Hinter hessischen Gittern. Esther Copia. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Esther Copia
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269206
Скачать книгу
mal schnell auf der Zentrale mein Funkgerät holen und dann den Hattinger wecken.« Maria öffnete ihr kleines Schlüsselfach und holte den Anstaltsschlüssel heraus. Danach begab sie sich zur hinteren Pfortentür, die zum Anstaltshof führte. Alle Eingangstüren und Tore in der JVA hatten eine Schleusenfunktion und konnten nur durch einen Kollegen in der Pforte per Knopfdruck entriegelt werden. Sie hörte den Summer und konnte die Anstalt betreten. Mit wenigen Schritten überquerte sie den Hof und öffnete die alte Holztür zur Verwaltung. Jede Tür musste sie zuerst auf- und, nachdem sie durchgegangen war, auch wieder zuschließen. Vor der Zentrale angekommen, wartete Maria auf den Einlass, denn auch diese Türen waren mit Schleusenfunktion versehen.

      »Guten Morgen, Rolf.« Maria zwinkerte ihm zu. Seit dem Zwischenfall ein Jahr zuvor verstanden sich die beiden bestens. Kein anderer Zentralist hätte so schnell reagiert wie Rolf Klein damals. Dies hatte Maria das Leben gerettet.

      »Guten Morgen, heute auch wieder gut gelaunt. Wie machst du das nur?« Rolf war ein Kollege mit über 20 Jahren Diensterfahrung.

      »Das ist meine italienische Natur, da kann man nicht anders.« Maria zuckte mit den Schultern.

      »Beneidenswert. Ich brauche ungefähr drei Liter Kaffee, um diesem Tag etwas Positives abzugewinnen.« Er nahm das Funkgerät 48 aus der Ladestation und übergab es Maria.

      »Und weil es dir so gut geht, hast du heute wieder die Ehre, im Zirkus Maximus die Dompteuse zu spielen. Die ganze Station II5 nur für dich.« Klein grinste sie an.

      »Zu gütig. In letzter Zeit bekomme ich immer die Superstars der Anstalt. Bin ich irgendjemandem, ohne es zu wissen, auf die Füße getreten?« Maria sah aus dem Fenster der Zentrale auf den Anstaltshof. Nichts als Tristesse und Beton. Das einzig Farbige war der rote Kunststoffboden in der Mitte des Hofes, der als Fußballplatz diente.

      »Ich glaube nicht, aber jeder andere hier drin hat 1.000 Erklärungen, warum er auf einer anderen Station arbeiten möchte.«

      Die Station II5 war zweifelsfrei die schwierigste Station der gesamten Anstalt, und obwohl sie die Katastrophe vor einem Jahr hatte erleben müssen, wurde sie fast immer genau da zum Dienst eingeteilt. Nicht nur Frank Hattinger, ein verurteilter Mörder, sondern auch die Chefs der Russenmafia sowie ein ehrenwertes Mitglied der Hells Angels waren hier untergebracht.

      »Na, dann werde ich mal loslegen. Nicht, dass Herr Hattinger noch Grund zur Klage hat, weil ich ihm zu spät aufschließe.« Maria schnappte sich das Funkgerät und ihren Rucksack, während Rolf Klein die Schleusentür entriegelte. Mittlerweile stand die Sonne höher, und der hässliche Bau erstrahlte im Morgenrot. Maria blickte auf ihre Armbanduhr: 5.40 Uhr. Sie musste sich beeilen. Der Geruch, der ihr im Gefangenenhaus entgegenschlug, war bei solchen Außentemperaturen im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Wo so viele Menschen auf einem Haufen lebten, entstanden Gerüche wie sonst nirgends. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stieg sie die Treppe bis in den fünften Stock hinauf und schloss die Tür zum Stationsbüro II5 auf. Ein verglastes Büro mit uralten Holzschreibtischen und einem Computer. Der Bezug und die Armlehnen des Stuhls waren abgewetzt. Durch das vergitterte Bürofenster drang die Morgensonne, und Maria konnte den Staub in der Luft tanzen sehen. In einer Ecke befanden sich ein altes Waschbecken und davor noch ein kleiner Tisch, auf den Maria ihren Rucksack warf. Sie machte das Fenster weit auf und nahm einen tiefen Atemzug, dann schaltete sie die Notrufanlage ein, sodass ihre Durchsage in jeder Zelle dieser Station gehört werden konnte. Die Notrufanlage war für die Gefangenen die einzige Möglichkeit, mit einem Beamten Kontakt aufzunehmen, wenn sie unter Verschluss waren. Ebenso konnte der diensthabende Beamte vom Büro aus Kontakt mit einem oder allen Gefangenen über die Notrufanlage herstellen.

      »Guten Morgen, es ist 5.45 Uhr, bitte aufstehen. Aufschluss zur Arbeit um 6.30 Uhr.« Sie ging zur Stationsgittertür, öffnete diese und begab sich zur Zelle des Hausarbeiters. Dragan Savic, ein freundlicher Zeitgenosse, war als Hausarbeiter einstimmig von allen Kollegen auf dieser Station eingesetzt worden. Ein Serbe, etwa einen Meter 90 groß und schlank. Er verbüßte eine Strafe von drei Jahren wegen Einbruchdiebstahl.

      »Guten Morgen, Herr Savic.« Ein Blick in die kleine Zelle genügte für Maria, um zu erkennen, dass Savic schon wieder seit Stunden wach war. Alles war picobello aufgeräumt und sauber, das Bett gemacht, gelüftet, auf dem Boden war kein Krümel zu entdecken. Der Serbe stürmte mit großen Schritten aus der Zelle und rieb sich dabei mit beiden Händen über sein Gesicht.

      »Oh Mann, Frau Saletti, der Knast macht mich fertig. Ich kann keine Nacht schlafen. Diese Wahnsinnshitze.« Gemeinsam liefen sie die fünf Etagen nach unten, dann über den Anstaltshof, um den Essenswagen aus der Gefängnisküche abzuholen. Savic war redselig und wusste immer was zu erzählen. Eine echte Frohnatur.

      »Na, Frau Saletti, heute so schnell zu Fuß, haben Sie Angst, Sie verpassen den Bus?« Er lachte laut über seinen eigenen Witz.

      »Nein, aber ich muss um 6.20 Uhr dem Hattinger aufschließen, damit er pünktlich um 6.30 Uhr an der Pforte steht. Auf geht’s, haide, haide, wir haben keine Zeit.«

      »Ihr Serbisch ist heute wieder akzentfrei! Wie Sie jede Sprache doch so schnell lernen, echt der Hammer.« Savic versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen und ihr ein Lächeln zu entlocken, aber Maria rannte geradezu über den Hof.

      »Savic, hör auf, mir zu schmeicheln, du willst doch nur wieder für eine halbe Stunde in den Sportraum heute Morgen, oder? Ich kenne deine Tricks schon, vergiss es, schnapp dir den Wagen und los.«

      »Oh, Frau Saletti, warum sind Sie so hart zu mir? Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß. Ich brauche Sport, sonst bin ich hier drin nicht ausgelastet.« Maria hatte mittlerweile die Küchentür aufgeschlossen, Savic trabte zum Essenswagen der Station II5. Auch andere Hausarbeiter trafen mit den Beamten ein und holten ihre Wägen ab. Einige Kollegen standen mit müden Gesichtern in der Küche und zählten die Marmeladengläser, die an diesem Tag an die Gefangenen verteilt werden sollten.

      »Na, Maria, warst du nicht brav? Oder warum musst du schon wieder bei den Kaputten Dienst machen?« Oliver Schmidt, ein Kollege mittleren Alters, immer Solarium gebräunt und peinlich auf sein Äußeres bedacht, der ganz offensichtlich keine Lust mehr verspürte, sich täglich mit schwierigen Gefangenen herumzuärgern, sah Maria spöttisch an.

      »Nein, ich wollte auf die II5, da ist die Aussicht schöner.« Maria lächelte eisig zurück. Auf diese blöden Sprüche hatte sie um diese Uhrzeit keine Lust.

      Savic, der den schweren Küchenwagen über den Hof rollte, sah sie an:

      »Ist schlecht drauf Ihr Kollege?«

      »Ja, Frust gibt es nicht nur bei euch Gefangenen. Wundert mich aber nicht, wann erlebt man im Dienst mal was Positives? Der eine oder andere Gefangene ist hier zum dritten oder vierten Mal. Wie soll man da noch glauben, dass man mit engagierter Arbeit bei euch eine erfolgreiche Resozialisierung erreichen kann?« Savic senkte den Kopf, auch er war zum dritten Mal in Haft.

      2

      Es war kurz nach 6 Uhr, als Susanne Herzberg die Tageszeitung aufschlug und genüsslich in ihr Brötchen biss. Katie, ihre braune Labradorhündin, lag zu ihren Füßen und ruhte sich nach der anstrengenden Joggingrunde am Morgen aus. Susanne war mit sich und der Welt zufrieden. In den Jahren, die seit dem Tod ihrer Eltern vergangen waren, hatte sie es geschafft, ein neues Leben zu beginnen. Die ersten Monate nach dem Autounfall, bei dem beide Eltern das Leben verloren hatten, waren schwierig gewesen, aber die Zeit heilte wirklich langsam die Wunden. Die Liebe ihres Mannes hatte ihr damals geholfen, gegen ihre Ängste und Depressionen anzukämpfen. Ihr Bruder war ihr leider keine Hilfe gewesen. Der Tod der Eltern hatte ihn nicht sonderlich berührt. Ihr Blick wanderte durch das große Wohnzimmer und den herrlichen Garten. Der angrenzende Wald ließ das Grundstück noch größer erscheinen. Die Ruhe in dieser noblen Wohngegend in Darmstadt-Eberstadt war traumhaft. In ihren kühnsten Träumen hätte sie nicht daran geglaubt, jemals hier zu wohnen. Sie war erfolgreich. Viele Jahre der Mühe und Entbehrung waren nötig gewesen, aber durch ihren Fleiß und ihr Gespür, was die Kundinnen heute wollten, konnte sie sich auf dem Markt etablieren. Anfangs stand ihr Unternehmen zweimal auf der Kippe, jedoch seit etwa vier Jahren machte sie mit ihrem Kosmetik-Onlinehandel Millionenumsätze.