch deine Utensilien parat gelegt!“, rief der Dorfvorsteher und eilte Viviane nach zur Tür. Dabei wedelte er entschuldigend mit den Händen, weil ihm das erst jetzt eingefallen war. „Akanthus hat uns bestens instruiert! Es wird dir gefallen! Allein die Kleider …“ Als Viviane abrupt stehen blieb, hörte er sofort mit dem Rufen und Wedeln auf. Er sah ziemlich besorgt drein und machte einen Schritt rückwärts, als befürchte er einen neuen Wutausbruch ihrerseits, doch sie klatschte sich nur die Hand auf den Helm.

      Viviane hatte nicht bedacht, wie laut der Schlag in ihren Ohren scheppern würde, aber das geschah ihr nur recht. Sie hatte tatsächlich vergessen, dass Akanthus ihr gesamtes Gepäck zur dritten Rast schicken wollte, und der Aufenthalt in diesem Dorf war die dritte Rast. Was sie allerdings nicht wissen konnte, war erstens, dass Akanthus eine komplette Reisekutsche mitlieferte, und zweitens, dass sie einen römischen Markt besuchen würde. Viviane blinzelte heftig. Vor einem der anderen Häuser im Dorf stand nun tatsächlich eine prächtige Kutsche. Doch ihr blieb keine Zeit, diese zu bestaunen, denn kaum, dass ihr Merdin den Helm abgenommen hatte, schob er sie in das Haus hinein.

      Darin hatten sich sämtliche Frauen versammelt und präsentierten die feinsten Kleider aus Wolle, Leinen und Seide – allesamt im römischen Stil gehalten und mit sämtlichem Zubehör versehen. Da die Dorfbewohner mit ihren Näharbeiten ehrlichen Handel trieben, konnten sie Viviane nicht nur ausstaffieren, sondern ihr auch noch wertvolle Ratschläge mit auf den Weg geben.

      So kam es, dass Viviane wenig später frisch frisiert in echten römischen Gewändern steckte und gar nicht mehr aufhören konnte, freudig vor sich hin zu murmeln.

      Alles war komplett aus feinster Seide gefertigt. Ihre Tunika war sonnengelb mit hellgrüner Borte und reichte ihr bis zu den Knöcheln; darüber trug sie eine bodenlange hellgrüne Stola mit aufgestickten rosa Dahlien. Sie war so von ihrer neuen Gewandung fasziniert, dass sie überschwänglich von einem Dorfbewohner zum nächsten tänzelte, um sich zu verabschieden und für die Gastfreundschaft zu danken. Jenen, die vor Kurzem noch ihren Zorn hatten erdulden müssen, hauchte sie einen Kuss auf die Wange. Merdin stellte sich einfach mit dazu, und sie erwischte ihn tatsächlich gleich mehrmals, ohne sich zu beschweren. Es war ihm ein Leichtes, sie nach unzähligen „Auf Wiedersehen!“ und „Besten Dank für die schönen Kleider! Und natürlich besten Dank für die Bewirtung!“ in die Kutsche zu heben.

      Nachdem er die Tür ganz leise zugedrückt hatte, hörte er Viviane drinnen murmeln:

      „Also dieses Busenband, an das muss ich mich erst gewöhnen, aber das Tunika-Kleid ist dermaßen anschmiegsam … sehen doch recht hübsch aus, wie saftig gelbe Äpfelchen … und diese Stola mit den feinen rosa Blümchen, die kann ich bestimmt auch anders schick drapieren.“

      Zwei Tage später ging Viviane in leuchtend rosa Gewändern über das Dach einer echten römischen Villa und war immer noch dabei, die Stola auszuprobieren. Mal ließ sie die Seide vorne wie hinten locker fallen, mal raffte sie sie an den Schultern zusammen und prüfte den Faltenwurf, besonders über ihren Brüsten … sogar mit einem weichen Ledergürtel um ihre Taille herum sah es interessant aus.

      Merdin hätte ihr ewig zusehen können. Ihr anmutiger Gang, die Art, wie sie redete und das Kinn hob … selbst ihre Frisur war eine Augenweide.

      Wie es Mode war, trug Viviane ihre langen Haare, zu Zöpfen geflochten, in einer komplizierten Hochsteckfrisur. Haarnadeln, aus Silber und mit Perlen besetzt, hielten das Kunstwerk zusammen und eine zartrosa Dahlie aus Seide zierte die hintere Partie – ihr Kopf war ein Schmuckstück, genau wie es sich für eine wohlhabende Römerin gehörte.

      Merdin begutachtete mit Wehmut seine neue Haarfarbe in einem auf Hochglanz polierten Kupferspiegel und machte es sich auf einer Ruheliege bequem.

      Die erste Hürde hatten sie geschafft.

      In Windeseile waren sie durch sämtliche romtreuen Gebiete gereist. Niemand hatte sie angehalten, denn keiner wollte einer Söldnertruppe in die Quere kommen. Die echten römischen Legionärstruppen hatten selbstverständlich keine Probleme damit, doch selbst sie erkannten die falschen Römer als ihresgleichen an. Dabei war es von Vorteil, als Eskorte von reichen Römern getarnt zu sein – Zenturio mit Schwester, unterwegs wegen Erbschaftsangelegenheiten – so blieb keine Zeit für lange Reden. Die Zusammentreffen reichten höchstens für ein paar freundliche Worte nach dem Woher und Wohin und darüber, wie die Straßen waren. Bei ihrer fünften Begegnung mit echten Legionären ließen sie die Frage nach Löchern in Schotterpisten weg – diese waren nämlich gerade von ebenjenen Legionären auf der gesamten Strecke ausgebessert worden.

      Mit wehenden Umhängen und blank polierten Helmen preschten sie schließlich auf Londinium zu und hielten vor dem besten Gasthaus am Hafen.

      Viviane entstieg der Kutsche wie eine sehr verwöhnte reiche Römerin, bedankte sich wohlerzogen in latinischer Sprache bei der Eskorte und überreichte mit großer Geste einen prall gefüllten Lederbeutel. Danach hakte sie sich bei Merdin ein und stolzierte Richtung Gasthaus.

      „Bruderherz, wie denkst du darüber“, entrüstete sie sich laut und blieb ein paar Schritt vor dem Eingang stehen. „Ich bin dermaßen brüskiert! Ich will einfach nicht verstehen, warum eine derart luxuriöse Villa nun als Gasthaus herhalten muss!“ Da Merdin traurig nickte, tätschelte sie ihm tröstend den Arm und tönte noch lauter: „Ob ich mich nun lautstark echauffiere oder nicht – wenigstens bekommen unsere treuen Pferde die beste Pflege. Selbst unsere Ansprüche dürften leidlich befriedigt werden. Ich brauche sofort mein tägliches Schaumbad, beim Jupiter, ist das staubig hier!“

      Sämtliche zufällig Anwesende – ob Seemann, Hafenarbeiter, Bauersfrauen, Kinder, Hunde oder Katzen – starrten ihr hinterher, selbst dann noch, als sie schon längst im Gasthaus verschwunden war. Ein paar alte Männer steckten die Köpfe zusammen und tuschelten aufgeregt. Händler eilten von ihren Schiffen und gesellten sich hinzu; besonders zwei griechische fielen auf, da ihre weißen Togen wild flatterten, so schnell hasteten sie herbei, um bloß nichts zu verpassen.

      Die römische Eskorte aus nunmehr elf Legionären beobachtete den Menschenauflauf eine Weile. Aber da ihr Zenturio sicher angelangt war und hier offenkundig auch nicht gegen Rom gemeutert, sondern nur über seine Schwester getratscht wurde, ritten sie mitsamt der Kutsche ihrer Wege. Genauer gesagt ritten sie bloß ein Stück weg vom Fluss bis zum nächsten billigen Gasthaus und quartierten sich dort ein – sie wurden schon erwartet.

      Viviane und Merdin spielten allein weiter Theater und nannten sich nur noch ‚teuerste Schwester‘ und ‚teuerster Bruder‘.

      Sie waren Nichte und Neffe eines reichen römischen Ritters, uralter Adel, schwer erkrankt. Wie es sich für einen ordentlichen kinderlosen römischen Ritter-Onkel gehörte, war er sehr stolz auf Merdin, der mit seinen zwanzig Lenzen bereits zum Zenturio gewählt worden war. Dieser war von Geburt her leider ein Bastard seines Bruders, aber das war nur eine Formalität. Mittels Adoption war er nun adelig und konnte offiziell das gesamte Rittergut erben. Viviane sollte einen befreundeten Ritter heiraten, ebenfalls uralter Adel – zwar alt, aber tadellos gesund. Somit war die Familientradition gesichert und der Onkel konnte in Frieden sterben. Es bestand allerdings noch Hoffnung, er könne sich auf wundersame Weise erholen, sobald er seine liebreizende Nichte in die Arme schloss.