Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor - eBook. Wolf-Dieter Storl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf-Dieter Storl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783039020195
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davon bekommen, was für zauberhafte Persönlichkeiten sich im schlichten Grün verbergen, hören, was für Geschichten sie uns zu erzählen vermögen und welche Heilkräfte sie in sich bergen.

      DANK

      Ehe wir uns in das ethnobotanische Abenteuer begeben, möchte ich meinen beiden Lehrmeistern danken, deren Inspirationen mich beim Schreiben begleiteten. Zuerst dem Bergbauern Arthur Hermes (1890–1986), dessen Einsiedlerhof sich auf einer Megalithkultstätte im Waadtländer Jura befindet. Arthur Hermes sprach mit den Devas und Elementarwesen und rief seine Kühe durch Gedankenübertragung von der Weide. Hermes, der sein Leben dem kosmischen Christus und der Mutter Erde weihte, kam mir vor wie ein wiederverkörperter Druide oder ein Hierophant aus megalithischen Zeiten. Sein Blick konnte bannen, seine Stimme verzaubern.

      Hermes erblickte unter einem Strohdach der norddeutschen Heide das Licht der Welt. In dem abgelegenen Dorf gab es weder Maschinen noch Strom; es gab Pflanzen, Tiere und die stillen Weiten der Heide. So ist es kein Wunder, dass ihm die Besinnlichkeit eigen wurde und sein geistiges Auge bis in das alteuropäische Neolithikum spähen konnte.

      Mit Schule und Krieg brach das 20. Jahrhundert wie ein Alptraum über ihn herein. Der Lehrer mit dem hochgezwirbelten Schnurrbart ließ ihn die Lieblosigkeit der Menschen gegenüber den Mitgeschöpfen erfahren, als er zwecks »wissenschaftlichen Experiments« eine wunderschöne Eidechse in ein Glas mit Formaldehyd fallen ließ. In den schlammigen Schützengräben des Ersten Weltkriegs lernte er den institutionalisierten Hass gegenüber den Mitmenschen kennen. Er wurde fahrender Künstler, Kräuterheiler und Sozialpädagoge. In den Dreißigerjahren – sein Heimatdorf war inzwischen Truppenübungsplatz geworden – wandte er sich lautstark gegen die seichte Germanenromantik und den ideologischen Missbrauch der Tradition, die ihm heilig war. Sein Protest endete damit, dass er vor ein Erschießungskommando gestellt wurde. Seine geistige Kraft war jedoch so stark, dass es der Kommandant nicht über sich brachte, den Befehl auszuführen. Er ließ ihn entkommen. Das Schicksal führte ihn schließlich in die Schweiz. Und da er mehr von Kühen und dem Ackerbau verstand als alle anderen, wurde er zum Ratgeber und Freund einer Gruppe von Emmentaler Bauern. Diese vermachten ihm den »Michaelshof« im Jura (STORL 1990:82).

      Die neun Pflanzen, mit denen wir uns hier befassen, gehören zur einheimischen Flora Nord-, Mittel- und Westeuropas. Sie hatten ihren festen Platz nicht nur in den Wäldern und Feldern dieser Region, sondern auch in den Riten, den Zeremonien, den Sagen und der Heilkunde der hier ansäßigen megalithischen und später keltischen und germanischen Stämme. Dieser Arthur Hermes, der seine spirituellen Visionen in die Sprache eines Rudolf Steiner kleidete, nahm mich mit auf seine spirituellen Reisen und führte mir jene längst vergangenen Welten vors innere Auge. Diese Welten, obwohl längst vergangen, wirken noch mächtig in unser heutiges Dasein hinein.

      Mein anderer Lehrmeister ist der Tsistsistas (Cheyenne) Sonnentanzpriester und Pflanzenschamane Bill Tallbull. Als Erbe der Großwildjäger, die einst vor vielen tausend Jahren von Sibirien aus die Neue Welt besiedelten, schenkte er mir die großartige Vision einer freilebenden paläolithischen Menschheit. Er half mir, den Blick über das Neolithikum hinaus und jenseits der großen Fruchtbarkeits- und Vegetationsgötter und -göttinnen zu richten. So befreite er mich von den übermächtigen Bildern des Arthur Hermes, von der bindenden Magie des sesshaften Bauern- und Hirtentums. Er offenbarte mir ein anderes, ursprünglicheres Verständnis des »grünen Volks«.

      Bill Tallbull stammt von einer Familie ab, die bis über die Jahrhundertwende hinaus in der Wildnis der Big Horn Mountains in Freiheit lebte, ehe dann Hungersnot und Polizeigewalt des Staates sie in das vorgesehene Reservat zwang. Wie alle Cheyenne-Kinder wurde Tallbull den Eltern weggenommen und in eine »Boarding school« ges teckt. Dort sollte er »zivilisiert« werden. Das Sprechen seiner Muttersprache wurde ihm unter Prügelstrafe verboten. Als er als junger Mann wieder in das Reservat zurückkehrte, hatte er fast den Anschluss an seine Kultur verloren. Umso intensiver lauschte er den Alten, besonders den Großmüttern, die viel über die Pflanzen wussten. So wurde er allmählich ein »Hüter der Pflanzenmedizin«, zuständig für die Beziehung seines Stammes zu den Pflanzenvölkern. Mit den Häuptlingen des »grünen Volks« raucht er die Friedenspfeife und schenkt ihnen jedes Frühjahr »Decken« (Stoffstreifen) und Tabak.

      Auch an Tallbull, mit dem ich ungefähr anderthalb Jahre an den Wochenenden über die Steppe und durch die Big Horn Mountains gewandert bin, gebührlichen Dank.

      Was brennt ums ganze Haus

      und’s Haus verbrennt doch nit?

       Alter Rätselspruch

       Urtica dioica

      Wenn es eine Pflanze gibt, die die abwertende Bezeichnung »Unkraut« verdient, dann sicher die Brennnessel. In Scharen umstellt sie Haus und Hof und lässt bei Kindern manche Träne über die Wangen kullern. Berührt man sie, dann sticht, beißt und brennt sie. Urtica, der lateinische Gattungsname, bedeutet genau das: »die Brennende«.

      Die Brennnessel hüllt sich in einen Mantel aus lauter kleinen, glasartigen spröden Brennhaaren. Bei leichtester Berührung brechen sie ab und spritzen – Injektionsnadeln ähnlich – schlangen- und bienengiftartige Toxalbumine sowie Histamine und Ameisensäure unter die Haut. Allein, so der Aberglaube, eine wahrhaftige Jungfrau könnte eine Brennnessel anrühren, ohne sich dabei zu verbrennen. Oder man macht es wie alte Gärtner, die zur Verblüffung ihrer städtischen Besucher die Nesseltriebe von oben nach unten streichend kräftig anpacken, sodass die gefährlichen Nadeln flach gedrückt werden und keine Gelegenheit zum Stechen haben. Solche kühne Gärtner haben allerdings oft auch dicke Schwielen auf den Handflächen.

      Erwischt es einen trotzdem, so ist immer das Gegenmittel zur Hand. Ubi malum, ibi remedium, sagte der weise Paracelsus und meinte damit, dass die Abhilfe nie weit von der Ursache des Leidens entfernt zu finden ist. In diesem Fall ist es der Ampfer (Rumex), der gerne neben der Brennnessel wächst. Man zerknüllt seine saftigen Blätter und reibt sie auf die juckende Stelle. Um wirklich zu helfen, ist jedoch der richtige Spruch vonnöten. In England lautet dieser etwa so:

      »Rein die Nessel, Ampfer raus.

      Ampfer treib die Nessel aus!«

      Im Wallis, wo man die schmerzende Stelle nicht mit Ampfer, sondern dem »Heimina«, dem Guten Heinrich (Chenopodium bonus Henricus), behandelt, wird folgender Spruch aufgesagt:

      »Nomini Patre

      Nessje mach und Blattre

      Mit Heimina rib’n

      Das tüets sus vertrib’n.«

      Am allerbesten – und ohne sich der Zaubersprüche bedienen zu müssen – hilft jedoch das Einreiben mit dem Saft des Springkrauts, egal, ob es sich um das große, malvenfarbene Drüsentragende Springkraut (Impatiens glandulifera), das einheimische Rühr-mich-nicht-an (Impatiens noli-tangere) oder das kleinblütige Sibirische Springkraut handelt. Die Springkräuter enthalten balsamische Säfte, die den quaddelbildenden Histaminen entgegenwirken.

      Andererseits gibt es auch Leute, die empfinden das Kribbeln als gar nicht so unangenehm. Sensitive beteuern sogar, dass von Brennnesseln gestochene Hände feinfühliger werden und die Erdstrahlen besser spüren.

      Warum wehrt sich diese Pflanze gegen jede Berührung? Ist sie etwa selber von solch feiner, sensibler Natur, dass sie sich genötigt sieht, sich mit einer Aura aus giftigen Stacheln zu umgeben? Der große Schweizer Kräuterkenner Pfarrer Künzle meint dazu: »Hätte die Brennnessel keine Stacheln, wäre sie schon längst ausgerottet worden, so vielseitig sind ihre Tugenden!« Warum wohl hat Albrecht Dürer einen himmelwärts fliegenden Engel mit einer Brennnessel in der Hand gemalt? Und warum wurde bis ins 17. Jahrhundert die heilige Maria zuweilen auf Nesselzweigen rastend abgebildet, wenn die Pflanze nicht himmlische Eigenschaften in sich bergen würde? Rudolf Steiner, dessen hellseherische Fähigkeiten ich nicht in Frage stellen möchte, bezeichnete sie sogar als »die größte Wohltäterin des Pflanzenwachstums«. Einen »Allerweltskerl« nennt