Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle 1803.
Schmidt, Jochen: Die Krise der romantischen Subjektivität: E. T. A. Hoffmanns Künstlernovelle »Der Sandmann« in historischer Perspektive. In: Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. FS für Richard Brinkmann. Hrsg. von Jürgen Brummack [u. a.]: Tübingen 1981. S. 348–370.
Schubert, Gotthilf Heinrich: Die Symbolik des Traumes. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1814. Mit einem Nachwort von Gerhard Sauder. Heidelberg 1968.
Tepe, Peter / Jürgen Rauter / Tanja Semlow: Interpretationskonflikte am Beispiel E. T. A. Hoffmanns »Der Sandmann«. Würzburg 2009.
Weimar, Klaus: Was ist Interpretation? In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 2 (2002) S. 104–115.
STRUKTURALISMUS/LITERATURSEMIOTIK
Zeichenordnungen und zeichenhafte Täuschungen in Der Sandmann
Von Stephanie Großmann und Hans Krah
I Methodisches Selbstverständnis
Im Folgenden geht es nicht um eine historische Skizze des Strukturalismus als philosophische Denkrichtung, wie sie sich im 20. Jahrhundert etabliert hat, und nicht um die Aufarbeitung der damit verbundenen Diskussionen und Auseinandersetzungen (vgl. dazu Titzmann 1980, 2010; Müller 2010). Vorgestellt werden soll der gegenwärtige State of the Art. Wichtige Impulse hierzu hat insbesondere die Rezeption von Jurij M. Lotmans Konzeptionen geliefert. Mit diesen avancierte der Strukturalismus zur Literatursemiotik, die sich als integrativ, offen und anschlussfähig versteht und durch ihre Methodik eine Ausweitung vom Gegenstand Literatur auf andere Formen ästhetischer Kommunikation ermöglicht.12
Strukturalismus/Literatursemiotik sind eine Methode in dem Sinne, dass sie erstens von bestimmten Grundannahmen ausgehen, was das Verständnis ihres Gegenstandes Literatur und ihres Umgangs damit betrifft, zweitens einen Grundzugang bei der konkreten Analyse favorisieren und sich dabei drittens (auch) spezifischer Beschreibungsinventare und Begrifflichkeiten bedienen.
Strukturalismus/Literatursemiotik verstehen sich hingegen nicht als Theorien, die sich durch spezifische Fragestellungen und fokussierte Themen definieren. Ebenso wenig privilegieren sie einzelne Aspekte des Erkenntnisinteresses. Insofern gibt es Überschneidungen mit anderen Ansätzen, so etwa mit den Gender/Queer Studies, für deren Gegenstände sich auch strukturale Arbeiten interessieren können, oder bezüglich Intertextualität, Narratologie und Raumtheorie, zu denen es aus struktural-semiotischer Perspektive Modellierungsvorschläge gibt. So dürfte die strukturale Erzähltheorie einen wesentlichen Beitrag zur Erzählforschung geleistet haben, der zudem in Lotmans Modell der semantischen Räume und dessen Grenzüberschreitungstheorie dezidiert raumbezogen ist (vgl. Krah 2014); Titzmann (1989, 2003) hat mit seinen Konzepten des kulturellen Wissens und des Denksystems einen Systematisierungsvorschlag vorgelegt, der neben seiner Relevanz für die Intertextualitätsforschung eine Verbindung zu Diskursanalyse/Wissenspoetik herstellt.
II Grundannahmen
Damit der Umgang mit Literatur als ›wissenschaftlich‹ gelten kann, müssen die Spielregeln der analytischen Wissenschaftstheorie anerkannt werden. Insbesondere ist gefordert, dass Aussagen, Ergebnisse, Thesen argumentativ hergeleitet und intersubjektiv nachvollziehbar sind. Diese Grundannahme bedeutet zum einen, dass Analyse und Interpretation von Texten als Operationen verstanden werden, die prinzipiell erlernbar sind und eingeübt werden können, und dass dazu den Akteuren ein Instrumentarium an die Hand zu geben ist, mit dem sie dies auch realisieren können. Zum anderen impliziert diese Annahme auch, dass die Methodik insofern textunabhängig ist, als sich prinzipiell jeder (literarische) Text mit diesem Handwerkszeug interpretieren lässt und sich Unterschiede dann erst als Ergebnis einer Analyse (aufgrund der Spezifik jedes einzelnen Textes) manifestieren.
Denn eine weitere Grundannahme bezüglich des Gegenstandes Literatur zeigt sich in dem Befund, dass jeder literarische Text ein Text ist und damit dessen prinzipiellen Konstruktionsprinzipien unterliegt: Er ist einerseits semiotisch verfasst (basiert also auf Zeichen) und andererseits an eine Kommunikationssituation rückgebunden, aus der heraus er entstanden ist. Dies heißt ganz banal zunächst, dass sich die Bedeutung (auch) eines (literarischen) Textes insofern rekonstruieren lassen muss, als den Zeichen, aus denen ein Text besteht, aufgrund von Kohärenzmechanismen ein semantisches Potential eigen bzw. inhärent ist. Da der Text in einer konkreten, historisch fixierten Kommunikation verankert und an diese rückzubinden ist, darf das semantische Potential wiederum nicht beliebig aufgefüllt werden. Die Spezifik von Literatur ergibt sich insofern, als Literatur als ästhetische Kommunikation verstanden werden kann, mit Lotman (1981) also als ein sekundäres, modellbildendes, semiotisches System. Sie baut auf dem bestehenden semiotischen System der natürlichen Sprache auf und benutzt dessen Codes (d. h. Codes der Syntax, Semantik, Pragmatik). Sie kann aber darüber hinaus eigene Semantisierungen und Strukturierungen vornehmen, die von diesem vorgelagerten System abweichen oder es verändern und modifizieren (dies meint: sekundäres System); immer wird dabei im konkreten Text ein neues System modelliert und damit ein eigener Weltentwurf kreiert (das meint: modellbildendes System).
III Vorgehensweise und zentrale Begrifflichkeiten
Da ein Text zentraler Faktor ästhetischer Kommunikation ist und dessen Semantik über die möglichen Verfahren, deren sich ein Text bedienen kann, erzeugt wird, steht im Fokus von Strukturalismus/Literatursemiotik der (literarische) Text selbst, nicht aber seine Produktion oder seine Rezeption. Genau dieses eigene System eines Textes zu rekonstruieren, ist Ausgangspunkt struktural-semiotischer Vorgehensweise:
1. Es gilt, den Text in seiner Verfasstheit ernst zu nehmen und diese Verfasstheit und sämtliche Textphänomene möglichst präzise zu beschreiben. Als Grundzugang dient hierzu die Unterscheidung von Discours und Histoire, die in jedem Text zu treffen ist. Der Discours bezieht sich auf die konkret vorliegenden Zeichen in ihrer konkret gegebenen Anordnung, wie sie sich im jeweiligen Medium aufgrund dessen Medialität konstituieren. Das ist für Literatur primär die Schrift, ist aber natürlich nicht auf sie beschränkt und kann je nach Gattung unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Histoire bezieht sich auf die Semantiken (Propositionen und Signifikate), auf die die Daten des Discours als Signifikanten verweisen; sie stellt also eine Textdimension dar, die nicht konkret auf der empirisch wahrnehmbaren Oberfläche gegeben ist, sondern die es in einem Akt der Abstraktion und Interpretation zu gewinnen gilt.
Dies kann auf paradigmatische oder syntagmatische Weise geschehen. Paradigmatisches Vorgehen löst sich von der Anordnung des Discours und sucht unabhängig hiervon nach semantischen Gemeinsamkeiten, syntagmatisches Vorgehen folgt dem Discours selbst und versucht, die Bedeutung zu eruieren, die dieser Abfolge zugrunde liegt.
2. Auch wenn die Unterscheidung zwischen Discours und Histoire eine traditionelle (formal vs. inhaltlich) aufzugreifen scheint, artikuliert sich hier eine wesentliche, letztlich namensgebende Grundvorstellung des Strukturalismus. Denn Form und Inhalt stehen sich nicht diametral einander gegenüber, sondern bedingen sich als Struktur: Die konkrete formale Gestaltung eines Textes wird zum Träger der Textsemantik funktionalisiert. Strukturalismus/Literatursemiotik bedienen sich dabei durchaus klassischer, traditioneller Beschreibungsinventare, bauen auf ihnen auf oder modifizieren sie, wie etwa das in der Rhetorik bereitgestellte Arsenal an Tropen (Metapher, Metonymie, Synekdoche) und rhetorischen Figuren zur Beschreibung uneigentlicher Sprachverwendung oder der Metrik zur Darstellung von Segmentierungs- und Rhythmisierungsphänomenen. Dies ist aber kein Selbstzweck, sondern bildet die Basis einer darauf aufbauenden Signifikation (Bedeutungszuweisung), auf die hin solche Beschreibungen ausgerichtet sind: Was bedeutet es, dass genau so gesprochen wird, wie gesprochen wird, dass genau so gegliedert ist, wie gegliedert ist, dass genau so erzählt wird, wie erzählt wird etc.?
3. Prägend für die Vorgehensweise ist grundlegend die Vorstellung einer (Aus-)Wahl, einer Selektion der gegebenen Daten aus dem