Die weise Schlange. Petra Wagner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Wagner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783959665964
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Zum einen, weil Merdins Daumen gerade ihre Hüfte kitzelte, zum anderen, weil die eben genannten Männer gleichfalls grinsten. Sicher fühlte sich jeder von ihnen sehr geehrt, der Truppe voranreiten zu dürfen.

      „Zufällig steht uns ein großes Handelsschiff zur Verfügung“, sagte Akanthus und hob Achtung heischend den Zeigefinger. „Es wird euch im Hafen ausreichend Deckung verschaffen. Der Kapitän gehört zwar nicht zu uns, doch er ist ein ranghohes Mitglied eines anderen Bundes im Kampf gegen Rom. Ich kenne und schätze ihn sehr. Wir können voll und ganz auf seine Findigkeit bauen. Womit alle Probleme gelöst wären, bis auf eines.“

      Akanthus’ buschige Augenbrauen zuckten in die Höhe.

      „Wie gelangt ihr samt Waffen am helllichten Tag unbemerkt aufs Schiff?“

      Viviane saß sofort kerzengerade und dachte über die Frage nach. Was Merdin hinter ihrem Rücken tat, war in diesem Moment egal.

      Scheinbar hatten sich schon alle die Köpfe darüber zerbrochen und noch keine sichere Lösung gefunden. Das war die Gelegenheit für sie, Viviane, etwas zum Gelingen der Aktion beizutragen, sozusagen als Einstand für flügge gewordene Drachen.

      „Nun ja, ich schlage vor …“, begann sie und schaute sich in der Gegend um, um zu sehen, ob noch jemand zu ihrer Besprechung kommen würde. „Da ich offensichtlich die einzige Maid bin, übernehme ich die Lösung dieses Problems.“

      „Du bist dermaßen raffgierig, Vivian.“ Merdin hörte abrupt auf, ihr Rückgrat zu kneten, doch nur, um sogleich an den Schultern weiterzumachen. „Raffgierig wie ein Römer. Ich meinte, Römerin.“

      „Das, mein Bester, hast du gut erkannt.“

      Viviane drehte sich in die Runde und versuchte sich an einem lasziven Augenaufschlag. Uathach war der Meinung, das würde bei ihr sehr verführerisch wirken, und wenn es die Krieger in ihren Bann schlug, sollte es auch als Ablenkungsmanöver im Hafen funktionieren. Die Männer um sie herum schauten jedoch nur verständnislos drein.

      „Ach, mein Gesicht ist ja noch ganz blau“, fiel es ihr nach einem kurzen Seitenblick auf Merdin ein.

      Dieser hatte inzwischen verstanden und zeigte ein dementsprechend lüsternes Mienenspiel. „Ihr müsst euch die blauen Spiralen in meinem Gesicht wegdenken, selbstverständlich auch die restliche Körperbemalung. Nur die Zöpfe, die will ich unbedingt behalten. Wenn ich schon in geheimer Mission gegen die Römer ziehe, will ich wenigstens ein Zeichen setzen.“

      „Vivian! Was genau hast du vor?!“ Merdin grollte, keine Spur von Gier mehr im Gesicht. In seinen himmelblauen Augen zog ein Gewitter auf und seine Finger, die gerade noch sanft ihre Schulterblätter massiert hatten, packten jetzt ihren Nacken ganz fest.

      Viviane fand den harten Griff äußerst wohltuend bei all den verspannten Stellen, die immer mehr zu werden schienen.

      „Mmh, keine Sorge“, schnurrte sie. „Ich mach es einfach wie du.“ Sie bedachte Merdin mit einem besonders provokanten Augenaufschlag. „Erst kitzle ich mal hier, mal da, dann pack ich zu, genau dort.“ Sie deutete auf die Stelle, an der Merdin offenbar ihr Genick brechen wollte, und trällerte: „Wenn du alles fein weich machst, knete ich dich nachher auch ordentlich durch. Und dann wirst du mein Bruder.“

      „Aber ich bin doch schon dein Bruder!“

      Beleidigt schob Merdin die Unterlippe vor. Er schnaubte und murmelte noch mehr vor sich hin, doch das ging im allgemeinen Gekicher der Männer unter. Was auch immer er von ihr zwickte und zwackte und kniff und quetschte - Viviane genoss seinen Ärger, bis sich jemand lautstark räusperte.

      „Nun, Vivian, ich hätte gerne mehr von deinem Vorschlag gehört“, sagte Akanthus und schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wie ich dich kenne, hast du alles längst ausgeklügelt. Aber jedwede List – auch eine von weiblicher Raffinesse - bedarf präziser Vorarbeit, wenn sie gelingen soll. Ich sorge mich zwar nicht derart tatkräftig wie Merdin, dennoch: Es könnte hilfreich sein, den einen oder anderen Boten auszusenden.“

      Viviane wurde es heiß vor Scham und ihr Gesicht begann zu glühen. Sie war dermaßen eingenommen von sich und ihrer ach so perfekten Idee, dass sie das Pferd von hinten aufgezäumt hatte. Mit einem schmachtenden Augenaufschlag eroberte man noch lange kein Sklavenschiff, dazu brauchte es mehr. Zum Glück kannte sie einen Mann, der weitreichende Kontakte hatte.

      „Du hast recht, mein Meister“, sagte sie daher und holte tief Luft. „Wäre es möglich, Schiffspassagen zu bekommen? Für Merdin und mich und unsere Pferde?“

      „Du willst offiziell auf dieses Schiff?! Du und Merdin, ganz allein?“

      „Und die Pferde.“ Viviane zuckte die Schultern. „Wenn man heimlich etwas tun will und noch dazu am helllichten Tag, dann am besten so, dass es für alle gut sichtbar ist.“

      Akanthus starrte sie an und überlegte, endlich nickte er.

      „Mit Gold kann man bei den Römern alles kaufen. Eure Schiffspassagen sind so gut wie sicher. Was noch?“

      „Wir bräuchten verlässliche Helfer, die uns Wasserfässer bereitstellen. Dazu Stroh und Heu, das man zu großen Ballen binden kann.“

      „Das hört sich ganz nach meinem Geschmack an.“ Akanthus schnalzte vergnügt mit der Zunge. „Vielleicht noch ein Fässchen Wein gefällig?“

      „Wein?“ Viviane starrte ihren Meister an, als hätte er sich vor ihren Augen in einen roten Drachen verwandelt. „Ja, warum nicht?! Ein Fässchen Wein wäre wirklich hilfreich. Mit der richtigen Droge versetzt, würde er sogar noch schön müde machen. Eine hervorragende Idee, mein Meister, wirklich raffiniert!“

      „Sehr gut!“ Akanthus rieb sich vergnügt die Hände und auf seinen Wink rückten alle näher zusammen.

      Geraume Zeit später fragte sich Merdin, warum er sich immer noch sorgte. Sämtliche Probleme, auf die er hingewiesen hatte, waren behoben worden. Akanthus erklärte sogar, Vivianes List sei ‚leicht durchführbar‘. Ja, er fragte sich tatsächlich, warum er nicht selbst darauf gekommen war, und sprühte geradezu vor Tatendrang. Dennoch, trotz all der Zuversicht konnte sich Merdin einfach nicht entspannen. Viviane fand, das käme ihr gerade recht, um ihr Versprechen einzulösen.

      Systematisch knetete sie ihm jeden einzelnen Zeh durch und arbeitete sich mit viel Gefühl über die Fußsohlen und Knöchel aufwärts. Spätestens bei den Oberschenkeln hatte Merdin seine Sorgen vergessen. Er hatte vergessen, wo er gerade war. Ja, er hatte selbst vergessen, wie er hieß. Ihm war alles egal, Hauptsache, Viviane machte weiter. Pünktlich zum Sonnenaufgang erwachten die restlichen Drachenkrieger und trotteten in den Wald zum Baden. Viviane zog Merdin die Ohren lang, erklärte ihre Massage für beendet und schickte ihn hinterher.

      Nachdem Uathach Merdin – hilfsbereit, wie sie war – in den See gestoßen und das kalte Wasser ihm Klarheit verschafft hatte, wusste er sofort wieder alles – wo er war und vor allem, wer.

      Als Erstes ging Merdin zu seinem Vater und redete mit ihm über Vergangenheit und Zukunft. Danach schaufelte er jede Menge Gerstenbrei in sich hinein, um Kraft für seine Mission zu bekommen. Vielleicht auch, um diese hinauszuzögern, denn bald, viel zu bald, würde er ohne Viviane sein. Das war schier entsetzlich. Selbstverständlich musste sie ins Land der Hermunduren zurückkehren, musste kämpfen für die Freiheit ihrer Heimat. Aber was war mit seinen Träumen? Genauer: Was war mit seinem Traum von letzter Nacht? Er hatte sich Seite an Seite mit ihr gesehen und zwischen ihnen war ein Kind.

      Ihrer beider Sohn, mit blauen Augen und weich fließendem Mahagonihaar. Er war wunderschön. Viviane wusste es vielleicht noch nicht, aber er, Merdin, war überzeugt: Sie hatte empfangen, vorletzte Nacht, bei ihrer Initiation. Und dennoch: Träumen allein reichte nicht. Mit Sicherheit konnte er es nicht sagen. Das konnte nur die Zeit. Ein, zwei Monde, zur Sicherheit drei. Und bis dahin war sie weg. Er würde es nicht einmal mitbekommen, ob sein Traum nun wahr wurde oder nicht. Sein Vater hatte sofort verstanden, in welchem Dilemma er sich befand, und Abhilfe versprochen. Mit seinen weitreichenden Kontakten würde er sie im Blick behalten. Und er hatte ein Geschenk vorgeschlagen, eine Wiedergutmachung,